Berlin/Rheinland-Pfalz – Die Vorfreude auf den Anpfiff der Fußball-Europameisterschaft in Polen und in der Ukraine überwiegt inzwischen. Die rheinland-pfälzische Bundestagsabgeordnete und Sportpolitikerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) fordert jedoch, weiter Druck zu machen für Menschenrechte. Das Interview.
Randale und politische Proteste – was wird das für eine EM?
Es gibt große Herausforderungen, das auf jeden Fall. Es gibt das Thema Menschenrechte, aber auch die Themen Kriminalität und Rechtssicherheit. Probleme mit Hooligans gibt es immer, gerade wenn es um Fußball geht. Auch auf die Menschenrechtssituation in der Ukraine wird in den nächsten Wochen zu achten sein. Sport kann durchaus etwas bewirken und die Situation verbessern.
Halten Sie es für richtig, dass es eine Erwartungshaltung an den Sport gibt, Position zu beziehen?
Man kann es nicht völlig trennen. Sport spielt sich ja nicht in einem Paralleluniversum ab. Wir können nicht sagen, wir machen Sport, und alles andere ist uns egal. Man kann das nicht trennen, man sollte es nutzen, um über den Sport und das mediale Interesse, was er auf sich zieht, auf Missstände aufmerksam zu machen und damit auch Druck aufzubauen.
Bewirkt das denn wirklich etwas in den Ländern?
Man muss früh handeln. Die Uefa sollte sich darüber bereits Gedanken machen, wenn sie die Veranstaltungen vergibt. Neben den sportlichen könnte man auch dann schon die gesellschaftlichen Aspekte stärker in den Vordergrund rücken.
Sportliche Großveranstaltungen sollen also nicht mehr dort stattfinden, wo Menschenrechte nicht beachtet werden?
Nein, so weit würde ich nicht gehen. Aber im Vorfeld könnte man Bedingungen stellen. Von dieser Möglichkeit könnte man gezielt viel stärker Gebrauch machen.
Wäre das auch in der Ukraine möglich gewesen?
Ja, Julia Timoschenkos Fall ist jetzt nur die Spitze des Eisbergs. Man hätte auch hier mehr Bedingungen stellen können: dass man mit ihr sprechen kann, dass sie ausreisen darf. Die Spiele zu vergeben und dann zu boykottieren, geht jedenfalls nicht. Damit bestraft man dann alle Menschen in den Ländern, die ohnehin eine andere Auffassung haben. Gerade in der Ukraine wünschen sich viele, näher an die Europäische Union heranzurücken.
Deutsche Minister fahren nicht zu den Vorrundenspielen. Ein richtiges Signal?
Ja, aber dabei darf es dann nicht bleiben. Nicht hinzufahren und die EM dann ohne ein weiteres Wort vorübergehen lassen, würde auch nichts bringen. So haben wir es während der Olympischen Spiele in China erlebt. Davor und danach war die Aufmerksamkeit da. Jetzt hört man kaum noch etwas, etwa über die Selbstverbrennungen der an ihrer Situation verzweifelnden Tibeter, deren Zahl mittlerweile auf fast 40 gestiegen ist. Da muss man dann schon dranbleiben. Das gilt jetzt auch für die Ukraine. Sollten wir ins Finale kommen, wird ja sicher auch die Kanzlerin oder sogar der Bundespräsident anreisen. Dann sollten entsprechende Gespräche auch geführt werden. Die Menschenrechtsverletzungen werden nicht mit dem Finale einer Europameisterschaft beendet sein. Da hat Politik eine Verantwortung über das Spiel hinaus.
Aber muss ein Sportler sich mit politischen Bedingungen auseinandersetzen?
Er macht sich sicher bewusst, wo er ist. In erster Linie konzentriert er sich auf den Sport und seinen Erfolg. Das ist seine Priorität, und das ist auch völlig richtig. 13 der 16 Mannschaften haben ihr Quartier in Polen bezogen, das ist auch ein Zeichen dafür, dass sich Sportler mit dem Umfeld auseinandersetzen.
Instrumentalisieren Politiker den Sport, um sich zu profilieren?
Die Gefahr ist gegeben, ich sehe aber nicht, dass das übermäßig betrieben wird. Es ist eine Chance, dass Sport so ein großes mediales Echo mit sich bringt. Das kann Politik nutzen, um ihre Forderungen voranzubringen.
Was erwarten Sie von dieser EM – außer natürlich, dass Deutschland Europameister wird?
Das ist natürlich die große sportliche Erwartung! Die politische Erwartung ist, dass diese EM dazu beiträgt, den Blick auf die Ukraine zu lenken und die Menschenrechtssituation nicht nur bekannt zu machen, sondern auch wirklich zu verbessern.
Das Gespräch führte Rena Lehmann