Emotionale Worte von Feuerwehrleuten im U-Ausschuss: „Wir haben einen Krieg geführt“
„Dieses Nachbohren, dieses Infragestellen – das trifft einen, das macht einen fertig“, sagt der Wehrleiter der Verbandsgemeinde Adenau. Er wisse, dass die U-Ausschussmitglieder hier ihren Job machten, versuchten, Aufklärung zu leisten. Nur: Wenn man als Zeuge in das Gremium geladen werde, „fühlt man sich an den Pranger gestellt“, sagt der 59-Jährige. Der Ausschussvorsitzende Martin Haller (SPD) dankt Merten für seine offenen Worte, man habe „allergrößtes Verständnis“ für sein Empfinden. Dennoch habe man den Auftrag, die Umstände des Hochwassers, bei dem im Ahrtal 134 Menschen starben, aufzuklären. Das Gremium versuche, die Befragung so angenehm wie möglich zu gestalten. Merten antwortet: Seine Äußerungen seien nicht als Vorwurf zu verstehen. Er habe lediglich auf die Frage geantwortet, wie es ihm gehe.
Durch Dieter Mertens Darstellung bekommen die Parlamentarier eine Vorstellung, was am 14. Juli 2021 tagsüber und nachts im Flutgebiet los war. Der VG-Wehrleiter sagt: „Wir haben einen Krieg geführt, auf langer Front.“ Nach zwei, drei Stunden habe man „nichts mehr gehabt. Das Eigene, was wir hatten, war zerstört.“ Merten meint zum Beispiel die Materialien zur Rettung. „Unsere Waffen, unsere Unterlagen konnten wir nach einer Stunde wegwerfen.“ Handeln nach irgendwelchen Hochwasserplänen – unmöglich.
Agieren im Ausnahmezustand
Stattdessen Agieren im Ausnahmezustand. Man habe in die Nacht hinein Entscheidungen getroffen, ein genaues Lagebild von dem, was geschehen war, habe er sich „frühestens am 16., 17. oder 18. Juli machen können“. Der nächste eindrückliche Satz des 59-Jährigen lautet: „Irgendwann ging es nur darum, das eigene Leben zu schützen.“ Er sei am 16. Juli morgens um 4 Uhr nach Hause gefahren, habe um 5.30 Uhr auf seinem Bett gesessen „und Rotz und Wasser geheult“. Er habe über Tage nicht schlafen können. Seine Gedanken seien darum gekreist, wie die Menschen nach dem Unglück an Trinkwasser kommen können.
Merten macht auch eine eindeutige Aussage zur Frage, ob es denn im Vorfeld der Sturzflut Hinweise oder Warnungen gab. Der Wehrleiter sagt: „Niemand hat auf das, was gekommen ist, hingewiesen.“ Und: „Es gab am 14. Juli keine einzige Wetterwarnung, weder von Jörg Kachelmann noch von sonst jemandem.“ Eine Anspielung auf die Ausführungen des Wettermoderators im U-Ausschuss. Kachelmann hatte im Januar unter anderem ausgesagt: „Niemand hätte sterben müssen.“
Katastrophe? Ja oder nein?
Dieter Merten widerspricht: Das Ausmaß der Flutkatastrophe – Merten sagt mehrmals, niemand habe von einer Katastrophe gesprochen – sei überhaupt nicht absehbar gewesen. „Es hat Warnungen gegeben, aber immer nur vor Starkregen.“ Ab circa 17 Uhr seien alle 23 Feuerwehreinheiten der Verbandsgemeinde Adenau im Einsatz gewesen. Boote hätten nicht eingesetzt werden können, weil „so viel“ Unrat in der Ahr geschwommen und die Strömung so stark gewesen sei.
Neben Merten sagen mehrere Zeugen aus, dass es bis zum Tag der Sturzflut keinen Verschluss von Brücken mit Treibgut, sogenannte Verklausungen, gegeben habe. Guido Nisius, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Adenau, sagt: „Verklausungen waren erst mal nicht zu erahnen. Alle Brücken waren frei.“ Allerdings hätten die Ortsbürgermeister der Verbandsgemeinde irgendwann vor dem Unwetter Totholz aus dem Uferbereich entfernen wollen, die Naturschutzbehörde habe dies aber untersagt. Udo Adriany, Bürgermeister von Müsch, sagt: „Das Gewässer wird im Prinzip nicht gepflegt.“
Auch die Ausführungen von Tobias Lussi, Wehrführer der Feuerwehr Schuld, geben einen Einblick, was während der Flutkatastrophe los war. Er sei mit einer Einheit zunächst in Antweiler unterwegs gewesen und gegen 22 Uhr wieder in Schuld angekommen. Statt der üblichen 10 bis 15 Minuten Fahrzeit habe seine Truppe ganze drei Stunden gebraucht. In Schuld angekommen, sei „die Katastrophenlage für uns greifbar geworden“. Man habe es mit einem „unvorstellbaren Hochwasser“ zu tun gehabt. Das Wasser habe acht Meter hoch gestanden und sei mit einer Geschwindigkeit von 50 Kilometern pro Stunde durch die Landschaft gerauscht. Lkw und Überseecontainer seien angeschwemmt worden. Seine Truppe sei zwischenzeitlich kurz vom Wasser eingeschlossen gewesen.
