Nürburgring

Unverhofftes Wiedersehen und Grübeln über Rammstein: Was bleibt von Rock am Ring 2023?

Von Tim Kosmetschke, Stefan Schalles, Finn Holitzka, Johannes Mario Löhr
K.I.Z spielen bei untergehender Sonne auf der Utopia Stage.
K.I.Z spielen bei untergehender Sonne auf der Utopia Stage. Foto: Kevin Rühle/Kevin Ruehle

Vier Tage lange war ein Reporterteam der Rhein-Zeitung bei Rock am Ring vor Ort – mitgebracht haben sie nicht nur Artikel, Fotos und Videos, sondern auch diese ganz persönlichen Eindrücke.

Lesezeit: 6 Minuten
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70.000 Zuschauer haben nach offizieller Lesart dieses Jahr bei Rock am Ring getanzt, gegrölt, gepogt und gefeiert – und jeder hat das Festival anders erlebt. Weil es so viel zu sehen, zu hören und zu erleben gibt, nimmt auch jeder etwas anderes mit nach Hause, wenn am Montag das normale Leben wieder losgeht. Unsere Redakteure Tim Kosmetschke, Stefan Schalles, Finn Holitzka und Johannes Mario Löhr teilen hier ihre (subjektiven) Beobachtungen.

Stefan Schalles: „Das einzig wahre Line-Up“

Viel wurde und wird geredet über das Line-up: Die einen − inklusive Veranstalter − feiern es, sprechen von nie da gewesener Exklusivität. Die anderen zeigen sich empört, konstatieren: Mit Rock am Ring hat das schon lange nichts mehr zu tun. Und ja, die Auftritte von den Foo Fighters oder Sum 41 waren einzigartig und mitreißend. Nein, Apache 207 oder K.I.Z haben, wenn man es wörtlich nimmt, nichts auf der Rock-am-Ring-Bühne zu suchen. Doch eigentlich geht es bei diesem Festival um etwas ganz anderes.

Stefan Schalles
Stefan Schalles
Foto: Kevin Rühle/MRV

Zeitsprung: Vor gut 14 Tagen erreicht mich ein Foto über WhatsApp, darauf Felix, Basti und Christian. „Moin, wollten nur kurz fragen, ob wir uns dieses Jahr wiedersehen?“, schreiben sie. Und meinen Rock am Ring, wo ich die drei 2022 kennengelernt habe. Damals noch beruflich, im Zuge einer Reportage, auf dem Foto nun strahlen sie wie neue alte Bekannte, auch wenn wir in der Zwischenzeit nur hier und da mal eine Nachricht ausgetauscht haben.

Um es abzukürzen: Auf dem Zeltplatz, auf dem wir uns 2022 erstmals begegnet sind, treffen wir uns in diesem Jahr schließlich wieder, Umarmungen zur Begrüßung, dann ein Bierchen, als wäre man nie weg gewesen. Und während wir so plaudern, entdecke ich auf der „Fassade“ ihres Zeltes meinen Namen, 2022 dort verewigt, neben anderen Festivalbekanntschaften, zu denen die drei Kontakt halten. Das ist das eigentliche Line-up, denke ich mir. Kein exklusives zwar, aber ganz sicher auch keines zum Meckern.

Finn Holitzka: „Es geht eben nicht nur um Musik“

Ein Festival ist eine Parallelgesellschaft – für drei, vier Tage hat die Außenwelt Sendepause. Diesmal am Ring zeigt sich das so: Ich sehe Dutzende Fans, die arglos mit Rammstein-Logo auf T-Shirt oder Kutte übers Konzertgelände spazieren. Zeitgleich wird draußen, in der echten Welt, über eklige Backstage-Praktiken bei Auftritten der Band spekuliert. Es soll um die Instrumentalisierung von weiblichen Fans als Sexspielzeug gehen.

Finn Holitzka
Finn Holitzka
Foto: Jens Weber/MRV

Nun sind diese Schilderungen alles andere als servierfertig. Allerdings: Zur Kulturtechnik „MeToo“ gehört, dass es bisher so gut wie immer einen wahren Kern gab. Manchmal lagen die Dinge komplizierter, als zunächst erkennbar. Aber einfach herbeifantasiert war fast nie was. Wer jetzt bei Rock am Ring unbeeindruckt mit Rammstein-Merchandise auffährt (die Band steht übrigens 2023 gar nicht im Line-Up), macht sich deshalb natürlich noch lange nicht die Pornovorlieben und den Machismo von Till Lindemann zu eigen. Viele feiern einfach die Musik.

