Eigentlich sollte Christian Hartmann den Vorletzten der Rheinlandliga, die SG Westerburg/Gemünden/Willmenrod, erst im Sommer übernehmen. Nach dem überraschenden Rücktritt von Aufstiegstrainer Oliver Meuer hat er das Traineramt aber schon früher angetreten – und geht mit einer großen Portion Realismus an die neue Herausforderung mit vielen alten Weggefährten.
Herr Hartmann, Sie haben die Mannschaft am 1. Januar übernommen. Wie kam das Engagement zustande?
Für mich war und sind Verein sowie Mannschaft ja keine Unbekannte, ich war selbst bis 2017 Spieler dort, und mit einigen der Jungs habe ich damals noch zusammengespielt, bin mit ihnen befreundet. Die Verbindung ist in den vergangenen Jahren nie abgerissen, und die Strukturen, die Philosophie sowie die handelnden Personen sind noch die gleichen wie damals. Ich bin natürlich froh, dass mir die Verantwortlichen das Vertrauen schenken, durch den überraschenden Rücktritt von Oliver Meuer sogar ein halbes Jahr früher, als ursprünglich geplant. Ich freue mich jedenfalls auf die Herausforderung, denn die SG Westerburg ist für mich definitiv ein Herzensverein.
Mitte Januar haben Sie mit der Vorbereitung begonnen, wie ist bisher Ihr Eindruck?
Die Spieler sind absolut motiviert, die Stimmung ist gut, die Trainingsbeteiligung hoch. Trotz teilweise widriger Umstände mit gefrorenen Plätzen und dadurch vielen Lauf- und Fitnesseinheiten geben alle Gas – und ich finde: Auch oder gerade in solchen Einheiten kann man Charakter zeigen. Was allerdings in den Einzelgesprächen, die ich schon im Dezember geführt habe, aufgefallen ist: Die Jungs waren nach einem intensiven Jahr mit Relegation und Aufstieg, dafür aber fast ohne Sommerpause, müde. Sowohl mental als auch körperlich. Ich glaube, hier hat die Winterpause gutgetan, um den Kopf noch einmal freizubekommen und sich mit anderen Dingen als Fußball zu beschäftigen.
Wie zufrieden sind Sie mit der Vorbereitung, vor allem auch mit den Testspielen? Was lief schon gut, wo sehen Sie noch Luft nach oben?
Abgesehen von der 1:3-Niederlage gegen Weitersburg, als wir nach einer anstrengenden Trainingswoche eine wirklich schlechte erste Halbzeit gespielt haben, bin ich eigentlich sehr zufrieden mit dem, was ich bisher gesehen habe. Vor allem das 2:2 im Test gegen den hessischen Gruppenligisten VfR Limburg hat mir gezeigt, dass wir einen Schritt nach vorne gemacht haben, dass die Mechanismen langsam greifen und meine Spielidee verinnerlicht wird.
Haben Sie denn mit Blick auf das System viel verändert gegenüber Ihrem Vorgänger?
Wir werden weiter in einem 4-2-3-1-System spielen, aber natürlich werde ich auch meine Ideen und Ansätze einbringen, beispielsweise, wenn es um die Spielausrichtung und das Anlaufverhalten geht. Dadurch, dass wir, da machen wir uns auch gar nichts vor, den meisten Mannschaften spielerisch in der Klasse unterlegen sind, werden wir viel Pressing spielen müssen, es wird um Dinge wie Körperlichkeit, Intensität und die Arbeit gegen den Ball und Umschaltmomente gehen. Kurzum: Wir müssen die Basics auf den Platz bringen und, so abgedroschen es auch klingen mag, in jedem Spiel ans Maximum gehen.
„Ich glaube, ein Problem lag auch darin, dass zu Beginn der Saison ordentlich gepunktet wurde, dadurch hat sich ein wenig eine Selbstzufriedenheit eingeschlichen, so nach dem Motto: Es geht ja auch eine Klasse höher. Und dann gibt man etwas weniger Gas – und schon reicht es nicht mehr. Diesen Prozess bekommt man nach so einem intensiven Jahr dann auch nicht mehr aufgehalten.“
Trainer Christian Hartmann über den bisherigen Saisonverlauf
Der Abstand zum rettenden Ufer beträgt aktuell fünf Punkte. Wie realistisch schätzen Sie die Chancen ein, am Ende überm Strich zu stehen?
