Nicaragua, Honduras und El Salvador warten mit tropischem Farbenrausch auf: Dschungel, Mayas und Vulkane
Der Kratertrichter ist rußschwarz. Verbrannte Erde. Und dennoch überleben in der Steilwand Papageien. Schön warm, aber höchst toxisch. „Die Tiere sind immun gegen die giftigen Dämpfe“, erklärt Henry Moraga. Vor zwei Jahren mussten aber auch sie flüchten. Da spie der Vulkan Feuer, die Erde bebte. Aber kein Vergleich zu 1772, als der komplette Berg explodierte, sich die heiße Lava bis ins Tal wälzte, alles zermalmte und eine ganze Stadt unter sich begrub. Entstanden ist so eine schwarzgraue Mondlandschaft, aus der sich die Silhouetten bizarrer Steinskulpturen erheben.
Unter Zentralamerika brodelt es. Unaufhörlich. Allein in Nicaragua gibt es mehr als 20 Vulkane. Nicht so feurig wie der Masaya. Eher schlummernd. Scheinbar friedlich wie der Mombacho, der hoch über der Stadt Granada 1400 Meter aus der üppigen Tropenlandschaft ragt. Doch immer wieder stößt er kleine Aschewölkchen aus. Heute nicht. Im ersten Gang rumpelt der Geländewagen die steilen Serpentinen nach oben. Regenfälle haben die halbe Schotterpiste weggeschwemmt. Mit jedem Höhenmeter wird es kühler. Von schwülen 32 Grad in der Ebene auf angenehme 18 Grad. Der frischeste Ort unserer Reise durch Zentralamerika.
Am Gipfel ist der Dschungel in einen dichten Nebel gehüllt. Ein verwunschener Märchenwald, durch den sie einen schmalen Pfad geschlagen haben. Es tropft von Orchideen, Farnen und Moosen. Schlingpflanzen hängen von den Bäumen herab. Die Erde schwitzt Feuchtigkeit aus. Bei jedem Schritt schmatzt der weiche Schlamm unter den Füßen. Irgendwie unheimlich. Und ungewohnt still. Kein einziges Tiergeräusch. Obwohl es im Unterholz nur so von Leben wimmelt. „Wir haben hier Pumas, Boas, Affen und Klapperschlangen“, zählt Moraga auf, als sich die Gruppe durch einen schmalen Felsspalt zwängt. Und das ist wohlgemerkt nur die Spitze der Nahrungspyramide.
Jetzt setzt auch noch Nieselregen ein. Die Sicht endet an der nächsten Nebelwand. Keine zehn Meter. Bis der graue Schleier plötzlich aufreißt – und einen kurzen Blick auf Granada und den riesigen Nicaraguasee freigibt, der sich über Dutzende Kilometer ins Landesinnere erstreckt. Dann zieht es sich auch schon wieder zu. Abstieg. Zurück in die Hitze.In Granada scheint die spanische Kolonialzeit stehen geblieben zu sein
Der Minivan holpert über Kopfsteinpflaster an bunten Bürgerhäusern und Barockkirchen vorbei. Dabei ist in der touristischsten Stadt Nicaraguas kaum ein Gebäude älter als 200 Jahre. Immer wieder ist Granada verwüstet worden. Mal von Erdbeben, mal von Bränden, mal von marodierenden Truppen. Und immer wieder haben sie die Stadt aufgebaut. Es hat sich gelohnt. Vom Glockenturm der Kirche La Merced haben Besucher die beste Aussicht, um den Blick über die bunten Häuser des Zentrums schweifen zu lassen, in dem nachts auf den Straßen das Leben pulsiert. Bar an Bar. Junge Menschen, die sich im Rhythmus karibischer Klänge wiegen. Wie in Havanna.
Es ist schon heiß, als das Ausflugsboot am nächsten Tag vom Ufer des Nicaraguasees ablegt. Über den Horizont flimmern die Gipfel der beiden Vulkane der Insel Ometepe. Reiseführer Moraga winkt ab. „Zu weit weg.“ Dafür ist der See, der über den Rio Juan einen direkten Zugang zum Atlantik hat, viel zu groß. Von hier kamen einst die Spanier ins Land – und nicht nur die. „Wir haben auch Bullenhaie und Schwertfische im See, die aus der Karibik raufgeschwommen sind“, sagt Henry, während das Boot durch die üppig-grüne Inselwelt tuckert. Rund 300 sollen es sein. 5000 Menschen leben im See. Und eher nicht die, die den mageren monatlichen Mindestlohn von 130 Euro erhalten. „Michael Douglas hat hier eine Villa“, sagt Moraga. Und die halbe Oberschicht von Nicaragua. Mal sind es nur Hütten, mal Wochenendhäuser, mal regelrechte Paläste, die dicht von Bäumen umwuchert sind.