Aber es geht eben nicht nur um Musik. Für Rockfans sind solche Bands Identifikationsfiguren, ein Teil ihrer Persönlichkeit. Da darf man ein bisschen kritische Auseinandersetzung mit der Sache erwarten – spätestens, wenn Parallelwelt und echte Welt wieder verschmelzen. Indes gehört zum Festival ja auch, dass mehrere Bands toxischer Männlichkeit den Kampf ansagen: Blond oder die Nova Twins spielen hervorragende Konzerte. Man muss kein Schwein sein, um auf der RaR-Bühne abzuliefern.

Mehr zum Thema
Hören Sie auch den Podcast der Rhein-Zeitung mit Finn Holitzka über Rock am Ring 2023.

Tim Kosmetschke: „Jahrmarkt der Skurrilitäten“

Einfach nur irgendwo stehen und gucken, gucken, gucken: Das ist mein ganz privates Ring-Vergnügen. Es gibt so viel zu sehen, es ist ein Jahrmarkt der Skurrilitäten, ein Karneval mit deutlich besserer Musik: irre Kostümierungen, ausgefeilte Genre-Outfits, Tanzperformances weit abseits der Bühnen, zum Scheitern verurteilte Versuche, sündhaft teure Flammlachsbrötchen möglichst verlust- und verschmutzungsarm zu verputzen.

Tim Kosmetschke
Tim Kosmetschke
Foto: Jens Weber/MRV

Und ja, manche Betrunkene sind schon irgendwie drollig. Und die Allerallerallermeisten sind so unglaublich freundlich, fröhlich, im besten Sinne ausgelassen. Mir fiel zudem auf, wie bunt gemixt das Publikum ist – und damit meine ich gar nicht unbedingt, dass bestimmte musikalische (Jugend-) Kulturen aufeinander treffen. Das, so scheint es, ist heutzutage eh kaum noch an Outfits auszumachen. Metalkutten mit AC/DC-Aufnähnern beispielsweise werden wohl eher ironisch getragen.

Nein, auch Alterskohorten kommen hier zusammen wie sonst vielleicht nur im Fußballstadion. Von Kindern, die mit großen Augen an der Hand von Mama oder Papa durch die Masse tapsen, bis zu betagten Funktionskleidungsträgern, über die man sich auch auf dem Moselsteig nicht sehr wundern würde – Rock am Ring heißt alle willkommen.

Auch die ambitionierten jungen Kerle, die uns nahe dem Haupteingang mehrere Bierdosen schenkten, weil sie sie vor dem Einlass nicht mehr leer bekamen: „Wir haben uns überschätzt.“ Passiert. Prost.

Der Rapper und Sänger Machine Gun Kelly.

Kevin Rühle/Kevin Ruehle

Incubus-Bandmitglied Brandon Boyd bei Rock am Ring.

Kevin Ruehle

Crowdsurfing bei Rise Against.

Kevin Ruehle

Rise Against auf der Utopia Stage.

Kevin Rühle/Kevin Ruehle

Fever 333 auf der Utopia Stage.

Kevin Rühle/Kevin Ruehle

2021 brachten Kings of Leon das Album „When You See Yourself “ heraus.

Kevin Rühle

Bassistin Georgia South von den Nova Twins.

Kevin Ruehle

Die Band Blond aus Chemnitz eröffnet den Festival-Samstag auf der Hauptbühne bei Rock am Ring 2023.

Kevin Rühle/Kevin Ruehle

K.I.Z rappen zu dritt und haben einen DJ mit auf der Bühne.

Kevin Rühle/Kevin Ruehle

Beste Stimmung bei den Foo Fighters.

Kevin Ruehle

Limp Bizkit bringt die Fans zum Tanzen.

Kevin Ruehle

Jinjer auf der Utopia Stage.

Kevin Rühle/Kevin Ruehle

Jinjer auf der Utopia Stage.

Kevin Rühle/Kevin Ruehle

Wenn's mal wieder dringend ist.

Kevin Rühle/Kevin Ruehle

Limp Bizkit auf der Utopia Stage.

Kevin Rühle/Kevin Ruehle

Fans feiern zu Fever 333.

Kevin Rühle/Kevin Ruehle

Mehnersmoos auf der Mandora Stage.

