Die Union hielt an dem Muster fest, dass die größere Schwester CDU den Kandidaten stellt, die Grünen an der Tradition, dass eine Frau den Vortritt vor einem Mann hat – beide trotz besserer Alternativen. Ohne dies wäre die Republik jetzt eine andere. Die gute Nachricht ist, dass eben dies dem Land jene fundamentale politische Wende beschert hat, die es nach 16 Jahren Angela Merkel dringend gebraucht hat. Der knappe Vorsprung von 1,6 Prozentpunkten der SPD im Vergleich zur Union täuscht darüber hinweg, wie groß die tektonische Verschiebung im Vergleich zu 2017 tatsächlich ist. Wer sich die politische Landkarte nach der Bundestagswahl anschaut, der sieht eine großflächige Rotfärbung ganzer 2017 noch schwarzer Regionen. Der Triumph der Sozialdemokratin Tanja Machalet, die in einem tiefschwarzen Wahlkreis siegte, hat sich republikweit in vielen Landstrichen wiederholt.
Die beiden erfahrenen Politstrategen Markus Söder (CSU) und Robert Habeck (Grüne) dürften diese tektonische Verschiebung der politischen Landkarte früh geahnt haben. Söder hat dies wohl schweren Herzens akzeptiert, weil nur durch das Scheitern des Kandidaten Armin Laschet eine Erneuerung der CDU möglich wird – und sich so auch eine starke CSU in Bayern sichern lässt. Für Habeck dürfte früh klar gewesen sein, dass seine Stunde angesichts der glücklosen und wenig erfahrenen Kandidatin Annalena Baerbock direkt nach der Wahl schlagen wird. Jetzt wird der Grünen-Chef eben nicht Kanzler, sondern vermutlich Vizekanzler. Und auch wenn beim Stichwort Königsmacher meist der Name von FDP-Chef Christian Lindner fällt – Habeck dürfte ob seiner Erfahrung in Dreierbündnissen in Kiel ein mindestens ebenso wichtiges Scharnier einer Berliner Ampel sein. Mehr noch: Der Grüne stünde als Vizekanzler wie Lindner für einen Brückenschlag in bürgerlich-konservative Kreise, die mit einem SPD-Kanzler Olaf Scholz fremdeln werden.
Habecks Satz, dass er seinem Land gern als Kanzler gedient hätte, lässt bis heute aufhorchen. Dies spricht dafür, dass der Grüne am ehesten dem Leitmotiv eines John F. Kennedy folgen dürfte: „Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern, was du für dein Land tun kannst.“ Dazu passt, dass der Grüne als Erster noch am Wahlabend Vorsondierungen mit der FDP angestoßen hat. So kann ein zweites 2017 mit dem kläglichen und kleinlichen Scheitern eines monatelangen Koalitionspokers vermieden werden. Daher spricht vieles dafür, dass über das Wohl und Wehe einer Berliner Ampel eher die SPD entscheiden wird. Spätestens während der Koalitionsverhandlungen muss die Partei die Frage beantworten, ob sie dem erfolgreichen realpolitischen Kurs vieler Ministerpräsidenten und eines Olaf Scholz folgen will oder den linken Gedankengespinsten einer Saskia Esken oder eines Kevin Kühnert.