Von einem Ast lässt sich ein Affe ins Wasser fallen. „Die sind ausgesetzt worden“, erklärt Moraga. „Sie kommen nicht mehr weg, weil sie nicht schwimmen können.“ Aber die Tiere haben sich offenbar mit ihrer neuen Umgebung arrangiert.
Von Granada sind es rund zwei Autostunden nach San Juan del Sur im Süden des Landes an der Grenze zu Costa Rica. Viktorianische Holzhäuser, Hostels und Restaurants. Ein Surferparadies, über dessen wilde Strandpartys eine Christusstatue wacht. Der grüne Urwald wuchert bis zum weißen Strand, gegen den der blaue Pazifik brandet. In Morgans Rock haben sie die Hütten gleich direkt in den Dschungel gebaut. Die Zimmer des Ökohotels sind nach allen Seiten offen – Meeresbrise inklusive. Ein Ort zum Abschalten.
Honduras: Tropenparadies mit Schattenseiten
Landeanflug auf San Pedro Sula. Unter uns zieht die Karibik türkisblau hinweg. Honduras. Ein Tropenparadies mit Schattenseiten. Bandenkriege. Korruption. Armut. Das Land gilt vielen als Inbegriff einer Bananenrepublik. So, als wollte er alle Vorurteile bestätigen, schlägt der Sitznachbar im Flieger die Zeitung auf. Eine Doppelseite mit Namen, Bildern, Kurzbiografien. Alles Polizisten, die 2019 getötet worden sind. Auch in Zentralamerika gilt also: Augen auf bei der Berufswahl! San Pedro Sula hielt dabei lange einen traurigen Rekord als die gewalttätigste Stadt der Welt – außerhalb von Krisengebieten. „Die Maras sind wie die Pest“, sagt der Sitznachbar jetzt ernst und legt die Stirn in Falten. Brutale Jugendbanden. „Sie rekrutieren ihren Nachwuchs meist aus Kindern von Drogenabhängigen und Prostituierten“, erklärt er. Die Eintrittskarte in die Welt der Gangs: Mord.
Honduras hat ohnehin weit attraktivere und friedlichere Ziele zu bieten. Im Weltkulturerbe Copan fließt schon lange kein Blut mehr. Die alte Mayastadt an der Grenze zu Guatemala haben sie nach einem jahrhundertelangen Dornröschenschlaf praktisch wieder komplett aus dem Urwald rausholzen müssen. Ein spektakuläres Freilichtmuseum. Von Steinstelen fletschen Affen und Krokodile die Zähne. Fratzen starren die Besucher mit weit aufgerissenen Augen und irrem Blick an. Züngelnde Schlangen winden sich um Menschenleiber. Ein antikes Gruselkabinett. Aus dem dichten Grün brüllen dazu die Affen. Und über den Köpfen kreischen rote Papageien, die in den Ruinen leben. Ein Ceiba, der heilige Baum der Mayas, krallt sich mit seinen Wurzeln in einer Grundmauer fest. Im Geröll darunter wühlen die Archäologen.
Es ist ein bisschen so wie bei „Indiana Jones“. Unser „Indy“ heißt Yobani Antonio Pereza. „Copan ist die Stadt der Fledermäuse“, sagt er, „weil sie mit einem einzigen Biss Köpfe abbeißen können.“ Glaubten zumindest die alten Mayas. Aber die hatten ohnehin einen ungesunden Hang zu Gewalt. Der Mayaexperte führt uns über den alten Ballsportplatz, auf den die Sonne schon morgens gnadenlos herabbrennt. „Ziel war es, einen Kautschukball in Ringe zu werfen“, erklärt Pereza. Mehr Ritual als Sport. Gekämpft wird mit harten Bandagen. Nicht selten gibt es Tote und Schwerverletzte. Und wer sich lebend vom Platz schleppt, ist auch nicht unbedingt gerettet. Denn es ist ein Spiel um Leben und Tod. „Wir wissen nicht genau, ob Sieger oder Besiegte geopfert worden sind“, sagt Pereza. Eine echte Zitterpartie also. „Geopfert zu werden, war damals aber eine Ehre“, betont Pereza. Ein schwacher Trost für die armen Teufel, die die Stufen der Pyramiden heruntergestoßen wurden.
Mehr 25.000 Menschen sollen zu Copans Glanzzeit vom 7. bis zum 9. Jahrhundert in der Stadt gelebt haben. Die Bewohner waren große Baumeister, kluge Astronomen – und gefürchtete Krieger. So wie einer der mächtigsten Könige von Copan, der mit dem kuriosen Namen „18 Kaninchen“ in die Geschichte eingegangen ist. Eitel muss er gewesen sein, wie die Hieroglyphen auf seinen Stelen vermuten lassen, die Wissenschaftler mühevoll enträtselt haben. Geradezu größenwahnsinnig. Und nach seinem letzten Feldzug auch einen Kopf kürzer. „Der König wurde gefangen“, sagt Pereza. Und geopfert.
