Nürburgring

Zurück zu Müllmassen? Wie nachhaltig Rock am Ring 2023 wirklich ist

Von Stefan Schalles
Auf der Fressmeile bleiben kaum Wünsche offen. Doch wie sieht es mit dem Müll aus, der hier in Form von Verpackungen und Geschirr entsteht?
Auf der Fressmeile bleiben kaum Wünsche offen. Doch wie sieht es mit dem Müll aus, der hier in Form von Verpackungen und Geschirr entsteht? Foto: Stefan Schalles

Wo Zehntausende Fans zusammenkommen, entsteht auch tonnenweise Abfall – von Rock am Ring sollte deshalb ein Vorbildeffekt ausgehen, hieß es in der Vergangenheit. Viele gute Ideen werden schon umgesetzt – andere wandern dagegen schon nach einem Jahr wieder in die Tonne.

Lesezeit: 5 Minuten
Anzeige

Als DreamHaus die Festivalleitung 2022 von Marek Lieberberg übernahm, trat die Konzertagentur mit einem klaren Ziel an: „Kurz und mittelfristig“, kündigte Geschäftsführer Matt Schwarz seinerzeit im RZ-Interview an, „wollen wir bei Rock am Ring versuchen, den Fokus auf Themen wie Nachhaltigkeit zu legen.“ Ein gutes Jahr später nun wurden die ersten Maßnahmen bereits realisiert, Weiteres soll laut DreamHaus sukzessive folgen. Doch: Ist Rock am Ring tatsächlich (schon) ein nachhaltiges Festival?

Der Istzustand: Mit der Rückkehr aus der Corona-Pause erwarteten die Ring-Rocker im vergangenen Jahr auch einige Änderungen entlang der Infrastruktur: Etwa 60 Prozent der Festivaltoiletten sind seit 2022 beispielsweise mit einer speziellen Vakuumtechnik ausgestattet, die pro Spülgang lediglich einen halben Liter statt der zuvor üblichen fünf verbraucht – eine Wasserersparnis von 90 Prozent –, auch 95 Prozent der am Ring vertriebenen Merchandise-Artikel werden inzwischen nachhaltig produziert, wie DreamHaus auf RZ-Anfrage mitteilt.

In den sozialen Netzwerken verwiesen die Rock-am-Ring-Macher kürzlich zudem auf die Kooperation mit der DB-Cargo, die Festivalgüter klimafreundlich auf der Schiene in die Eifel schicke. Ein Güterzug, hieß es, ersetze 52 Lkw, woraus sich eine CO2-Reduktion von 80 Prozent ergebe.

Langlebige Produkte statt Müll

Wobei in Sachen Nachhaltigkeit auch die Ring-Rocker selbst ihren Beitrag leisten dürfen – über die DreamHaus-Kooperation mit dem Start-up-Unternehmen Tentation etwa. Dort können Festivalbesucher vor der Abreise ihre gebrauchten Zelte abgeben; laut Tentation wurden auf diese Weise im vergangenen Jahr 23,5 Tonnen Material gerettet, das – sofern noch intakt – an gemeinnützige Organisationen gespendet wird. Material hingegen, „das nicht mehr für den eigentlichen Zweck zu gebrauchen ist“, erklärt Tentation-Gründerin Kathrin Rieber, werde umgearbeitet „zu neuen, langlebigen Produkten“.

Ein großer Wurf, der allerdings von einem noch größeren in den Schatten gestellt wird: Im vergangenen Jahr nämlich führte Rock am Ring als erstes deutsches Majorfestival ein flächendeckendes Mehrwegsystem auf Getränke und Speisen ein. Wie groß die Müllreduktion 2022 durch das neu eingeführte Konzept war, teilte DreamHaus auf Anfrage zwar nicht mit, doch dazu später mehr.

100 Prozent Ökostrom am Ring

Zunächst noch ein Blick auf das omnipräsente Thema Energie, auf den Strom, den das Festival direkt über den Nürburgring bezieht. Dort lässt man uns wissen, der Rennstreckenbetreiber decke den eigenen Bedarf zu 100 Prozent mit Ökostrom des Energielieferanten MVV. Darüber hinaus unterhält der Nürburgring auch ein eigenes Biomasseheizwerk, das den Angaben zufolge 5,3 Gigawattstunden pro Jahr für die eigene Nutzung abwirft.

Hinzu kommt eine 3500 Quadratmeter große Fotovoltaikanlage, die 2022 auf dem Dach des Ringwerks direkt an der Grand-Prix-Strecke installiert wurde und 500 000 Kilowattstunden pro Jahr zur Energieversorgung beisteuert (10 Prozent des jährlichen Strombedarfs). Die dadurch vermiedenen CO2-Emissionen belaufen sich laut Nürburgring GmbH im Fall der Solaranlagen auf 238.973 Kilogramm pro Jahr.

