RZ-SERIE: Frauenfußball in Rheinland-Pfalz (1) – Mit einer Stadtmannschaft zur WM nach Italien

Am 26. Juni beginnt die WM der Frauenfußballerinnen in Deutschland. Zu diesem Anlass nimmt die Sportredaktion in einer vierteiligen Serie die Entwicklung des Frauenfußballs in Rheinland-Pfalz unter die Lupe. Zum Auftakt erinnert Stefan Kieffer an die Anfänge des „unweiblichen“ Sports, für den der DFB erst 1970 grünes Licht gab.

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Rheinland-Pfalz. Jahrzehntelang haben die Männer den Fußball für sich gehabt. Zunächst stoppen die Nazis die beginnende Emanzipation der Fußball spielenden Frauen in den 30er-Jahren. Dann, nach dem Krieg, verhängt der Deutsche Fußball-Bund 1955 sogar ein offizielles Verbot des Damenfußballs. Faktisch herrscht in den 50ern und 60ern hierzulande die Diktatur des Patriarchats, getragen von der Überzeugung, das starke Geschlecht sei dem schwachen weiblichen von Natur aus überlegen. Auch im Sport.

Und weil es dafür keine Argumente gibt, stricken sie sich halt welche. Schon vor dem Krieg haben Wissenschaftler behauptet, „Frauengeist und Frauenkörper“ müssten unweigerlich Schaden nehmen bei sportlicher Betätigung. „Der Mann kann im Kampf heldische Größe erreichen, das echte Weib nie, denn die weibliche Eigenart entbehrt des Kampfmoments.“ 1955 stellt der Psychologe Fred J.J. Buytendijk unwidersprochen fest: „Das Treten ist wohl spezifisch männlich, ob darum Getretenwerden weiblich ist, lasse ich dahingestellt. Jedenfalls ist das Nicht-Treten weiblich.“

Solcher Kokolores gefällt den alten Herren im DFB, der Damenfußball aus „grundsätzlichen Erwägungen und ästhetischen Gründen“ strikt ablehnt. Konkreter klingt das so: „Organisatorisch gibt es wohl kaum eine geschlossenere Sportart als den Fußball – vielleicht, weil keine Frauen dabei sind.“

Erst im Zuge der gesellschaftlichen Umwälzungen der ausgehenden 60er-Jahre beanspruchen die Frauen ihr gutes Recht auf Gleichbehandlung, auch auf dem Sportplatz. Überall im Land schießen kickende Frauschaften wie Pilze aus dem Boden.

Meist beginnt der Damenfußball, wie er bis 1995 offiziell heißt, als Gaudi. So auch in Bad Neuenahr, wo der damalige Wirt der Königsstuben, Heinz Rech, neben seiner männlichen Thekenmannschaft auch ein Frauenteam kicken lässt, um den Bierumsatz zu steigern. Nicht nur beim Publikum übrigens. Doch aus dem ersten Juxteam, dessen Protagonistinnen beim 0:2 gegen Ochtendung im November 1969 „mehr über als gegen den Ball traten“, wie ein Zeitzeuge berichtet, ist schon im nächsten Frühjahr eine spielstarke und ehrgeizige Mannschaft geworden. Gebildet aus sportlichen Frauen, die zumeist schon als Kinder auf der Straße gekickt haben, mit Brüdern, Freunden, Schulkameraden, und die vor dem Frauenfußballverbot in andere Sportarten wie Handball oder Leichtathletik ausgewichen sind.

In Bad Neuenahr ist es Heinz Günter Hansen, Lotto-Bezirksleiter und Vereinsjuwel im SC 07, der die Chancen der neuen Bewegung früh erkennt und sich der kickenden Frauen annimmt. Hansen besorgt Spielerinnen und Gegnerinnen sowie das nötige Kleingeld für Trikots und Busfahrten und plant für das erste Maiwochenende 1970 ein Frauenfußballturnier in Bad Neuenahr mit zwölf Mannschaften und einem umfangreichen Rahmenprogramm. Das Turnier wird zur festen Einrichtung und darf sich bald „größtes Damenfußballturnier der Welt“ nennen.

Einladung per Telegramm

Wenige Tage vor dem Startschuss zur Turnierpremiere flattert den Neuenahrern aus Italien ein Telegramm mit der Einladung zur Damenfußball-Weltmeisterschaft im Juli 1970 ins Haus.

