Rheinland-Pfalz

Malu Dreyer spricht über die Probleme beim Wiederaufbau: „Die Menschen wollen ihr Ahrtal zurück“

Von Kerstin Münstermann
Malu Dreyer
Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) besucht anlässlich des Jahrestages der Flutkatastrophe zusammen mit dem Bundespräsidenten eine Tischlerei in dem Ort. Foto: Boris Roessler/DPA

Malu Dreyer ist krisenerfahren. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin beobachtet aber auch, wie krisenmüde die Menschen sind. „Wir haben sich überlappende Krisen in einer Zeit, in der wir ohnehin in der Transformation stecken. Das fordert die Menschen ungemein, und man spürt, alle sind am Limit“, sagt sie im Interview mit unserer Zeitung. Darin spricht sie auch über ihre Lehren aus der verheerenden Flutkatastrophe im Ahrtal und darüber, wie gut der Wiederaufbau funktioniert:

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Die Flut im Ahrtal und in Nordrhein-Westfalen liegt ein Jahr zurück – was hat die Politik gelernt?

Es gibt keinen Beteiligten, der aus der Katastrophe keine Konsequenzen gezogen hat. Wir leben in einer Zeit, in der der Klimawandel so weit fortgeschritten ist, dass Extremwetterereignisse keine Ausnahme mehr sind. Wir kannten schlimme Hochwasser in Rheinland-Pfalz, aber diese Flutkatastrophe hat selbst Jahrhunderthochwasser wie zuletzt 2016 weit, weit übertroffen. Wir konnten bis zu diesem 14. und 15. Juli des vergangenen Jahres Katastrophen mit der Organisation bekämpfen, die im Landesbrand- und Katastrophenschutzgesetz festgelegt ist. Das hat nach dem Prinzip funktioniert, wer am nächsten dran ist am Unglück, der führt die Lage, weil er die beste Ortskenntnis und damit die beste Lageeinschätzung hat. Das hat im vergangenen Juli in vier Landkreisen funktioniert. In einem nicht, und das hatte schreckliche Folgen. Deswegen überprüfen wir alles und beraten uns mit Experten, um unsere Hochwasserkonzepte anzupassen und den Katastrophenschutz weiterzuentwickeln. Dem tragen wir beim Wiederaufbau im Ahrtal natürlich bereits Rechnung.

Was heißt das konkret? Dass Grundstücke, die jetzt brachliegen, auch unbebaut bleiben?

Wir haben sehr schnell nach der Flutkatastrophe das vorläufige Überschwemmungsgebiet neu ausgewiesen. Im besonders gefährdeten Bereich dürfen keine neuen Wohngebiete mehr entstehen und zerstörte Häuser nicht mehr neu aufgebaut werden. In den gefährdeten Bereichen fördern wir bei bestandsgeschützten Gebäuden eine hochwasserangepasste Bauweise bis hin zum Ersatzneubau an anderer Stelle. Wir empfehlen den Menschen in den besonders gefährdeten Gebieten aber, selbst wenn sie Bestandsschutz haben, an anderer Stelle aufzubauen. Zugleich unterstützen wir auch die Suche der Kommunen nach hochwassersicheren Ausweichflächen.

Die Menschen haben einen starken Willen, aber sie beklagen auch, dass die Politik sie zurücklässt. Wie begegnen Sie diesem Vorwurf?

Mein Kabinett und ich sind regelmäßig im Ahrtal, zum Jahrestag kamen Kanzler und Bundespräsident zum wiederholten Male, und signalisieren: Nein, ihr seid nicht vergessen. Wir sind im ständigen Austausch mit den Akteuren im Ahrtal. Trotzdem habe ich Verständnis für die Bevölkerung: Es ist ein so schlimmes Leid, und auch die seelischen Wunden sind noch nicht geheilt. Am Jahrestag bricht zudem vieles wieder auf. Das Schadensausmaß ist so groß. Und viele wollen, dass es einfach wieder gut wird und der Wiederaufbau schneller vorangeht. Die Menschen wollen ihr Ahrtal zurück.

Wie ist Ihr persönlicher Eindruck von den Fortschritten?

