Koblenz
"Rückpass" von Jochen Dick: Ein Hausschwein im EM-Fieber
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Koblenz - Eine Frage: Wie fühlen Sie sich? Gut? Gut. So soll es sein. So muss es sein.Schließlich steht die Fußball-EM vor der Tür. Und da kann man sich nur gut fühlen. Zumindest besagt das eine Studie.

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Koblenz – Eine Frage: Wie fühlen Sie sich? Gut? Gut. So soll es sein. So muss es sein.

Schließlich steht die Fußball-EM vor der Tür. Und da kann man sich nur gut fühlen. Zumindest besagt das eine Studie. Die EM macht gute Laune, verspricht die Erhebung eines namhaften Versicherers. Der Titel dieser Umfrage stand bereits vor der Erhebung fest: Zuversichtsstudie, um erst gar keine schlechte Stimmung aufkommen zu lassen.

Jedenfalls sind demnach 36 Prozent der deutschen Männer schon im EM-Fieber, nur zwölf Prozent der Frauen. Die Aussicht auf Kerle, die laut grölend (Schlaaand!), dürftig duftend (Bier, Polyester-Trikots) und mäßig angezogen (Sonnenhut in den Landesfarben, weiße Socken, fleischfarbene Sandalen) die Feierabende begehen, lässt die Zuversicht wohl rapide schwinden. Viele sind schon im EM-Tunnel, spätestens seitdem die Mannschaftskader bekannt gegeben wurden; seitdem klar ist, dass Fetfatzidis keine Stoffwechselkrankheit ist, sondern ein griechischer Mittelfeldspieler; seitdem feststeht, dass hinter Behrang Safari nicht etwa ein günstiges Afrika-Urlaubsangebot steckt, sondern ein schwedischer Stürmer; seitdem man die zehn polnischen Mittelfeldakteure durchgegangen und in ihren Nachnamen auf zusammen 31 Vokale und 51 Konsonanten gekommen ist.

Namen, Zahlen, Statistiken, Zusatz- und Hintergrundinformationen – in diesen Tagen prasseln auf einen unfassbar viele EM-Daten und -Fakten ein. Da ist selektives Weiterverwerten hilfreich, ansonsten verliert man in dieser Info-Flut den (Über-)Blick fürs Wesentliche. Dass die LED-Leuchten am Stadion in Warschau von jener Firma stammen, der der rotköpfige Bayern-Trainer Jupp Heynckes seinen Spitznamen verdankt, ist zu vernachlässigen. Ebenso die Tatsache, dass der wasserabweisende Außenklebstoff des EM-Spielballs Tango 12 von jener Firma konzipiert wurde, die sich ansonsten auf Kopfschmerztabletten und mittelmäßigen Bundesliga-Fußball spezialisiert hat.

Gemeinhin kann man es ohnehin nicht erzwingen, dass man vom EM-Fieber erfasst wird. Sonst geht es einem so wie dem Kollegen aus der Sportredaktion, der sich in den Toskana-Urlaub einen Fußball-Roman mitnahm, um in Stimmung zu kommen. „Euro Psycho“ hieß das Werk, und nach 352 quälend langen Seiten landete es im Papierkorb. „Nie wieder ein Fußball-Buch“, schimpfte der übel gelaunte Kollege, der zu allem Überfluss auch noch eine Erkältung mit nach Hause brachte. Dass sein Körper über die Abwehrmechanismen eines Igels an der A 3 verfügt, sei hier nur am Rande erwähnt. EM-Fieber geht übrigens auch in den anstehenden 24 Turniertagen nicht als Krankheit durch ...

Vielmehr als ein um sich greifender Gute-Laune-Virus, der seit Längerem schon durch Tipp-Runden in Kneipen, Freundeskreisen und Internet-Plattformen verstärkt wird. Wieder einmal werden ausgewiesene Fußball-Experten sämtliches Fachwissen in ihre Tipps packen, um am Turnierende doch von einem ausgewiesenen Laien (oder noch demütigender: einem weiblichen Tipper) um Längen geschlagen zu werden.

Bei der WM 2010 machte sogar ein tumber Tintenfisch aus Oberhausen den Tipp-Experten etwas vor. Das Orakel Paul sagte damals alle Partien mit deutscher Beteiligung richtig voraus. In diese Rolle sollen bei der Euro 2012 wahlweise ein Hausschwein aus dem ukrainischen Poltawa und ein Dickhäuter aus dem südpolnischen Krakau schlüpfen. Funtik, der Eber, und Citta, die Elefantendame, werden an den Spieltagen zwischen zwei Futtergaben mit den Fahnen der antretenden Mannschaften wählen. Und falls es im Falle von Funtik nichts wird mit dem Triumph der Gastgeber, bietet sich eine Anschlusskarriere an – direkt in der Ukraine, wo Salo-Speck und Schaschlik zu den landestypischen Köstlichkeiten zählen.

Was das alles mit Fußball zu tun hat? Herzlich wenig. Wen's trotzdem interessiert, den hat es schon längst gepackt, das EM-Fieber. Jochen Dick

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