Nürburgring

Mit Nachhaltigkeit zum „exklusivsten Line-up“? Interview mit Steffi Kim von Rock am Ring

Von Stefan Schalles
Auftakt Open-Air-Festival "Rock am Ring"
Rund 90.000 Menschen feierten 2022 – wie auf diesem Foto – die erste Rock-am-Ring-Ausgabe nach dreijähriger Corona-Pause. Bei der nun bevorstehenden 35. Ausgabe des Traditionsfestivals werden ähnlich viele Ringrocker erwartet – und sicher auch vergleichbare Bilder. Foto: Thomas Frey/dpa

Bei Rock am Ring 2023 spielen die Foo Fighters, Kings of Leon und die Toten Hosen sowie knapp 70 weitere Bands – Bevor es losgeht, haben wir uns mit Festivalsprecherin Steffi Kim über Wassermangel, Ticketpreise und musikalische Überraschungen unterhalten.

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Frau Kim, im Vorfeld der letztjährigen Rock-am-Ring-Ausgabe hieß es, das Festival solle mittel- und langfristig nachhaltiger werden. Erste Schritte hierzu, ein Mehrwegsystem etwa, wurden 2022 bereits umgesetzt. Wie weit ist man auf diesem Weg mittlerweile?

Das Mehrwegsystem ist für ein dreitägiges Riesenfestival, bei dem viele Getränke konsumiert werden, zunächst einmal ein absoluter Game-Changer mit einem unglaublich nachhaltigen Effekt – das hat uns so auch eine externe Umweltorganisation bestätigt. Hinzu kam, dass wir im vergangenen Jahr über den Nürburgring bereits Ökostrom bezogen haben; 95 Prozent unserer Merchandise-Artikel werden mittlerweile nachhaltig produziert.

Und bei den Toiletten konnten wir im vergangenen Jahr eine Wasserersparnis von 90 Prozent pro Spülgang verzeichnen – mithilfe einer Vakuumtechnik wird nur noch ein halber Liter statt früher fünf verbraucht, wodurch sich, multipliziert auf die drei Tage und die Anzahl der Besucher, natürlich Unmengen an Wasser einsparen lassen. All das sind Schritte, die wir als Festival gehen, wobei wir auch nicht aufhören werden zu schauen, was wir in Zukunft noch besser machen können.

Das ist ein gutes Stichwort, im vergangenen Jahr nämlich wurde unter Festivalbesuchern unter anderem Kritik an der zu geringen Anzahl an Toiletten und Duschen laut, auch mit der Wasserversorgung gab es – offenbar als Nachwirkung der Ahrflut – zeitweise Probleme.

Der Versorgungsmangel aufgrund der Katastrophe im Ahrtal kam natürlich unerwartet. Ich glaube, niemand kann sich auf fehlende Infrastrukturen, die so plötzlich auftreten, vorbereiten. Allerdings haben wir uns damals schon bemüht, diese Ausfälle abzufedern, indem wir zu Stoßzeiten, etwa wenn der Headliner gespielt hat und viele Menschen vor der Bühne waren, die Wasserversorgung runtergedreht haben, um zu gewährleisten, dass davor und danach genug Wasser da war. Die Kritik der Community nehmen wir aber natürlich sehr ernst und werden dieses Jahr beispielsweise auch mehr Toiletten zur Verfügung stellen.

Wir legen den Fokus natürlich darauf, mehr Frauen auf die Bühne zu bringen, aber ein so lange bestehendes Ungleichgewicht lässt sich nicht innerhalb eines Jahres korrigieren.

Steffi Kim, Sprecherin Rock am Ring

Anfang dieses Jahres kam dann noch die Debatte um Pantera hinzu: Erst wurde bekannt, dass deren Leadsänger Phil Anselmo 2016 bei einem Konzert den Hitlergruß gezeigt und „White Power“ gebrüllt hat, dann hagelte es Kritik von der Ring-Community, ehe die Band schließlich ausgeladen wurde. Wie wollen Sie solchen Fällen in Zukunft vorbeugen? Wird es nun so etwas wie einen Backgroundcheck für Bands geben?