In Neuenahr herrscht helle Aufregung. Doch die Ernüchterung folgt schnell. Zwar hat der Fußballverband Rheinland, der schon damals den kickenden Frauen sehr aufgeschlossen gegenübersteht, nichts gegen eine WM-Teilnahme des SC 07, doch der allmächtige DFB legt sein Veto ein. Schließlich hat das strikte Damenfußballverbot von 1955 noch immer Bestand. Schweren Herzens sagt Hansen den Italienern ab.

Heinz Schumacher, der Sportchef der „Rhein-Zeitung“, machte sich seinerzeit so seine eigenen Gedanken: „Was könnte denn den Damen aus Bad Neuenahr passieren, wenn sie auch ohne den Segen des DFB nach Italien führen? Kein Hahn krähte danach. Und wenn: Man gewöhnt sich sogar an das Hähnekrähen. Sollen sie doch die Bad Neuenahrerinnen aus dem DFB ausschließen. Aber die Teilnahme an einer WM kommt nie wieder. Das wäre doch ein Späßchen, oder?“

Derart ermutigt, hat ausgerechnet der sportbegeisterte Bürgermeister der Stadt die rettende Idee: Fahrt doch als Stadtmannschaft Bad Neuenahr zur WM, schlägt Rudolf Weltken vor, das kann nicht mal der DFB verhindern. Außerdem bietet diese Konstruktion die Chance, die unerfahrene Mannschaft mit der einen oder anderen Spielerin aus anderen Klubs zu verstärken. Auf dem Weg nach Süden macht die Delegation des SC 07 Station im schwäbischen Illertissen halt, um drei „Gastspielerinnen“ einzusammeln und ein Testspiel zu absolvieren. Vor mehr als 3000 Zuschauern siegen die WM-Fahrerinnen mit 5:1 und werden anschließend, weil sich die Feierlichkeiten doch etwas hingezogen haben, im Feuerwehrauto mit Blaulicht nach Ulm an den Bahnhof gebracht, damit sie ihren Zug nach Genua noch erreichen.

Von Empfang zu Empfang

In Italien werden die Gäste aus Deutschland erst einmal von Empfang zu Empfang herumgereicht und bestaunt. Schon am nächsten Tag steht das Auftaktspiel gegen England auf dem Programm. 10 000 Zuschauer bereiten den beiden Mannschaften einen überwältigenden Empfang, die Nationalhymnen werden gespielt – und dann bekommen die deutschen Fußballerinnen „Fünf aufs Höschen“, wie die „Bild-Zeitung“ süffisant titelt. Dass sie diese Schlagzeile vom 1:5 mit einem Bild von Torfrau Maria Nelles garnieren, sorgt in der Heimat für Aufregung: „In der ganzen Eifel gab es keine Bild-Zeitung mehr zu kaufen“, erinnert sich die Torhüterin, die heute Maria Breuer heißt. Am späten Abend erfahren die Bad Neuenahrerinnen, dass sie am nächsten Tag schon wieder spielen sollen – 300 Kilometer weiter südlich, in Bologna, gegen Dänemark.

Nach kurzer Nachtruhe und fünfstündiger Bahnfahrt sind die Deutschen kein adäquater Gegner für die Fußball erfahrenen Däninnen, die 6:1 gewinnen. Wie schon gegen England, erzielt wiederum die 15-jährige Torjägerin Martina Arzdorf den Ehrentreffer, was ihr zusammen mit Vater Leo und Trainer Heinz Schweden einen Auftritt im ZDF-Sportstudio beschert.

Nach der Rückkehr aus Italien erweitern die Neuenahrerinnen ihr Aufgebot um weitere Gastspielerinnen aus Bendorf, Wörrstadt oder Köln und tragen insgesamt noch fünf weitere „Länderspiele“ aus. Und im letzten gelingt auch der erste Sieg: Am 1. November 1970 gewinnt die „Stadtmannschaft Bad Neuenahr“ vor 4000 begeisterten Zuschauern in Wörrstadt gegen Italien mit 2:0. Tags zuvor haben die Delegierten des DFB-Bundestages in Travemünde mit 153:2 Stimmen das Verbot des Frauenfußballs aufgehoben. Von nun an nimmt der DFB die Geschicke der kickenden Frauen in seine zunächst ausschließlich männlichen Hände, mit dem Ergebnis, dass bis zum nächsten, dem ersten „offiziellen“ Frauen-Länderspiel mit deutscher Beteiligung, ganze zwölf Jahre vergehen.

Von unserem Redakteur Stefan Kieffer

Im nächsten Serienteil lesen Sie: Die 70er-Jahre und die Dominanz der TuS Wörrstadt