Majestätisch ragt die Pyramide im Zentrum von Copan in den kobaltblauen Himmel. Dahinter verwittern die Paläste der Oberschicht. Eine reiche Hochkultur, bis sie plötzlich auf mysteriöse Weise untergeht. Klimawandel? Raubbau? Eine ökologische Katastrophe? Sicher weiß man es nicht. Irgendwann wird Copan verlassen, vergessen und vom Urwald überwuchert. Die Natur hat die Stadt verschluckt, bis sie sie Jahrhunderte später wieder ausspuckt.Bei den Majas waren die Straßen besser …
Auch die Straße zum Luna Jaguar Spa Resort muss noch aus der Zeit der Mayas sein. Gefühlt ist die Strecke ein einziges Schlagloch. „Nein, damals waren die Straßen sicher besser“, knurrt der Fahrer und steuert den Wagen über die Buckelpiste – an den übelsten Stellen mit Schrittgeschwindigkeit. Nach gut zwei Stunden rumpelt der Jeep im Thermalbad ein. Die Szenerie hat was von Dschungelcamp. Über eine schwankende Hängebrücke geht es zur Quelle, die 95 Grad heiß aus der Erde sprudelt und sich dann in einer Kaskade durch den dichten Urwald ins Tal schlängelt. Bloß nicht verbrühen! Flusswasser muss die Temperatur erst runterkühlen, bis es von 32 Grad Außentemperatur ins 45 Grad warme Wasser der künstlichen Becken und Grotten geht. Heiße Thermen in den heißen Tropen. Eine Freiluftsauna. Die Schlammpackung gibt's inklusive. Und wer will, kann sich in einer Hütte durchkneten lassen oder im Kräuterdampf schwitzen. Gewöhnungsbedürftig, aber durchaus erholsam.
Tiefer ins Landesinnere. Zum landwirtschaftlichen Herz von Honduras. Auf der Kaffeeplantage Welchez stimmen die Zikaden ihr Konzert an. Ein Höllenlärm. „Für euch mag das ja exotisch klingen, aber mir geht es mächtig auf die Nerven“, sagt Javier Mejia, der für das Kaffeeunternehmen arbeitet. „Mittags sind sie am lautesten.“ In ihrem Zirpen gehen die Schreie der Aras und Tukane fast unter. Schmetterlinge in allen Farben schwirren um meterhohe Bananenstauden. Nur kein Kaffeebaum weit und breit. „Der Dschungel ist naturbelassen“, erklärt Mejia. Nur ein paar Pfade haben sie in die grüne Hölle geschlagen. Sogar Jaguarundis schleichen durchs Unterholz. „Scheue Tiere“, sagt Mejia. Seltene Wieselkatzen.
Bis wir die ersten Kaffeebäume zu sehen bekommen, ist es noch ein kleiner Fußmarsch an einem rauschenden Bach entlang. Die Zikaden haben noch mal zugelegt. Der Lärmpegel schwillt weiter an. 400 Hektar ist die Plantage groß, auf der zur Erntezeit bis zu 300 Menschen arbeiten. „Ein guter Pflücker kann 60 Kilogramm am Tag ernten“, erzählt Mejia. Der Großteil geht in den Export. Asien. Europa. Und Deutschland natürlich. „Honduras ist weltweit die Nummer fünf bei der Kaffeeproduktion“, sagt Mejia stolz. 130.000 Kleinbauern leben in dem armen Land vom Kaffee. Im Lager stapeln sich die Säcke bis zur Decke. Aus der Rösterei verströmt der aromatische Geruch frisch gemahlener Bohnen. Daneben liegt das Labor, in dem Mejia alle Kaffeesorten des Hauses aufbrüht. Mal süß, mal bitter, mal fruchtig. Eine Wissenschaft für sich.
