Zwischen Palästen und Pasta

Von Michael Defrancesco

Fast glaubt man, man habe sich verflogen. Da liegt ein stattliches weißes Kreuzfahrtschiff im Hafen von Stockholm, zerrt bereits an den Tauen, will hinaus auf die Ostsee – und heißt „Costa Mediterranea“ (Mittelmeer)? Ja, die Costa hat Humor. Und da sie keine „Mar Baltico“ im Angebot hat, hat sie eben ihre „Mediterranea“ in den Norden entsandt, um die Passagiere von Stockholm nach St. Petersburg und zurück zu bringen. Woche für Woche, den ganzen Sommer über. Angenehmer Nebeneffekt: Wenn die Temperaturen im Ostsee-Sommer mal nicht über 15 Grad hinauswachsen, hat man wenigstens das „Mittelmeer“ unter seinen Füßen. Das sorgt für Wärme im Herzen.

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Für die restliche Wärme sorgen die Italiener mit ihrer Herzlichkeit. So deutsch wie die Aida ist, so amerikanisch wie die Norwegian Cruise Line ist – so italienisch ist die Costa. Es gibt Pasta bis zum Abwinken (da niemand abwinkt also bis in alle Ewigkeit) und italienische Party (die einfach gut ist – ohne amerikanischen Schnickschnack oder deutschen Horrorschlager).

Vier Hauptstädte in sieben Tagen, das ist ein gemäßigtes Programm für eine Kreuzfahrt. Viele Touren sind so gestrickt, dass die Gäste jeden Tag in einem neuen Hafen parken. Die „Mediterranea“ hat jedoch Zeit mitgebracht und bleibt in St. Petersburg und Stockholm über Nacht.

Am frühen Morgen läuft sie aus Stockholm aus – das leise Schippern durch die Schären lohnt jedes frühe Aufstehen. Warm eingepackt, lehnt man an der Reling des Schiffs und blickt auf die winzigen Inselchen, die sich zwischen Festland und offener See gebildet haben. Kleine Hütten stehen darauf, Fischerboote ankern davor und lassen sich von den leichten Wellen des Riesenschiffs ins Schaukeln versetzen. Die „Mediterranea“ – stolze 292 Meter lang – gleitet einige Stunden lautlos durch die Schären, bis sie die offene See erreicht hat und die Motorenleistung hochschaltet.

Gleich zum Beginn der Reise steht ein Seetag an – für die Gäste ideal. So können sie das Schiff erkunden, die Mutigen schwimmen im Außenpool, die Frostbeulen lieber im großzügigen warmen Hallenschwimmbad. Auch wenn gut 2500 Passagiere an Bord sind, so verläuft es sich doch, und jeder findet sein Plätzchen.

Am nächsten Morgen lugt Finnland durchs Bullauge herein: Wir liegen in Helsinki, es sind 15 Grad, und es regnet. Damit muss man im Ostsee-Sommer rechnen – also rein in die Herbstklamotten, Schirm ausgepackt und auf ins Vergnügen. Denn auch bei kühlerem Wetter erobert Helsinki die Herzen der Gäste im Sturm. Die Altstadt lädt zum Bummeln ein, hat originelle Geschäfte, bekannte Bauten und prächtige Kirchen zu bieten. Auch die legendäre Felsenkirche ist ein Muss für jeden Besucher. Dieses evangelische Gotteshaus wurde in den späten 60ern in einen Granitfels hineingebaut, durch das Kupferdach mit 180 Fenstern kommt jedoch Tageslicht herein. Die fünf bis acht Meter hohen Kirchenwände bestehen aus unbehauenem Fels. Eine beeindruckende Atmosphäre. Ebenso lohnt der Ausflug zum Sibelius-Denkmal – ein abstraktes Gebilde, das an Orgelpfeifen erinnert und dem finnischen Komponisten Jean Sibelius gewidmet ist, der unter anderem die „Finlandia“ schrieb.