Vorbereitung auf Open-Air-Festival «Rock am Ring»
Wo gehobelt wird, da fallen Späne: Von Rund 70 000 Besuchern geht Rock am Ring in diesem Jahr aus. Wie können Anreise, Stromversorgung und Abfallbeseitigung nachhaltiger werden?
Foto: Thomas Frey/picture alliance/dpa

So bewerten Experten das Nachhaltigkeitskonzept am Ring: Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) stellt den DreamHaus-Verantwortlichen für ihre Anstrengungen grundsätzlich ein positives Zeugnis aus und hebt dabei vor allem das 2022 etablierte Mehrwegsystem hervor. Elena Schägg, Teamleiterin Verpackungen und Kreislaufwirtschaft bei der DUH, sagt: „Es gibt neben Rock am Ring bislang leider nur wenige Großveranstaltungen – das Münchner Oktoberfest etwa –, die auf ein solches System setzen, was problematisch ist, da der Abfall eine immense CO2-Belastung darstellt.“

CO2-Halbierung durch Mehrweg

Geschirr, so die Expertin, sei meist verschmutzt, der Müll werde zudem nicht getrennt gesammelt und lande stattdessen unsortiert in der schwarzen Tonne, aus der er schließlich der (klimaschädlichen) Verbrennung zugeführt werde. „Mit einem Mehrwegsystem hingegen“, folgert Schägg, „kann im Vergleich dazu etwa die Hälfte an CO2 eingespart werden – das schont das Klima und vermeidet Abfälle.“

Positiv bewertet die Expertin in dieser Hinsicht auch, dass die Mehrwegabwicklung bei Rock am Ring in die Hände eines Caterers gelegt wurde. „Das macht es für die Besucher unkomplizierter und steigert auch die Rückläufe“, so Schägg. Schließlich sei es „einfacher, überall einheitliches Geschirr auszugeben und dieses auch an jedem Stand zurückzunehmen“ – verglichen mit einem Modell, bei dem jeder Gastronom eigene Teller und Becher ausgebe und nur die auch wieder entgegennehme.

Bei Mobilität noch Luft nach oben

Während Schägg in der Folge noch die DreamHaus-Agenda lobt, bei der Vergabe wirtschaftlicher Aufträge sowie der Auslagerung von Dienstleistungen vor allem auf regionale Anbieter zu setzen – kurze Transportwege und regionale Produkte, sagt die Expertin, seien „ein wichtiger Schritt“ –, sieht sie beim Thema Mobilität im Allgemeinen noch „Luft nach oben“.

Wünschenswert, so Schägg, seien – zusätzlich zum 49-Euro-Ticket – attraktive Angebote für die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln, etwa im Festivalticket enthaltene Vergünstigungen für Bus- und Bahnfahrten. DreamHaus dagegen bietet zwar auch in diesem Jahr einen Shuttlebusservice an – den jedoch nur von Köln und Koblenz, Fahrkarten (Preis für Hin- und Rückfahrt 27 Euro) müssen zudem separat erworben werden.

Dass letztlich auch die Anreise der Bands – von mehr als 70 im Line-up 2023 kommen nur 17 aus Deutschland, 29 wiederum aus den USA – nicht positiv zur Klimabilanz beiträgt, bedarf wohl kaum einer Erwähnung. Umso weniger, da das bevorzugte beziehungsweise unumgehbare Transportmittel in den meisten Fällen das Flugzeug sein dürfte. Und: Allein die Foo Fighters lassen das Equipment für ihren zweistündigen Auftritt mit sechs eigenen Lkw anliefern.

Ein Hauch von Ironie: Unter dem Schriftzug „Enjoy
Ein Hauch von Ironie: Unter dem Schriftzug „Enjoy„ („genieß“) liegt vor einem Imbissstand der Müll des in diesem Jahr wieder in Teilen verwendeten Einweggeschirrs.
Foto: Stefan Schalles

Die (negative) Überraschung: Im Gespräch mit unserer Zeitung hatte Festivalsprecherin Steffi Kim vor Kurzem noch vage angekündigt, das Mehrwegsystem sei 2022 gut angenommen worden, weshalb man auch in diesem Jahr „dabei bleibe“. Beim Gang über das Festivalgelände jedoch fällt auf, dass das Angebot bei der aktuellen Ausgabe scheinbar merklich reduziert wurde. Neben Pfandbechern sind immer wieder auch Einwegbehältnisse zu sehen, die Imbissbuden geben fast ausschließlich Pappteller und -verpackungen aus, ein flächendeckendes Mehrwegsystem: nicht mehr existent. Warum? Diese (Nach-)Frage ließ der Veranstalter bislang unbeantwortet.

Fazit: DreamHaus hat in Sachen Nachhaltigkeit gemeinsam mit seinen Partnern einiges auf den Weg gebracht – und das in nur einem Jahr –, was DUH-Expertin Schägg auch deswegen für wichtig hält, „weil Rock am Ring als großes Festival einen Leuchtturmeffekt auf andere Veranstalter ausübt“. Verbesserungspotenzial allerdings gibt es noch in mehreren Bereichen, vor allem in puncto Mobilität. Zugleich macht DreamHaus mit der Reduzierung des Mehrwegangebots eine halbe Rolle rückwärts, weshalb man gespannt sein darf, was auf die Ankündigung von Steffi Kim, man werde nicht aufhören zu schauen, „was wir in Zukunft noch besser machen können“, in der Praxis folgt.