Kriegt man in Nürburg nachts ein Auge zu? Ein Besuch im Nachbardorf von Rock am Ring
Wer die Burgstraße in Nürburg emporstiefelt, dem erklärt ein Hinweisschild am Bürgersteig gleich mal, worauf man hier wandelt: „Mons Nore ist Lateinisch und bedeutet der schwarze Berg. Man nannte ihn so, weil der Berg haupsächlich aus schwarzem, eisenhaltigem Bastaltgestein besteht.“ Wenn man sich so umschaut, muss man feststellen: am ersten Juniwochenende besteht Nürburg hauptsächlich aus schwarz gekleideten, bierhaltigen Festivalgestalten.
Gut 160 Einwohner hat das Dorf, das zur Verbandsgemeinde Adenau gehört und neben der historischen Burg aus dem 12. Jahrhundert natürlich vor allem für die Rennstrecke aus dem 20. Jahrhundert bekannt ist. Ritter und Rennfahrer, zwei Kinderidole und ein bisschen auch Vergangenheitsrelikte, die hier zum Selbstverständnis gehören. Und einmal im Jahr eben Rocker.
Wo das Rock-am-Ring-Areal endet und Nürburg beginnt, lässt sich kaum sagen
Nürburg beherbergt einen von etlichen Zeltplätzen im Umkreis, die Straßen sind bevölkert von selig wankenden Festivalbesuchern. Die Dorfkirche St. Nikolaus ist zum stillen Gebet geöffnet, sagt ein Hinweisschild. Genug Gottvertrauen scheinen die Festivalgänger auch so zu haben, zumindest macht sich niemand der Fußgänger auf dem Mittelstreifen die Mühe, den heranrollenden Autos auszuweichen.
Auf dem Trottoir spielen ein paar Jungs eine Art Festivalgolf: Mit Hacky Sacks muss in kreisrunde Löcher von angeschrägten Holzkisten getroffen werden. Nürburg, so scheint es, ist an diesem Wochenende die natürliche Verlängerung des Festivalgeländes.
Eine Anwohnerin der Hauptstraße, die zigaretterauchend auf einem Plastikstuhl im Vorgarten sitzt, beobachtet den Vormittagstrubel amüsiert. Ob die, sagen wir mal, Fröhlichkeit, auch mal zu viel wird? „Nein, das ist doch toll, dass die jungen Leute feiern. Das konnten die doch schon so lange nicht mehr.“ Lärm vom Konzertgelände ficht sie jedenfalls kein bisschen an. Abgeklärte Antwort: „Die Autorennen sind lauter.“
Alles ist auf den Nürburgring ausgerichtet – und einmal im Jahr auf Rock am Ring
Wenn man es nicht besser wüste, man könnte meinen, in Nürburg kommt Benzin aus den Wasserhähnen. Pizzerien heißen hier „Pistenklause“, bei Autovermietern kann man Ferraris für eine Ringrundfahrt buchen. Eine Trennung von Dorf und Rennstrecke/Festivalstätte scheint ohnehin nicht vorgesehen – in einigen Straßen gibt sich jedes zweite Haus als touristische Pension zu erkennen. Man lebt vom Ring.
In einer dieser Unterkünfte im kleinen Lächenweg, von der Burgstraße links ab, hat sich eine heitere Truppe aus Festivalprofis eingemietet. Marc Biniek und Nicole Virnich kommen aus Euskirchen im Rheinland, ihre Freunde aus Walsrode in Niedersachsen, wo man stolz auf seinen Vogelpark ist. Claudia Schulz und die Ostermanns, Jessica und Markus, haben schon so manche Rock-am-Ring-Ausgabe erlebt, die Finger zum Abzählen reichen kaum aus. Diesmal schläft man in der festivalaffinen Freundesgruppe in der Pension von Familie Daun, abseits von den Zeltplätzen. Und kann man hier schlafen?
Wunderbar, sagt Claudia, die Senkenlage sorgt dafür, dass hier nachts keine Bühnenmusik mehr ankommt. Am Freitag, als die Technoshow von Scooter als Late Night Special auf dem Programm stand, konnte man hier in Nürburg schon wieder ganz entspannt den Abend ausklingen lassen. Und das heißt im Fall von Marc, Nicole, Claudia, Jessica und Markus: Entspannt auf der Terasse sitzen und sich noch ein Nordlicht aus der Bierdose genehmigen. Auch für den RZ-Reporter ist jetzt, samstagmittags, noch eins übrig. Genauso wie ein glitzerndes Himbeergesöff, Glitter Pitter, das hier mit Sommeliereifer ausgeschenkt wird.
Die Laune ist super, wenngleich die Festivalprofis am diesjährigen Rock am Ring schon einiges auszusetzen haben. Auf die neuen Veranstalter sind sie jedenfalls nur mäßig gut zu sprechen: Der Einlass eine Katastrophe, schon hunderte Meter vor dem Gelände habe man sein Nordlicht abgeben müssen, die Klos nicht beleuchtet und in zu geringer Zahl vorhanden, genauso wie die Mülltonnen. Die Wege abseits des Konzertgeländes hätte man außerdem besser beleuchten müssen.
Festivalorganisation durchwachsen, vor allem am Sound hapert es
Am schlimmsten für die Rockfans, die lauter drehen, wenn Placebo im Festivalradio läuft und die das Indie-Programm von anderen Großfestivals wie Hurricane nordisch als „Tüddelmusik“ abtun: Der Sound bei Green Day war nicht gut – zumindest im dritten Wellenbrecherbereich, wo die Gruppe den Freitagsheadliner erwartete. Für mehrere Minuten sind sogar Lautsprecherboxen ausgefallen.
Das Rock-am-Ring-Team bestätigt gegenüber der RZ auf Anfrage einen „technischen Defekt.“ Für Markus Ostermann unverständlich: „Das hat sich angehört, als ob irgendwo ein Radio spielt. Man meint, die würden das zum ersten Mal machen“.
Wer so akribisch die Festivals der letzten Jahre besucht hat, fachkundig über die Bands reden kann („Jan Delay war bisher jedes mal super“), der lässt sich von ein paar Technikdefiziten aber nicht das Wochenende vermiesen. Die Rheinländer und die Niedersachsen heben die Gastfreundschaft in der Eifel hervor. Und von Nürburg als Anlaufstelle und den heimeligen Pensionen als Zeltalternative sind Claudia und Nicole, Marc und Markus sowie Jessica sowieso angetan. Zum Festivaleinlass können sie in einer halben Stunde schlendern, und abends hat man seine Ruhe. „Hier kommen wir jetzt jedes Jahr hin“, sagt Marc. Darauf noch ein Glitter Pitter.