Am Abend – die Regenwolken haben sich längst verzogen – gleitet die „Mediterranea“ wieder hinaus auf die Ostsee. Der Kenner weiß: Wenn es nachts nicht dunkel werden will, dann sind das die berühmten Weißen Nächte. Auf dem Weg nach St. Petersburg glüht der Horizont noch weit nach Mitternacht und taucht die Ostsee in traumhaftes Licht. Viel Schiffsverkehr ist auf dieser Route, und es macht Freude, das nächtliche Rennen der bunt beleuchteten Kreuzfahrtriesen zu bewundern. Fast alle großen Reedereien sind heute unterwegs – es ist ein Klassentreffen auf hoher See.

St. Petersburg haut alle aus den Socken. Anders kann man es nicht sagen. Daran sind zuerst einmal die emsigen Reiseleiter schuld, die die Schiffsgäste, die aus ganz Europa kommen, so kompetent wie herzlich durch ihre Stadt geleiten. Wer einen Ausflug über die Reederei bucht, hat das Visum für Russland inklusive – die meisten Passagiere haben dieses Angebot genutzt und aus einer Fülle von Ideen auswählen können. Für die Hartgesottenen bietet die Costa sogar eine Zwei-Tages-Tour „Moskau und St. Petersburg“ an. Mehr Eindrücke gehen nicht.

Wer es eher langsamer und dafür intensiver mag, der wählt eine Tages- oder Halbtagestour. Die zum Beispiel in den Jussupow-Palast führt – der gar ein eigenes Privattheater beherbergt. Kino oder Schwimmbad im eigenen Haus kann schließlich jeder. Nicht entgehen lassen sollte man sich den Katharinenpalast, der das legendäre Bernsteinzimmer beherbergt. Nicht das Original, sondern das rekonstruierte – aber das macht ja nichts. Fotografieren ist streng verboten, und so geschieht etwas ganz Eigenartiges: Die Besucher lassen sich Zeit und bannen die Schönheiten des Bernsteinzimmers auf ihre Netzhaut. Unauslöschlich.

Ob Eremitage, ob Bootsfahrt durch die Kanäle, ob Ballettaufführung oder Besuch der Blutskirche – die russische Metropole glänzt und funkelt in der Sonne, und die zwei Tage vergehen wie im Flug. Die Kreuzfahrer sitzen abends bei ihrer Pasta, und während die „Mediterranea“ schon Estland ansteuert, spüren die Gäste, dass ein Teil ihres Herzens in St. Petersburg zurückgeblieben ist.

Hat Tallinn da noch eine Chance? Kenner haben schon im Vorfeld gesagt, dass man auf jeden Fall von Bord gehen sollte – und sie hatten recht. Die estnische Hauptstadt umgarnt die Besucher im Sommer zur Kreuzfahrtsaison mit mittelalterlichem wie russischem Flair, und vor allen Dingen auf dem Marktplatz lebt die Vergangenheit. Fliegende Händler bieten in historischen Kostümen ihre Waren feil, Musik erklingt von großen Bühnen, das Essen brutzelt verführerisch in Töpfen und auf Spießen. Eine ganz eigene und unvergessliche Atmosphäre.

Die „Mediterranea“ legt mit Sichtweite zur Altstadt in Tallinn an, und die roten Hop-on-hop-off-Busse stehen am Terminal bereit – ideal also für Passagiere, die individuell von Bord gehen und sich einfach treiben lassen möchten. Am Abend geht es dann wieder zurück aufs Schiff, das längst zur Heimat geworden ist. Noch einmal ins Theater? Oder ins Casino? Oder mit Cocktail in der Hand den Sonnenuntergang anschmachten? Ach, eine Runde im Pool wäre auch noch nett – man futtert ja viel zu viel auf so einem Dampfer.