El Salavador: nach dem Bürgerkrieg noch immer traumatisiert
An der Bahia de Jiquilisco reichen die Zuckerrohrfelder direkt an die Mangroven. Bis zu den Hüften stehen die Männer im braunen Brackwasser, das gegen die freiliegenden Baumwurzeln schwappt. Im Rücken die grünen Vulkane von El Salvador, vorn der dunkelblaue Pazifik. Aber für die landschaftliche Schönheit haben die Fischer keinen Blick. Mühsam ziehen sie ihr Netz enger und enger. Der Chef brüllt Kommandos. Schritt für Schritt tasten sich ihre Füße durch den modrigen Schlamm, bis sie nach einer guten Viertelstunde dicht nebeneinanderstehen. Enttäuschung in den Gesichtern: Sie haben nur einen Baumstumpf aus dem Wasser gezogen. Ärgerlich wird er weggeschleudert. Und wieder wird das Netz ausgeworfen. Mitten im Biosphärenreservat, in dem Fischen streng verboten ist. Doch die Männer machen keine Jagd auf Sardinen, Krabben oder Red Snapper. Sie stehen im Dienst der Wissenschaft. Melissa Ballo feuert die Männer vom Boot aus an. Die junge Biologin zählt die seltenen Karettschildkröten in der Pazifikbucht und untersucht ihren Gesundheitszustand. 700 sollen es wieder sein, nachdem sie fast ausgerottet waren. „Früher haben die Menschen die Eier gegessen“, sagt die 30-Jährige. „Jetzt kaufen wir sie ihnen für einen Festpreis ab.“
Diesmal zappelt es im Netz. „Ein Jungtier“, sagt Melissa Ballo mit Expertenblick. Wild paddelt die Schildkröte mit ihren Flossen durch die Luft. Eine ist verletzt. „Wahrscheinlich ein Hai“, sagt die Biologin und zieht dem Tier eine Augenbinde über den Kopf, um es zu beruhigen. „Aber sie wird es wohl überleben.“ Weit gefährlicher als Raubfische sind ohnehin die Abfälle, die überall auf dem Meer herumtreiben und die die Schildkröten mit Quallen verwechseln. Ihrer Beute. „Ich habe schon bis zu einem Kilogramm Plastik in den Mägen von verendeten Tieren gefunden“, klagt Melissa Ballo. Dieses Jungtier ist bis auf die zerfledderte Flosse kerngesund. Noch schnell die Länge messen und wiegen. Dann taucht die Schildkröte auch schon wieder ab in die Tiefe.Lange hatte El Salvador andere Sorgen als Tierschutz. Der Bürgerkrieg hat das kleine Land und seine sieben Millionen Einwohner tief traumatisiert, ganze Regionen fast entvölkert. Am Lago Suchitlan im Norden scheinen alle Spuren verwischt. Der See schimmert türkisblau in der Abendsonne. Ausflugsboote steuern Touristen an kleinen Inseln und Bäumen vorbei, deren Äste sich bis ins Wasser beugen. Eine Landschaft wie ein Postkartenmotiv. Hinter der Bergkette am Horizont liegt schon Honduras.
Geschundenes Land. Denn unweit von hier hatten die Rebellen zur Zeit des Bürgerkriegs ihr Hauptquartier. Tief unter der Erde. „Sie haben von den Vietnamesen gelernt, Tunnel gegraben“, erklärt Reiseführer Carlos Belloso. In den 80er-Jahren lässt die Regierung den Norden deshalb fast unablässig bombardieren. Es gibt Massaker an der Zivilbevölkerung. Tausende Tote. Eine Region auf der Flucht. „Wer an der Universität studierte, geriet schnell in den Verdacht, Revolutionär zu sein“, erklärt Belloso. So wie seine ältere Schwester. „Sie wollte Lehrerin werden, hatte überhaupt nichts mit den Rebellen zu tun.“ Und musste doch in die USA fliehen. 27 Jahre ist das her. Seither hat er sie nie mehr gesehen. Nicht mal zur Beerdigung der Mutter konnte sie kommen. „Sonst hätte sie nicht mehr in die USA einreisen dürfen“, erklärt Carlos. Eine Geschichte, wie sie fast jede Familie in El Salvador erzählen kann.
Wie so oft in Zentralamerika verlaufen die Fronten zwischen Arm und Reich. Zwischen altem Geld wie in Santa Ana, der Stadt der Kaffeebarone. Carlos Belloso kann ihre Familiennamen auswendig aufzählen. Und den Elendsvierteln der Großstädte. So wie in San Salvador, das sich mittlerweile für die Touristen rausgeputzt hat. Und doch lasten die Folgen des Bürgerkriegs in der Hauptstadt noch auf den Menschen. Vor den Geschäften patrouillieren Wachmänner mit halbautomatischen Waffen.
Umso mehr verehren sie Oscar Arnulfo Romero. Wie einen Heiligen. Seit 2018 auch mit dem offiziellen Segen der katholischen Kirche. 1980 ist der Erzbischof, der leidenschaftlich für soziale Gerechtigkeit kämpfte, während einer Messe erschossen worden. Sein Grabmal in der Krypta der Kathedrale ist zur Pilgerstätte geworden. Ein Ort des Gedenkens und der stillen Trauer. Der Bürgerkrieg ist lange vorbei, doch die Narben auf den Seelen sind geblieben.
Weitere Infos zu Nicaragua, Honduras und El Salvador gibt's unter www.visitcentroamerica.com