Berlin

Mit Vollgas auf die Ampel zu: SPD-Kanzlerkandidat bei ersten Sitzung voller Tatendrang

Von Jan Drebes, dpa
Erstmals seit 19 Jahren ist die SPD-Fraktion wieder stärkste Kraft im Parlament – und sie hat offensichtlich Lust, eine Ampelkoalition anzuführen. Ob es aber zum Bündnis mit FDP und Grünen kommt, muss sich erst noch zeigen.
Erstmals seit 19 Jahren ist die SPD-Fraktion wieder stärkste Kraft im Parlament – und sie hat offensichtlich Lust, eine Ampelkoalition anzuführen. Ob es aber zum Bündnis mit FDP und Grünen kommt, muss sich erst noch zeigen. Foto: picture alliance/dpa

Dieser Auftritt gleicht einem Triumphzug. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz schreitet um 9 Uhr den Gang im Reichstag entlang, trägt sich erstmals als direkt gewählter Abgeordneter für seinen Wahlkreis Potsdam in die Anwesenheitsliste ein und betritt dann den Plenarsaal des Deutschen Bundestages.

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Zum vierten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik stellt die SPD die größte Fraktion im Parlament. Und das, obwohl sie während des Wahlkampfes angesichts schlechter Umfragewerte zeitweise zittern musste, ob sie überhaupt ihren Fraktionssaal in einem der Türme des Gebäudes behalten könnte.

Der Mann, dem die nun 206 Abgeordneten das maßgeblich zu verdanken haben, wird mit viel Applaus begrüßt. Auch die am Sonntag ausgeschiedenen Abgeordneten sind noch einmal zur Sitzung erschienen – so ist es Tradition. Fraktionschef Rolf Mützenich, der an diesem Mittwoch in der ersten Sitzung der neuen Fraktion wiedergewählt werden soll, überreicht Scholz einen Blumenstrauß, dann gehört dem Kanzlerkandidaten das Rednerpult. Er strahlt Zuversicht aus, wie Teilnehmer berichten, beschwört die Sozialdemokraten, in den laufenden Sondierungen mit FDP und Grünen keine roten Linien zu ziehen. Ruhe bewahren, dann sollte es klappen mit der gewünschten Ampelkoalition. In trockenen Tüchern ist die allerdings längst nicht.

Das Einschlagen inhaltlicher Pflöcke überlässt Scholz Mützenich: Wichtige Inhalte für die SPD lägen bei Mindestlohn, Wohnraum und einem Umbau im Hinblick auf die Klimakrise, sagt der. „Aber wir werden nicht in der Öffentlichkeit Koalitionsverhandlungen führen.“

Der Fraktionschef mahnt Grüne und FDP, bei den Gesprächen einen anderen Stil an den Tag zu legen als nach der vergangenen Wahl 2017. „Ich glaube, beide kleinen Parteien müssen sich klar darüber werden, dass das Schauspiel, was sie vor vier Jahren hier manchmal auf Balkonen absolviert haben, nicht den Aufgaben gerecht wird.“

Dabei belässt er es dann aber auch. Die eigentliche Show in der SPD-Fraktion gehört an diesem Tag den vielen Neuzugängen. 104 sind bei der Wahl hinzugekommen, 102 wurden wiedergewählt. Der Anteil der Frauen ist mit knapp 42 Prozent gleich geblieben, dafür sind nun 33 Abgeordnete mit Migrationshintergrund vertreten. Zudem ist die Fraktion im Schnitt deutlich jünger als in der auslaufenden Wahlperiode. 71 von ihnen sind jünger als 40 Jahre – nach der Wahl 2017 gab es nur 18 SPD-Abgeordnete im Alter bis 40. Das Durchschnittsalter liegt jetzt bei 45,5, damals bei 50,5. Besonders glücklich zeigt sich Generalsekretär Lars Klingbeil darüber. „Es tut gerade sehr gut, das bei unserer ersten Fraktionssitzung zu sehen“, schrieb er bei Twitter. Jüngster SPD-Abgeordneter ist mit 24 Jahren Jakob Blankenburg, Juso-Chef aus Niedersachsen.

Er und die anderen Neuzugänge stellen sich mit knappen Worten in der Sitzung vor. Eineinhalb Stunden dauert das. Besonders beliebt ist es dabei offenbar, Interesse an einer Mitgliedschaft im FC Bundestag anzumelden. Auch SPD-Vize Kevin Kühnert, der erstmals ins Parlament einzog, will im Fußballteam mitspielen. Und zwar als „Linksaußen“, wie er Teilnehmern zufolge sagt. Maja Wallstein, die mit 35 Jahren den Wahlkreis Cottbus knapp vor einem AfD-Kandidaten gewann, sieht sich hingegen in einer anderen Rolle auf dem Feld. Sie ist ausgebildete Schiedsrichterin.

Wie sehr die jungen Abgeordneten den Kurs der SPD-Fraktion bestimmen werden, bleibt abzuwarten. Schon jetzt ist aber klar, dass es mit den vielen Mitgliedern der Jusos einen deutlichen Linksschwenk geben dürfte. Inwiefern sie sich einbinden lassen im bestehenden Flügel der Parlamentarischen Linken, ist offen.

An Humor wird es in der neuen Fraktion – auch wegen der vielen Jüngeren – jedenfalls nicht fehlen: Als Scholz sich wie alle anderen Neulinge vorstellte, twittert die Aachener Abgeordnete Ye-One Rhie (34) launig: „Er ist Rechtsanwalt, macht Arbeitsrecht und freut sich auf die Zusammenarbeit. Ich musste seinen Namen erst mal googeln.“ Scholz selbst bedankt sich ebenfalls auf Twitter für die herzliche Begrüßung. Es sei ein besonderer Tag, „auch für mich als Neuabgeordneter“. Tatsächlich gehörte der Vizekanzler in der vergangenen Legislaturperiode nicht der SPD-Fraktion an. Ganz unbekannt ist ihm die Fraktionsarbeit allerdings nicht: Der 63-Jährige wurde 1998 das erste Mal in den Bundestag und dann mehrmals wiedergewählt. 2011 schied er aus, um das Amt des Ersten Bürgermeisters in Hamburg zu übernehmen.

Jan Drebes/dpa