Wie die 37-jährige Wahlmainzerin zur Politik kam - und warum sie ohne den typischen Stallgeruch der Ökopartei den Aufstieg schaffte
So tickt die neue grüne Ministerin Katharina Binz: Wie die 37-jährige Wahlmainzerin zur Politik kam
Ministerin für Familie, Frauen und Integration – und dazu auch noch für die Kultur: Katharina Binz ist ein neues Gesicht im Landeskabinett. Foto: dpa
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Rheinland-Pfalz. Grünen Politikern wird schnell vorgeworfen, eher ideologisch zu denken. Das mag im Detail oft ein (völlig) überzogener Vorwurf sein, haftet aber wie Schweröl am gestrandeten Wasservogel, weil sich die Grünen in ihrer Gesamterzählung oft selbst mystifizieren. Die Klimakrise wird zu einer apokalyptischen Erzählung. So präsentiert man sich als Retter und Weltenerwecker, gespeist von den eigenen Wurzeln in den Friedens-, Anti-Atom- und Umweltbewegungen der 60er-, 70er- und 80er-Jahre. Zu Katharina Binz passen diese Storys nicht.

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Es gibt aber einen schönen Satz der neuen Ministerin für Familie, Frauen, Kultur und Integration, der zeigt, wie die 37-Jährige tickt: „Wer keinen Hausarzt findet, dem ist es scheißegal, ob seine Kasse Homöopathie bezahlt“, sagte Binz vor rund eineinhalb Jahren auf dem Parteitag. So tickt Binz. Nur weil die Grünen sich der Rettung des Planeten verschrieben haben, ist sie sich nicht zu schade, auch die alltäglichen, vermeintlich banalen Probleme anzugehen. Eine Erklärung liegt vermutlich in der politischen Sozialisation der Wahlmainzerin. Katharina Binz hat nicht den üblichen Stallgeruch der Altvorderen, hat sich nicht vor Atomkraftwerken oder Militäranlagen wegtragen lassen. Als Teenagerin wächst sie im 130-Einwohner-Dorf Moritzheim im beschaulichen Hunsrück auf, inmitten einer relativ unpolitischen Familie.

Zu ihrer Zeit als Mittelstufensprecherin am Cochemer Gymnasium, wo sie 2003 ihr Abitur ablegte, sagt ein Mitschüler: „Man hat ihr zwar politische Ambitionen angemerkt, sie aber nicht in Verbindung mit den Grünen gebracht.“ Katharina Binz entdeckte erst an der Uni Mainz ihr Herz für die Politik. „Da habe ich bei einer Diskussion über Studiengebühren Daniel Köbler kennengelernt. Relativ schnell bin ich dann bei den Grünen in die Verantwortung gekommen“, sagt die Politikwissenschaftlerin, die ihr Studium mit einem Bachelor abschloss.

Sie wird Asta-Vorsitzende, 2013 Chefin der Landespartei. Im Landtag und den Ausschüssen gilt sie als beschlagen und beharrlich. „Sie ist in ihren Themen sehr sattelfest“, betont ein Mitglied des Landtages anerkennend. Katharina Binz hat sich in ihre Spezialthemen stark eingearbeitet. Mitunter kam sie gerade vor großem Publikum rhetorisch eher hölzern daher, hat aber auch hier deutliche Fortschritte gemacht. In der heißen Phase der Flüchtlingsdebatte, als ihre Vorgängerin Anne Spiegel sich in den Ausschusssitzungen scharfer Attacken von CDU und AfD ausgeliefert sah, gab Binz stets den Bodyguard. Gerade Rededuelle mit dem heutigen AfD-Fraktionschef Frisch waren argumentativ auf höchstem Niveau anzusiedeln. Binz wirkte dabei so, als hätte sie auf jede Attacke schon eine Abwehrreaktion vorbereitet. Dass Spiegel eine intern so unumstrittene Spitzenkandidatin werden konnte, hängt auch mit dieser – oft undankbaren, weil wenig sichtbaren – Arbeit der neuen Ministerin zusammen.

Dabei hätte sie es beinahe überhaupt nicht in den Landtag geschafft. Katharina Binz kennt sich mit Zitterpartien aus. Vor fünf Jahren bangte sie mit ihren Parteifreunden um den Wiedereinzug der Grünen ins Landesparlament. Sie selbst ging in ihrem Heimatkreis an der Mosel baden. Nach einem nur mikroskopisch wahrnehmbaren Wahlkampf. Wenige Monate später, im Januar 2017, schaffte sie als Nachrückerin den Einzug in den Landtag. Jetzt hat sie auf den letzten Metern ihrem Konkurrenten von der SPD mit 177 Stimmen das Direktmandat in Mainz abgejagt – wiederum ein Zittermoment.

Ihr neues Haus ist politisch betrachtet kein Selbstläufer. Während der Koalitionsverhandlungen gab es nicht wenige Grüne, die das Ministerium gern abgestoßen hätten. Die Gründe: immer Ärger mit der Asylpolitik. Anne Spiegel kann ein Lied davon singen. Gewährte sie großzügige Härtefallregelungen, polterten die Justiz und Verfassungsgerichtspräsident Lars Brocker. Als Rheinland-Pfalz dann plötzlich Spitzenplätze bei den Abschiebungen einnahm, ließ man das kleinlaut über die Staatskanzlei von Malu Dreyer (SPD) kommunizieren. Bei der CDU spotteten sie über „Abschiebe-Anne“. Für Projekte in den anderen Bereichen fehlte oft schlichtweg das Geld. Nun kommt zu den vielen Aufgaben auch noch eine Art Kulturanhängsel, allerdings erneut ohne die finanzkräftigen Teile. Die Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz fällt ins Innenministerium. CDU-General Jan Zimmer spricht von einem „reinen Versorgungsministerium“.

Binz, die im Wahlkampf viele Anhänger mit kreativ zusammengestellten Playlists auf dem Musikportal Spotify begeistern konnte, setzt trotzdem in den ersten Wochen ihrer Amtszeit viel auf Kultur. Ihr Vorgänger in diesem Ressort, Konrad Wolf (SPD), hatte sich oft vorwerfen lassen müssen, dass er zwar kulturinteressiert sei – allerdings eher privat als politisch. Bei der Personalauswahl bewies Binz gutes Gespür. Der ehemalige Kultursommer-Chef Jürgen Hardeck ist in der Szene beliebt.

Binz muss sich vor allem darauf konzentrieren, bei Finanzverhandlungen möglichst viel Geld für ihre Projekte herauszuschlagen. Mit David Profit als Amtschef holte sie einen Rheinland-Pfälzer. Das ist ein wichtiges Symbol, denn nicht wenige Grüne im Land rümpften die Nase über „Importe“ wie Christiane Rohleder oder Thomas Griese. Strippenzieher hinter den Kulissen wird ein Binz-Intimus: Der ehemalige stellvertretende Regierungssprecher Janosch Littig war schon in den Koalitionsverhandlungen einer der wichtigsten grünen Sherpas (Politikersprache für Unterhändler). Nun wird Littig ihr Büroleiter. Was beide neben der gemeinsamen Studienzeit verbindet: der Pragmatismus.

Von Carsten Zillmann und Thomas Brost

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