Sellraintal

Statt zu Gipfeln geht’s zu gemütlichen Hütten: Im und um das Sellraintal lassen sich abwechslungsreiche Touren gestalten

Von Markus Müller
In einer besonders traumhaften Lage zwischen See und Wasserfall liegt auf 2362 Meter Höhe die Winnebachseehütte, die einen modernen Anbau mit Panoramafenster bekommen hat.
In einer besonders traumhaften Lage zwischen See und Wasserfall liegt auf 2362 Meter Höhe die Winnebachseehütte, die einen modernen Anbau mit Panoramafenster bekommen hat. Foto: Markus Müller

Die 1949 Meter hoch gelegene Dortmunder Hütte, der Ausgangspunkt für unsere Variante der Sellrainer Hüttenrunde, ist schon eine recht ungewöhnliche Berghütte, liegt sie doch direkt an der ganz normalen Straße vom Sellraintal bei Innsbruck ins Ötztal. Aber das ist uns heute nur recht, denn es gießt beim Anmarsch aus Gries im Sellrain in Strömen. Geplant ist eigentlich eine Hochgebirgstrekkingtour mit ein paar leichteren Gipfelbesteigungen. Mal schauen, was bei dem Wetter daraus wird.

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Aber am nächsten Morgen strahlt erst mal die Sonne über dem kleinen Skidorf Kühtai, das jetzt in einem Art Sommerschlaf liegt. Schnell haben wir die Liftanlagen hinter uns gelassen und den Speichersee Finstertal erreicht. Am Seeufer wird deutlich, was auf den ersten Blick gar nicht so aussieht: Man befindet sich in hochalpinem Gelände. Ein Stück Weg ist in den See gerutscht; beim Queren der Stelle ist höchste Aufmerksamkeit geboten. Nach recht schweißtreibendem Aufstieg ist die Finstertaler Scharte auf 2777 Metern erreicht. An einem munter plätschernden Bächlein geht es von der Sonne verwöhnt hinab zur Schweinfurter Hütte.

In einer besonders traumhaften Lage zwischen See und Wasserfall liegt auf 2362 Meter Höhe die Winnebachseehütte, die einen modernen Anbau mit Panoramafenster bekommen hat.

Markus Müller

Die Neuwiederin Carmen Jeitner und ihre Tochter Isabella versorgen gut gelaunt die Gäste auf der Hütte der Alpenvereinssektion Schweinfurt, deren Mitglieder die Wege instand halten.

Markus Müller

Die Neuwiederin Carmen Jeitner und ihre Tochter Isabella versorgen gut gelaunt die Gäste auf der Hütte der Alpenvereinssektion Schweinfurt, deren Mitglieder die Wege instand halten.

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Und dort empfängt uns Hüttenwirtin Carmen Jeitner auf Tirolerisch, schaltet aber dann schnell in einen uns bekannten Dialekt um, als sie hört, dass Westerwälder angekommen sind: Schließlich stammt sie aus Neuwied. Es wird dann ein gemütlicher langer Hüttenabend mit vielen Gesprächen.

Am nächsten Morgen: aus der Traum von der Sonne. Aber was soll’s, wir haben unsere Schlechtwetterausstattung ja nicht umsonst mitgeschleppt. Im dichten Nebel geht es das lang gestreckte Zwieselbachtal hinauf. Nachdem wir einige Schneefelder gequert haben, reißt am Zwieselbachjoch, mit 2868 Meter der höchste Punkt der Tour, die Nebeldecke auf und gibt den Blick frei auf eine grandiose Hochgebirgslandschaft mit Gletschern, Seen, reißenden Bächen und einigen 3000ern, deren Besteigung allerdings das Wetter vereitelt.

Die dritte Hütte ist dann auch wieder was ganz Besonderes, allein schon wegen ihrer Lage. Und ihr Name verrät: Der Winnebach und sein See formen die Landschaft um die Hütte. Und aus dem großen Panoramafenster der Wasserfallstube fällt der Blick sofort hinüber zum Gletscherbach, der die Felswand hinuntertost. Die recht kleine, gemütliche Hütte mit rund 50 Lagern, die schon 1901 erbaut wurde, ist aber auch einfach pittoresk. Und der moderne Anbau, der zu Beginn der Saison 2015 in kürzester Zeit aus vorgefertigten Teilen angefügt wurde, passt trotz des ungewöhnlichen Designs perfekt zum Haupthaus.

Seit 60 Jahren in Familienbesitz

Die Rimls können noch aus einem anderen Grund stolz auf ihre Hütte sein: Sie ist immerhin schon seit mehr als 60 Jahren in Familienbesitz, wie Michael Riml erzählt, dessen Vater das Haus 1955 übernommen hat – noch ohne Strom, ohne Materialseilbahn und ohne warmes Wasser oder gar Dusche. Gebadet wurde im meist eiskalten See, und Haflinger-Pferde wurden für die Transporte der Versorgungsgüter eingesetzt. Ja, man würde gern noch länger den Erzählungen des Gastwirtpaars nutzen, das von Tochter Judith und Sohn Lukas unterstützt wird. Aber schon ist Hüttenruhe angesagt, und früh am Morgen soll's weitergehen.

Hatte abends vor dem Essen noch ein kleiner Ausflug bei strahlendem Sonnenschein an die vielen Bäche oberhalb der Hütte geführt, heißt es am nächsten Morgen wieder: Jacken an, Kapuzen auf und die Rucksäcke mit dem Regenschutz überziehen. Dann geht es in Nebel und Nieselregen durch ein Meer von Steinblöcken hinauf zum Winnebachjoch auf 2788 Meter.