Wir haben uns mit diesem Thema natürlich intensiv beschäftigt, allerdings hört sich ein Backgroundcheck leichter an, als er ist. Nach welchen Richtlinien etwa soll eine solche Überprüfung durchgeführt werden, und welche Parameter sind dafür gültig? Hinzu kommt, dass es trotz eines Checks immer noch passieren kann, dass zwei Tage vor dem Festival etwas aufgedeckt wird, das vorher überhaupt nicht absehbar war.

Insofern handelt es sich hier um eine neue Herausforderung, für die man natürlich auch Experten benötigt, um das Angebot im Vorfeld besser zu scannen. Das Gute ist, dass das Thema jetzt auf dem Tisch liegt und wir auch im Fall Pantera deutliche Konsequenzen gezogen haben. In Zukunft wird es definitiv eine engmaschigere Recherche geben, bei der überprüft wird: Was ist über die Band bekannt, wie gibt sie sich in der Öffentlichkeit, und ist dieses Auftreten mit den Werten unseres Festivals konform?

MTV Europe Music Awards
Rapperin Badmomzjay spielt dieses Jahr als eine von mehreren Frauen bei Rock am Ring – weiterhin sind die männlichen Musiker allerdings in der Überzahl.
Foto: Rolf Vennenbernd/picture alliance/dpa

Ein weiteres, nach wie vor aktuelles Thema ist der geringe Frauenanteil auf den Festivalbühnen. Das diesjährige Line-up ist im Vergleich zu 2022 bereits weiblicher geworden, von einem Gleichgewicht zwischen Künstlerinnen und Künstlern ist man aber immer noch weit entfernt. Was ist bereits geschehen und was noch geplant, um die Quote in diesem Bereich zu erhöhen?

Bei Rock am Ring haben wir die Anzahl an nicht männlich gelesenen Bands auf der Bühne im Vergleich zu 2022 in diesem Jahr bereits mehr als verdoppelt – aktuell liegen wir bei knapp 30 Prozent –, was in meinen Augen ein extrem guter und wichtiger Fortschritt ist. Was bei der Diskussion allerdings oft vergessen wird, ist die Frage, wo die Musik eigentlich herkommt, nämlich aus dem Studio – und hierzu gibt es eine aktuelle Studie mit wirklich erschreckenden Zahlen, nach der 85 Prozent der Werke von männlich gelesenen Personen komponiert werden – und das mehrheitlich für männlich gelesene Künstler.

Unser Fokus bei der Preisgestaltung liegt natürlich immer darauf, die Ticketkosten in einem gesunden Rahmen zu halten, damit möglichst viele Menschen an diesem Wochenende teilnehmen können.

Steffi Kim, Sprecherin Rock am Ring

Wenn es also auf dem Markt gar kein 50:50-Verhältnis gibt, das Angebot gar nicht vorhanden ist, wie soll man das dann auf einem Festival abbilden? Wir legen den Fokus natürlich darauf, mehr Frauen auf die Bühne zu bringen, aber ein so lange bestehendes Ungleichgewicht lässt sich nicht innerhalb eines Jahres korrigieren. Und am Ende darf das auch nicht die alleinige Aufgabe der Festivals sein. Es handelt sich vielmehr um eine Herausforderung für die gesamte Musikindustrie.

Nichtsdestotrotz hat Rock am Ring als großer Player Möglichkeiten, an der Problembehebung anzusetzen. Man könnte beispielsweise in die Jugendförderung investieren, könnte jungen, noch unbekannten Künstlerinnen die Möglichkeit geben, bei Rock am Ring aufzutreten und so Fuß zu fassen in der Branche.

Das ist ein wirklich spannender Gedanke, den ich gern mal ans Management weitergebe. Wobei Rock am Ring immer schon ein Festival war, auf dem nicht nur Headliner, sondern auch Newcomerinnen und Newcomer aufgetreten sind. Wir haben stets darauf geachtet, junge Künstlerinnen und Künstler zu fördern, allerdings darf man auch nicht vergessen, dass wir Rock am Ring mit DreamHaus gerade erst im zweiten Jahr ausrichten und es nach drei Jahren Pandemie schon eine große Herausforderung ist, die Gewerke überhaupt wieder ans Laufen zu bringen. Trotzdem haben wir das Thema Diversität auf der Agenda und werden schauen, was wir über unsere bisherigen Anstrengungen hinaus noch dazu beitragen können.