Emotionale Berichte zur Flut
„Wie durch ein Wunder“ habe man sich aber befreien können, berichtet der 26-Jährige. Er habe dann eine Lagemeldung mit der Information abgesetzt: „Viele von Wasser eingeschlossene Personen, viele davon lebensbedrohlich eingeschlossen.“ Daraufhin habe er (nach 22 Uhr) Hubschrauber mit Seilwinden und Schwimmpanzer angefordert. Die seien erst später eingetroffen. Der Wehrführer berichtet weiter, dass er eine Einheit aus Feuerwehr und Deutscher Lebensrettungsgesellschaft zusammengestellt habe. „Wie durch ein Wunder“ habe die Gruppe viele Menschen retten können. Spannend: Lussi informiert, dass in Schuld „Fußstreifen“ unterwegs gewesen seien, um die Einwohner zu warnen. Allerdings hätten die Kameraden von älteren Bürgern öfter die Antwort erhalten, sie würden schon 50 Jahre im Ort wohnen – man brauche ihnen nicht erzählen, was zu tun sei.
Mehrere Zeugen sagen aus, dass sich die Rettung von Menschen vom Campingplatz Stahlhütte in Dorsel verzögert habe. Der Grund: Der Campingplatzbetreiber habe die Lage zunächst nicht so dramatisch eingeschätzt – und den Platz nicht räumen wollen. Torsten Möseler, Wehrführer der Freiwilligen Feuerwehr Barweiler, sagt: „Da stand er nicht dahinter.“ Er habe stattdessen mit dem Traktor Wertgegenstände sichern wollen, erinnert sich Möseler. Dabei sei „immer schneller das Wasser gekommen, es wurde unmöglich, die Campingplatzeinrichtung zu durchsuchen“. Fünf Leute habe man retten können, andere Personen, die im Wasser gewesen seien, „waren irgendwann verschwunden, inklusive unserer Kollegin“, erklärt der Wehrführer der Freiwilligen Feuerwehr Barweiler betroffen.
Der Campingplatzbetreiber stellt dies anders dar. Er berichtet, dass er nachmittags zwei Runden über die Anlage gelaufen sei. Er habe den Zeltbewohnern gesagt, dass es „sinnvoll“ sei zu gehen. Mit den Leuten diskutiert habe er nicht, die meisten seien seiner Aufforderung gefolgt. Auf die Frage des Ausschussvorsitzenden Martin Haller, ob er den Platz zweimal abgelaufen sei, um die Menschen zu warnen, antwortet der Selbstständige kurz und knapp mit einem „korrekt“.
Die Rolle des Nürburgrings
Tobias Michels von der Air Rescue Nürburgring, Tobias Frischholz von der Polizeistaffel Hessen und der ADAC-Rettungspilot Stefan Goldmann schildern eindringlich, wie sie bei eingeschränktem Digitalfunk, technischen Problemen und schlechter Sicht versuchten, Menschen zu retten. „Es gab keine Vorabinfo, dass es zu solchen Einsätzen kommen konnte“, sagt Frischholz. An der Stimme der Kollegen habe man hören können, „dass in der Leitstelle in Koblenz richtig der Punk abgeht“. Er habe gesehen, „wie Menschen unter uns in Autos ertrinken, um Hilfe rufen, und ich kann ihnen nicht helfen, weil ich keine Winde habe“, berichtet Goldmann. Mit einem Handyvideo, das er auch an die Leitstelle Koblenz schickte, habe er versucht, alles zu alarmieren, um die Situation in den Griff zu kriegen.
Polizeiwache ist wieder eröffnet
Die Ahrflut hat auch das Polizeigebäude in Bad Neuenahr-Ahrweiler beschädigt – nun hat es der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) wieder in Betrieb genommen. „Wir haben uns bewusst auf die Sanierung dieses Dienstgebäudes fokussiert, damit die Polizei wieder fußläufig in der Innenstadt zu erreichen ist“, sagte Lewentz. Das trage zum Sicherheitsempfinden bei.
Der Kriminaldienst und das Sachgebiet Jugend sollen erst in den kommenden Wochen zurückkehren. Lewentz überreichte in Bad Neuenahr-Ahrweiler zudem zwölf Förderbescheide von insgesamt 11,3 Millionen Euro aus dem Sondervermögen Aufbauhilfe 2021. Die Flut hatte Tausende Gebäude sowie Straßen, Brücken und Gleise zerstört. Das Geld soll beispielsweise in Technik, Fahrzeuge und provisorische Gebäude für die Feuerwehr sowie in elektronische Warnsirenen mit der Möglichkeit für Sprachdurchsagen fließen. dpa