Gott sei dank, ist die Etappe bei dem lausigen Wetter nicht so lang. Schon am frühen Nachmittag kommt das mächtige Westfalenhaus mit der schmucken Kapelle daneben in Sicht. Schnell ins Warme und raus aus den Klamotten. Je stärker es jetzt draußen regnet, desto öfter klingelt das Telefon der Hüttenleute: Immer mehr Gäste sagen ab. Doch im Gastraum sitzt ein interessanter Gesprächspartner, der eigentlich auch nicht mehr raus will: Es ist der fürs Gebiet um die Hütte zuständige Jäger, der ausgerechnet an diesem Tag die Steinböcke zählen muss. Bevor er sich dann doch in die nasskalte Bergwelt aufmacht, hat er einen Grundkurs über die interessante Tierwelt in den Bergen um das Sellraintal vermittelt. Und auch in dieser Berghütte tröstet das vorzügliche Menü mit Suppe, Salat und Hauptgerichten wie Käsknödel oder Hirtenmakkaroni wieder über so manche Wetterunbill hinweg.

Neuschnee verwandelt Landschaft

Apropos Wetter: Am nächsten Morgen hat sich die Bergwelt um das Westfalenhaus völlig verwandelt. Schnee hat die umliegenden Höhen in eine leichte Winterlandschaft verwandelt. Doch ab und zu lugt auch schon wieder die Sonne hervor. Also die Schuhe geschnürt, die Rucksäcke geschultert und nach einem kurzen Dankgebet für eine schöne Hüttentour in der schmucken Kapelle hinauf in die Schneelandschaft, die aber doch recht schnell wieder wegtaut. Zum Glück, denn ein einfaches Gehen ist das auf schneebedecktem Gras und rutschigen Felsplatten gerade nicht. Gut, dass es heutzutage ordentliche Teleskopstöcke gibt. Die leisten dann beim steilen Abstieg hinunter ins Tal zum Alpengasthof Praxmar wertvolle Dienste. Etwas erstaunt, werden von den Gästen, die mit dem Auto angekommen sind, die Bergwanderer gemustert, die da gerade von den verschneiten Höhen herabgestiegen sind und sich jetzt – verdientermaßen – heiße Knödelsuppe und leckeren Kaiserschmarren schmecken lassen.

Infos im Netz: alpenverein.de, tirol.at und innsbruck.info

Wissenswertes für Reisende

Zielgruppe: Die Sellrainer Hüttenrunde ist geeignet für bergerfahrene und konditionsstarke Wanderer.

Anreise: per Bahn bis Innsbruck, von dort gute Busverbindung ins Sellraintal. Mit dem Auto auf der Inntal-Autobahn bis Ausfahrt Zirl-Ost

Beste Reisezeit: Ende Juni bis Ende September, wetterabhängig

Anspruch: hochalpines Hüttentrekking mit teils kürzeren, teils auch konditionell anspruchsvollen Etappen bis in Höhenlagen um die 3000 Meter. Zumeist rote und schwarze Etappen, auch leichtere Wegabschnitte kommen vor. In der Regel gut markiert und an ausgesetzten Stellen mitunter versichert. Im Frühsommer eventuell Schneefelder. Die Runde lässt sich in Varianten mit unterschiedlichen Anforderungen realisieren.

Karten: Alpenvereinskarte Stubaier Alpen/Sellrain 1:25.000, Kompass-Karte 83 Stubaier Alpen 1:50.000

Unser Autor hat übernachtet in der Dortmunder, Schweinfurter und Winnebachsee-Hütte sowie dem Westfalenhaus (alle Deutscher Alpenverein) und im Sporthotel Antonie in Gries im Sellrain. Diese Reise wurde unterstützt von der Tirol Werbung und Innsbruck Tourismus.

Mein Reise-Tipp: Aus Neuwied als Hüttenwirtin in die Tiroler Berge

Seit mehr als 30 Jahren lebt Carmen Jeitner schon im Tiroler Pitztal. Und fast 20 Jahre lang ist sie auf Berghütten im Einsatz. Seit 2011 ist sie mit ihrem Mann Andreas, der auch Berg- und Skiführer ist, als Wirtin auf der Schweinfurter Hütte oberhalb des Ötztals aktiv.

Nachdem sich der allabendliche Betrieb etwas gelegt hat, hat sie mit ihrer Tochter Isabella (29) Zeit für ein Gespräch und schaltet dafür sogar in den Neuwieder Dialekt um. „Es war Liebe auf den ersten Blick“, sagt sie und meint damit tatsächlich eher nicht ihren Andreas, sondern Tirol, das sie vor vielen Jahren bei einem nur dreitägigen Urlaub so ins Herz schloss, dass sie in Neuwied die Koffer packte und ins Pitztal zog. Die Gastronomie war ihr nicht fremd, betrieb ihre Mutter doch bis ins hohe Alter eine Gastwirtschaft. Heute versorgt Carmen Jeitner nun mit ihrer Familie ihre Gäste mit echten Tiroler Hüttengerichten und kümmert sich mit ihrem Team auch um das ganze Drum und Dran in der Hütte. Dort gibt es 16 Betten und 36 Lager. Neuerdings haben es die Jeitners besonders gut, hat die Sektion Schweinfurt des Deutschen Alpenvereins die Hütte doch aufwendig saniert. Wer einmal die ehemalige Neuwiederin besuchen will, muss auch nicht die ganze Sellrainer Hüttentour absolvieren, sondern kann im Sommer wie im Winter direkt zur Schweinfurter Hütte gelangen. Geöffnet ist sie im Sommer in der Regel von Mitte Juni bis Anfang Oktober und im Winter nach Weihnachten bis Dreikönig sowie etwa von Anfang Februar bis Mitte, Ende April.

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