Kevin Rühle/Kevin Ruehle

Yungblud auf der Utopia Stage.

Kevin Rühle/Kevin Ruehle

Die Foo Fighters auf der Utopia Stage.

Kevin Rühle/Kevin Ruehle

Die Band Nothing but Thieves gründete sich 2012. In Deutschland traten sie unter anderem bereits beim Hurricane Festival auf.

Kevin Ruehle

Provinz macht Pop mit deutschen Texten.

Kevin Ruehle

Ein Song für den Exfreund, so die Anmoderation von Amy Love beim Konzert der Nova Twins.

Kevin Rühle/Kevin Ruehle

Es wird auch viel gelitten.

Kevin Rühle/Kevin Ruehle

Jack Black singt bei Tenacious D zum Beispiel „Rize of the Fenix“.

Kevin Rühle/Kevin Ruehle

Jack Black hat Spaß. Der Mikroständer ist eine ausgefallene Kreation.

Kevin Rühle/Kevin Ruehle

Kings of Leon spielen bei Rock am Ring 2023.

Kevin Rühle

Kings of Leon sind ein Familienprojekt der Brüder Caleb, Jared und Nathan Followill sowie deren Cousin Matthew Followill.

Kevin Rühle

Ein Fan mit einem Dinosaurier bei Kings of Leon.

Kevin Rühle

Manch einer lässt vor Freude sogar die Hüllen fallen.

Kevin Rühle

Die Rapper K.I.Z spielen am Festivalsamstag bei Rock am Ring.

Kevin Rühle/Kevin Ruehle

K.I.Z spielen bei untergehender Sonne auf der Utopia Stage.

Kevin Rühle/Kevin Ruehle

Bei herrlichem Wetter lassen es die Musiker von NOFX bei Rock am Ring Krachen.

Kevin Rühle/Kevin Ruehle

Musikalische Bandbreite bei NOFX.

Kevin Rühle/Kevin Ruehle

Das Publikum rockt mit bei Three Days Grace.

Kevin Rühle/Kevin Ruehle

NOFX aus Los Angeles spielen am Sonntag bei Rock am Ring 2023.

Kevin Rühle/Kevin Ruehle

Turnstile am Sonntag bei Rock am Ring.

Kevin Rühle

Machine Gun Kelly spielt Pop-Punk mit Rap-Elementen.

Kevin Rühle/Kevin Ruehle

Fans feiern die Toten Hosen bei Rock am Ring 2023.

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Rock am Ring 2023 – Sonntag – Die Toten Hosen

Kevin Ruehle

Rock am Ring 2023 – Sonntag – Die Toten Hosen

Kevin Ruehle

Johannes Mario Löhr: „Aus der Vogelperspektive“

Ich erinnere mich noch gut an den genialen Auftritt, den die US-amerikanische Metal-Band Slipknot 2009 bei Rock am Ring abgeliefert hat. Damals stand ich als Fan inmitten einer gigantischen Traube von rund 80 000 Rockfans, die in Hinblick auf Headbangen und Mitgrölen wirklich alles gegeben hatte. Was rückblickend damit zu tun gehabt haben könnte, dass Smartphones 2009 noch nicht so omnipräsent waren.

Johannes Mario Löhr
Johannes Mario Löhr
Foto: Jens Weber/MRV

Dieser Tage schauen manche Menschen Liveshows vermehrt durch ihre kleinen Handyscreens, anstatt die Augen auf die Bühne zu richten und den Moment zu genießen. Manch einem scheint es weniger um die Musik als um die Gewinnung von Material für Social Media zu gehen, vielleicht um dort mit seinen aufregenden Erlebnissen angeben zu können. Aber das ist eine andere Geschichte.

Dieses Jahr war es mir wieder vergönnt, Deutschlands vielleicht bekanntestes Rockfestival zu besuchen. Indes nicht als Privatperson, sondern als Journalist. Und die genießen eine ganze Reihe Privilegien auf dem Gelände. Das mit einem „M“ für „Media“ verzierte Armbändchen ermöglicht es Medienmenschen unter anderem, sich gezielt und recht flott den Weg durch die Wellenbrecher zu bahnen, sogar mal in den Backstagebereich zu gelangen – und die Shows der zahlreichen Bands von der Tribüne (dem Boxendach) aus zu genießen. Das war mein Highlight: Rock am Ring mal aus der Vogelperspektive.

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