Es hat sich sehr viel verändert. Es gibt Abschnitte, die sind wieder komplett zum Leben erwacht. Aber es gibt auch viele Häuser, die noch im Rohbau befindlich oder ganz zerstört sind. Erst in dieser Woche habe ich ein Hotel besucht, das am Wochenende wieder öffnet und bereits ausgebucht ist. Genau daneben steht ein Hotel, wo gar nicht an Wiedereröffnung zu denken ist. Aber es ist sehr beeindruckend, wie viel Heimatliebe es im Ahrtal gibt und wie viel Kraft in den Menschen steckt. Und Touristen sollten keine Scheu haben, wieder ins Ahrtal zu fahren.

Ohne ehrenamtliche Helfer geht es nicht. Was muss man tun, um die Hilfen effizienter zu gestalten?

Man muss Wege finden, um die professionelle Hilfe und die freiwilligen Helfer in der akuten Krise besser zu verzahnen. Das haben Kommunen, Land und Bund gelernt. Das war nicht optimal.

In diesem Sommer überschlagen sich mehrere Krisen: Corona, Gas, Inflation. Hält das Land das aus?

Wir leben in einer bislang unvorstellbaren Zeit. Wir haben sich überlappende Krisen in einer Zeit, in der wir ohnehin in der Transformation stecken. Das fordert die Menschen ungemein, und man spürt, alle sind am Limit. Ich habe aber auch erlebt, die allermeisten Menschen sind solidarisch. Es gibt eine Minderheit, die ist es nicht, die ist leider auch sehr laut. Aber die Mehrheit ist und bleibt solidarisch. Davon bin ich tief überzeugt.

Wie sollte die Politik priorisieren, wenn es eine Gasmangellage geben sollte?

Diese Frage entscheidet nicht die Politik. Die Bundesnetzagentur hat die Aufgabe, im Notfall Zuteilungen zu machen. Dort werden alle Bedarfe angemeldet und ermittelt, was notwendig ist, um das Leben aufrechtzuerhalten. Da darf man jetzt auch nicht die eine Seite gegen die andere ausspielen – es geht nicht um Bürger gegen Wirtschaft. Vielmehr geht es darum, an die Bevölkerung und die Unternehmen zu appellieren, Energie einzusparen. Das hilft allen, vor allem auch dem eigenen Geldbeutel angesichts der hohen Preise. Wir alle können einen Beitrag leisten.

Ein Credo von Kanzler Olaf Scholz mit Blick auf die Sanktionen gegen Russland lautet: Wir dürfen uns selbst nicht schwächen. Wird es Diskussionen über die Solidarität mit der Ukraine geben?

Wir bekommen auf einmal ein ganz anderes Gefühl, was Krieg wirklich bedeutet. Das hat Deutschland lange nicht mehr so konkret erfahren. Wir haben Flüchtlinge aufgenommen, aber unmittelbare Kriegsfolgen hat das Land in jüngerer Zeit nicht erleiden müssen. Wir spüren die Folgen, aber ich glaube, auch in der Gesellschaft wird die Solidarität mit der Ukraine bleiben. Wir können nicht zulassen, dass ein Angriffskrieg stattfindet. Denn dann sind wir alle bedroht.

Was muss der Staat an Entlastung in der Krise gewähren?

Jetzt müssen die bereits beschlossenen Maßnahmen des Energiezuschusspakets erst mal wirken. Aber wir werden im Blick behalten, was man für Menschen mit geringen Einkommen tun muss, wenn sich die Lage weiter zuspitzt. Wir werden uns auch nur noch zielgenaue Hilfen leisten können.

Die Corona-Pandemie hört nicht auf. Dennoch kommt aus Berlin wenig Konkretes. Muss in der Corona-Politik mehr passieren?

Wir haben verabredet, dass Anfang Juli die ersten Hinweise vom Bund kommen sollen, wie die Marschrichtung aussieht. Ziel ist, Anfang September im Bundestag und am 16. September im Bundesrat ein neues Infektionsschutzgesetz verabschieden zu können. Ich setze auf die Zusage, dass wir Länder einbezogen werden und wirksame Maßnahmen für den Notfall an die Hand bekommen. Der Expertenrat hat sich ja sehr dezidiert für die Maske als fast einzig probates Mittel ausgesprochen. Jetzt muss der Bund als Gesetzgeber zunächst konkrete Vorschläge unterbreiten und auf die Länder zukommen.

Soll die Maskenpflicht in Innenräumen wiederkommen?

Wir beobachten genau, wie sich die Pandemie entwickelt. Ich denke, die meisten Menschen gehen damit schon sehr vernünftig um und nutzen die Maske klug bei Bedarf. Der Expertenrat hat klar benannt, dass die Maske der wirksamste Schutz war, daher sollte man das nicht ausschließen.