Die Kohler-Kolume und ein Einwurf zu Innenminister Friedrich

Zwei Dinge sind es, die mich in diesen Tagen als EM-Beobachter beschäftigen. Da ist zum einen die veränderte Taktik, mit der die deutsche Nationalmannschaft bei diesem Turnier auf Titeljagd geht, und da ist zum anderen natürlich der viel diskutierte so genannte Torklau von Donezk. Aber der Reihe nach.

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Was die Abkehr der deutschen Mannschaft vom Hurra-Stil angeht, so habe ich in dem Punkt meine eigene Meinung. Ich bin ja der Auffassung, die Abkehr vom schnellen und schönen Spiel ist der zerrütteten Vorbereitung und der Tatsache geschuldet, dass die Bayernspieler mit einem Misserfolgserlebnis im Gepäck und nicht eben in Topform angereist sind. Darauf hat der Bundestrainer reagiert und das Hauptaugenmerk diesmal auf eine stabile Defensive und vermehrten Ballbesitz gelegt. Wie auch immer, drei Siege aus drei Spielen geben Joachim Löw und dem von ihm vorgenommenen Stilwechsel recht.

Was die umstrittene Nicht-Tor-Entscheidung beim vom Spiel Ukraine gegen England angeht, so habe ich die Erfahrung gemacht, dass sich solche Dinge im Laufe eines Fußballerlebens immer ausgleichen. Auch Schiedsrichter machen Fehler. Das gehört zum Spiel dazu. Und wer sagt denn, dass die Ukraine auch noch das zweite Tor geschossen hätte? Meiner Auffassung nach setzt sich Klasse letztlich immer durch. Wer die Qualität mitbringt, der schießt am Ende dann auch die Tore, die er zum Weiterkommen benötigt. Diese Klasse ist die ukrainische Mannschaft bei diesem Turnier schuldig geblieben.

Wie ich ohnehin – Stand heute – bei diesem EM-Turnier noch keine wirkliche klasse Mannschaft gesehen habe. Auch was die so genannten Stars angeht, hat mich noch kein Spieler restlos überzeugen können. Augenblicklich jedenfalls verhält es sich so, dass ich Schwierigkeiten hätte, eine Turnierelf zusammenzustellen.

Was den weiteren EM-Verlauf angeht, so hoffe ich, dass die Italiener möglichst weit kommen. Schließlich habe ich selbst vier Jahre in Italien gespielt. Und ich weiß, welch schwere Aufgabe Cesare Prandelli da übernommen hat. Aber in der K.-o.-Phase waren italienische Teams immer gefährlich.

Jürgen Kohler (46), Welt- und Europameister, ist EM-Experte unserer Zeitung.

Einwurf:

Der Minister, die Vorrunde und das Ende der Menschenrechte

Im modernen Fußball hat er längst ausgedient, in der Politik scheint er alle System- und Personalrochaden unbeschadet zu überdauern: die Rede ist vom Ausputzer. Ein Meister des verbalen Befreiungsschlags ist Hans-Peter Friedrich. Dieser Tage hat der deutsche Innenfriedrich als guter deutscher Patriot, der er schon von Berufs wegen zu sein hat, seiner Empörung Ausdruck verliehen. Der Minister schämt sich für die „Sieg, Sieg“-Rufe und die Zurschaustellung der Reichskriegsflagge deutscher Fans ausgerechnet in der im Zweiten Weltkrieg von Deutschen besetzten Ukraine. So weit, so korrekt, so verständlich.

An der jüngeren Geschichte der Ukraine indes nimmt Friedrich offensichtlich weniger Anstoß. Allen Menschenrechtsverletzungen zum Trotz, kündigte er unlängst an, deutsche Spiele in der K.-o-Runde besuchen zu wollen, auch wenn sie in der Ukraine stattfinden. Wenn es gut läuft für die deutsche Mannschaft, werden wir Friedrich also beim Finale in Kiew in einer Reihe mit Ukraines Staatspräsident Viktor Janukowitsch erleben.

Wir erinnern uns: Kurz vor Beginn der Europameisterschaft war sich die Führungsriege der deutschen Polit-Kaste darin einig, wegen des Umgangs der Staatsführung mit der eingekerkerten Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko bei den drei deutschen Vorrundenspielen in der Ukraine bewusst fern zu bleiben. Wie es aussieht, enden für Friedrich mit der Vorrunde auch die Menschenrechte. Da muss man nicht zwingend ein Patriot sein, um sich für derlei diplomatische Verrenkungen zu schämen.

E-Mail an den Autor: klaus.reimann@rhein-zeitung.net