Ihren königlichen Abschluss findet die Reise in Stockholm, wo die „Mediterranea“ wieder über Nacht bleibt. Zwei Tage lang liegt uns die schwedische Hauptstadt zu Füßen. Der Hafen liegt sehr weit außerhalb, deshalb bietet es sich hier ebenfalls an, die Hop-on-hop-off-Busse zu nehmen, die direkt am Terminal auf die Gäste warten. Im „Stockholm Pass“ sind sie sogar inklusive, ebenso wie die Bootstouren in der City und der Besuch zahlreicher Attraktionen.

Da wäre natürlich das Königsschloss – wer um die Mittagszeit kommt, erlebt den Wachwechsel der Garde. Mit Blasmusik und strammen Schrittes marschiert die Garde ein – ein prächtiges Schauspiel, das dem britischen Changing of the Guard in nichts nachsteht.

Wer Kinder hat, der entdeckt das Kind in sich selbst und geht auf die Suche nach Astrid Lindgren. Seit einiger Zeit ist ihr Wohnhaus zugänglich für die Öffentlichkeit – theoretisch zumindest. Pro Tag darf nur eine winzige Anzahl von Menschen hinein, und die Vorbestellungen für Tickets ragen bis in den Sankt-Nimmerleins-Tag hinein. Leichter hat man es, wenn man das Kindermuseum Junibacken besucht, in dem die Lindgren-Geschichten lebendig werden. Besonders beliebt ist der Sagotåget, der Märchenzug durch Junibacken. Auf der kleinen Reise durch die einzelnen Märchen hört man Geschichten zum Lachen und Weinen. Und besucht sogar die Villa Kunterbunt. Direkt neben Junibacken warten mit der versunkenen „Vasa“, dem Vergnügungspark „Gröna Lund“ oder dem ABBA-Museum weitere Höhepunkte.

Und nicht vergessen: Unbedingt sollte man sich in den engen Gassen der Gamla Stan, der Altstadt von Stockholm, verlaufen. Denkmäler gibt es hier, die deutsche Kirche, viele Geschäfte – und Cafés mit den besten Zimtschnecken der Welt. Da vergisst man sogar die köstliche Pasta. Für einen Moment.

Von unserem Reise-Chef Michael Defrancesco
Wissenswertes für Reisende:
Anreise:
Es empfiehlt sich, die Anreise über die jeweilige Reederei zu buchen. Der Vorteil: Hat das Flugzeug Verspätung, wartet das Schiff.

Buchtipps:
Reiseführer „Ostsee-Kreuzfahrt“, DuMont Reiseverlag, 12,99 Euro; Reiseführer „Helsinki“, DuMont Reiseverlag, 11,99 Euro; Reisetaschenbuch „St. Petersburg“, DuMont Reiseverlag, 17,99 Euro; Marco Polo „Tallinn“, 12,99 Euro; Marco Polo „Stockholm“, 12,99 Euro

Ostsee-Kreuzfahrten werden unter anderem angeboten von Aida, Costa, Norwegian Cruise Line, Mein Schiff und Royal Carribean.

Unsere Tipps:
Helsinki: Hier kann man problemlos individuell die Stadt erkunden. Wer es preiswert möchte, fährt mit der Straßenbahnlinie 2 eine Runde vorbei an vielen Sehenswürdigkeiten. Verschiedene Tramlinien halten direkt im Kreuzfahrthafen.
St. Petersburg: Es empfiehlt sich, einen Ausflug bei der Reederei zu buchen, da so das Visum inklusive ist. Individuelle Besucher müssen sich selbst im Vorfeld um ein Visum kümmern; das ist aufwendig.
Tallinn und Stockholm: Die roten Hop-on-Hop-off-Busse halten direkt am Kreuzfahrtterminal und fahren Gäste, die individuell die Stadt erkunden möchten, zu allen Sehenswürdigkeiten.

Unser Autor ist gereist auf der „Costa Mediterranea“. Die Reise wurde unterstützt von Costa 
Crociere (www.costakreuzfahrten.de)