Ich glaube, wir sind alle sehr realistisch, was die Einschätzung unserer Situation angeht, und wissen, dass es ganz, ganz schwer werden wird. Wir sind als letzte Mannschaft, über den Umweg Relegation, aus der Bezirksliga aufgestiegen. Schon da war klar, dass es für uns nur ums nackte Überleben gehen wird. Wenn man sich die anderen Mannschaften anschaut, haben die meisten auch ganz andere finanzielle Mittel und eine andere Vereinsphilosophie. Wir setzen auf junge Spieler aus der direkten Umgebung, das braucht Zeit, die wir im Prinzip nicht haben. Die Rheinlandliga ist keine Entwicklungsliga, sondern vielmehr ein Haifischbecken.
Das klingt nicht nach überbordendem Optimismus.
Nein, das klingt nach Realismus. Dennoch sehe ich Punkte, an denen wir ansetzen, bei denen wir uns verbessern können, um vielleicht am Ende doch noch über dem Strich zu stehen. Dazu gehört beispielsweise der Umgang mit Nackenschlägen. In der Vergangenheit war es so, dass wir nach Rückständen oft schnell das zweite und das dritte Gegentor bekommen haben. Da müssen wir leidensfähiger werden, dürfen durch einen Rückschlag nicht die Einstellung zum Spiel ändern, sondern müssen weiter eine positive Grundstimmung bewahren. Die 0:8-Klatsche gegen Schneifel vor der Winterpause war ein gutes Beispiel dafür. Da gab es binnen fünf Minuten vier Gegentore, da war die Moral dann irgendwann komplett gebrochen. Hier ist es sicherlich auch meine Aufgabe, diese Positivität vorzuleben, für eine positive Grundstimmung zu sorgen. Und am Ende des Tages ist das eine Frage von Charakter und Moral. Ich glaube, ein Problem lag auch darin, dass zu Beginn der Saison ordentlich gepunktet wurde, dadurch hat sich ein wenig eine Selbstzufriedenheit eingeschlichen, so nach dem Motto: Es geht ja auch eine Klasse höher. Und dann gibt man etwas weniger Gas – und schon reicht es nicht mehr. Diesen Prozess bekommt man nach so einem intensiven Jahr dann auch nicht mehr aufgehalten.
Diese realistische Einschätzung der Situation hört sich so an, als wäre der Verein im Winter auch nicht in Aktionismus verfallen, um die Klasse um jeden Preis zu halten.
Genauso ist es. Wir haben mit Jan-Lucca Schneider, der von der SG Müschenbach zu uns kam, einen Neuzugang. Er ist auf dem Flügel zu Hause, schnell, technisch versiert, und was uns vor allem wichtig war, er passt auch menschlich perfekt zu uns, hat sich schnell eingelebt. Ansonsten gehen wir mit dem gleichen Kader in die noch verbleibenden Partien. Mit unserem Kapitän David Gläser, der wegen eines Mittelfußbruchs bislang nur ganz sporadisch zum Einsatz kam, und Tom Holzhäuser, der einen Innenbandriss im Knie hatte, haben wir aber zwei Optionen mehr zur Verfügung. Und zum Glück sind wir bislang, von kleineren Wehwehchen abgesehen, von Verletzungen verschont geblieben.
Wie sieht es denn mit Blick auf die Planungen für den kommenden Sommer aus?
Sehr gut. Bis auf zwei, drei Spieler haben alle Jungs zugesagt, und das auch unabhängig von der Ligazugehörigkeit. Das ist ein gutes Zeichen und zeigt, dass es passt.
Was sind Ihre Wünsche und Hoffnungen für die noch ausstehenden Partien?
Ich hoffe, dass wir die nötige Disziplin und die Basics auf den Platz bringen. Wenn uns das gelingt, dann können wir es sicherlich jeder Mannschaft schwer machen. Die Jungs müssen ihr Herz auf dem Platz lassen, alles in die Waagschale werfen. Dazu gehört es eben auch zu leiden, die Wege zu gehen. Der Kopf spielt dabei natürlich eine große Rolle, auch in diesem Bereich hoffe ich, einwirken zu können. Noch ist nichts verloren, das rettende Ufer ist weiter in Reichweite.