Dann lassen Sie uns an dieser Stelle von der Bühne vor die Bühne gehen. Stichwort Ticketpreise: Die liegen, wenn man das volle Programm aus Wochenendticket, Park- und Campingplatz bucht, inzwischen bei 298 Euro – ohne Verpflegung oder die teils saftigen Preise für Getränke und Essen an den Imbissständen. Drohen Festivals da nicht allmählich zu einem Vergnügen zu werden, das sich viele gar nicht mehr leisten können?

Unser Fokus bei der Preisgestaltung liegt natürlich immer darauf, die Ticketkosten in einem gesunden Rahmen zu halten, damit möglichst viele Menschen an diesem Wochenende teilnehmen können. Dabei sind natürlich auch wir an dynamische Faktoren wie die steigenden Energiepreise gebunden, versuchen zugleich aber, die Preise so zu gestalten, dass die Besucher so wenig wie möglich davon spüren. Trotzdem muss das Festival irgendwie finanziert werden, was eine große Herausforderung darstellt.

Die Kosten setzen sich für uns also aus einem großen Topf an Puzzlestücken zusammen, und fast alle Puzzlestücke sind mittlerweile teurer geworden.

Steffi Kim, Sprecherin Rock am Ring

Wir stehen hierzu auch mit unserer Community im engen Austausch, bieten etwa immer wieder Marketingkampagnen an, bei denen es Tickets zu Aktionspreisen gibt oder Tagespässe für einen niedrigeren Preis. Wenn man beispielsweise schaut, dass man bei den Tagestickets für 99 Euro 23 Bands sehen kann, ist das schon ein guter Schnitt. Darüber hinaus haben wir auf dem Festivalgelände beispielsweise auch einen Supermarkt, in dem man sich mit Lebensmitteln zu marktüblichen Preisen versorgen kann.

Welches sind für Sie als Veranstalter denn die größten finanziellen Posten bei einem solchen Festival und: Gibt es aus Ihrer Sicht einen Hebel, an dem man künftig ansetzen könnte, um die stetig weiterdrehende Preisspirale zu unterbrechen?

Das Festival wird ja nicht nur von den Künstlerinnen und Künstlern auf der Bühne gestaltet, sondern von zahlreichen lokalen Gewerken, mit denen wir zusammenarbeiten. Die Kosten setzen sich für uns also aus einem großen Topf an Puzzlestücken zusammen, und fast alle Puzzlestücke sind mittlerweile teurer geworden.

Mit den Foo Fighters wurde zuletzt noch ein absoluter Hochkaräter als Headliner verpflichtet, Bullet for My Valentine ersetzen Five Finger Death Punch. Daran anknüpfend die obligatorische Frage: Ist die Programmplanung damit abgeschlossen?

Wir haben erst einmal das exklusivste Line-up, das es jemals bei Rock am Ring gab. Die Foo Fighters etwa spielen bei uns in ihrer neuen Besetzung europaweit ihre einzige Headlinershow – und das am Tag, an dem ihr neues Album erscheint. Das allein ist einfach schon ein hochemotionaler, historisch-ikonischer Moment. Dann haben wir die Toten Hosen als Headliner, die Kings of Leon, die dieses Jahr ebenfalls nur bei uns zu sehen sind, exklusive Auftritte von Bring Me the Horizon, Machine Gun Kelly oder Turnstile.

Foo-Fighters-Gedenkkonzert für Taylor Hawkins
Spielen als Headliner am Festivalfreitag: die Foo Fighters um Frontmann Dave Grohl.
Foto: Scarlet Page/Mbc/dpa/PA Media

Das heißt, es wird keine Ankündigungen mehr geben?

Von unserer Seite aus ist die Planung abgeschlossen. Ob die Bands oder Künstler allerdings noch den ein oder anderen Überraschungsgast mitbringen, können wir natürlich nicht beeinflussen.

Das ist wiederum eine sehr gute Überleitung zu Jack Black, der kürzlich in einem Interview Helene Fischer eingeladen hat, mit seiner Band Tenacious D am Ring aufzutreten. Gibt es hierzu etwas Neues?

Stand heute haben wir dazu keine Infos, unterstützen ihn aber natürlich gern bei diesem Vorhaben.

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