In Lissabon kocht nicht nur Mama gut

Abendstimmung in Lissabon: Blick vom Castelo auf den Tejo. Links unten der Prachtplatz Praça de Comercio, rechts die Brücke über den Fluss, die Ponte 25 de Abril. Foto: Rainer Gräff
Abendstimmung in Lissabon: Blick vom Castelo auf den Tejo. Links unten der Prachtplatz Praça de Comercio, rechts die Brücke über den Fluss, die Ponte 25 de Abril. Foto: Rainer Gräff

Von Stockfischen, goldenen Eiern, dem Hotelzimmer von Grace Kelly und Fenstern, die zweimal täglich geputzt werden: Wir waren unterwegs in Lissabon.

Lesezeit: 4 Minuten
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Von unserem Redakteur Rainer Gräff

Egal, was und wo der Portugiese isst, er beendet sein Mahl stets mit dem Ausspruch oder zumindest dem Gedanken: „Am besten kocht meine Mama.“ Diese Erfahrung macht auch Petra M. Sauer immer wieder. Die Rheinländerin ist Generalmanagerin des Fortaleza do Guincho in Cascais direkt an der Atlantikküste unweit von Lissabon. Dabei hat die Hauptstadt Portugals samt ihrem Umland so einiges zu bieten in Sachen gutes Essen und Sterneküche. Vom Charme der Stadt und der Landschaft ganz zu schweigen. Vom Fortaleza do Guincho hat man den Südwestzipfel Europas mit dem Leuchtturm am Cabo Raso quasi im Blick, während man die exquisite Küche von Vincent Farges genießt. Der Franzose hat einen besonderen „Ehrgeiz“: nicht mehr als drei Zutaten pro Gericht zu verwenden. Geklotzt wird dafür bei der Weinkarte mit mehr als 800 Positionen.

Für den Traumblick von draußen oder aus dem Restaurant auf die peitschenden Wellen und die Surfreviere des Guincho-Strandes werden hier eigens zweimal täglich die Panoramafenster geputzt, sagt die deutsche Chefin. Die Zimmer sind relativ klein, schließlich haben hier früher die Mannschaften und Offiziere des Forts geschlafen. Aber sogar Grace Kelly bettete hier einst ihr müdes Haupt oberhalb der wilden Küste. Wer da nicht ins Schwärmen gerät ...

Zurück zum Essen. Er käme nie auf die Idee, sich mittags selbst etwas zuzubereiten, erzählt Vitor Carrico von Turismo de Lisboa. Nein, der berufstätige Portugiese – und auch viele andere – verbringen die Mittagspause in Restaurants oder Cafés. So viel Zeit muss sein. So weit im Süden Europas ist Zeit schließlich ein dehnbarer und sehr individueller Faktor und hat mit dem wenig zu tun, was Uhren oder Terminkalender anzeigen. Was die Portugiesen und ihre Lebensart zweifellos sympathisch, für deutsche Gemüter aber bisweilen ein wenig anstrengend macht. Den Touristen ficht das freilich nicht an, er lässt sich treiben in der geschäftigen Stadt, die an allen Ecken und Enden etwas zu bieten hat. Für das Auge, für das Ohr – und für den Geschmackssinn.

Zu den großen Meistern der kulinarischen Verführung in Lissabon gehört zweifellos José Avillez. In seinem „Flaggschiff“, dem gleichwohl unscheinbar beim Theater liegenden Restaurant Belcanto, zaubert er mit seiner Brigade Geschmackserlebnisse mit gemäßigter Molekularküche, ohne dass der Gast am Ende verwirrt, aber hungrig vondannenziehen müsste. Wer die Gesichtskontrolle am Eingang passiert hat, wird von Avillez' Zwei-Sterne-Kochkunst überwältigt. Inklusive perfektem Service und ganz ohne Steifheit. Hier speisen Gourmets neben Familien mit Kindern, hemdsärmelige Typen neben modelreifen Damen.

Avillez ist für alle da. Und wer sich das „Belcanto“ nicht leisten kann oder will, dem bietet der eher unscheinbar wirkende, hagere und blasse Küchenkünstler mit dem dunklen Bart andere Facetten seines kulinarischen Imperiums an: Sie nennen sich Cantinho, Café, Pizzaria, Take-away. Und einen Cateringbetrieb hat der geschäftstüchtige José natürlich auch. Nicht zu vergessen seine Fernsehauftritte und Buchveröffentlichungen. Anzeichen des Verzettelns seitens des Maestro bietet zumindest der „Selbstversuch“ im „Belcanto“ nicht. Durch die Glasscheibe kann man den Künstlern in der winzigen Küche zuschauen, wie sie Menügänge mit malerischen Namen wie „Der Garten der Henne, die goldene Eier legt“ – samt leicht dekadenter Blattgoldauflage – oder die „Explosion der Olive“ zaubern. Ein deutscher Name steht für ein weiteres Ausrufezeichen im kulinarischen Lissabon. Sternekoch Joachim Körper zaubert im Restaurant Eleven mediterrane Küche, serviert mit Traumblick auf die Stadt und den Fluss Tejo.

Zugegeben: „Nur“ wegen des Essens fährt man nicht nach Lissabon. Dort locken Sehenswürdigkeiten und Schönheiten, die einen Kurztrip oder auch einen längeren Aufenthalt unbedingt lohnenswert machen. Die einschlägigen Reiseführer wissen die Wege, ob zur Burg Sao Jorge über der Stadt mit traumhaftem Blick auf den Sonnenuntergang, zum Torre de Belem oder zum Kloster des heiligen Hieronymus. Ganz in der Nähe – der kleine Exkurs sei erlaubt – liegt übrigens eine weitere Pilgerstätte der Einheimischen und der Touristen, wenn sie auch nur ein einigermaßen ausgeprägtes Faible für Süßes haben. Bei Miguel Clarinha in der Antiga Confeiteria gibt es unbestritten die besten Pastéis de Belém, sahnige Puddingtörtchen. 20 000 bis 50 000 Stück entstehen mit reichlich Handarbeit pro Tag, jedes Törtchen kostet 1,09 Euro. Lange Schlangen vor dem Ladengeschäft mit dem dahinterliegenden Café zeugen davon, dass es das Haus mit der Tradition seit 1837 geschafft hat, zur lukrativen Legende zu werden. Tradition haben auch Geschäftchen wie der schnuckelige Handschuhladen „Luvaria Ulisses“ in der Rua do Carmo, in den maximal zwei Kunden gleichzeitig passen.

Lissabon besteht seit der Kommunalreform 2013 aus 24 Stadtgemeinden. Traditionell ist allerdings die Aufteilung in vier Barrios verwurzelt, die auf sieben Hügeln liegen. Terrassenförmig liegt die Stadt über dem Fluss Tejo, der hier ein Delta bildet und 18 Kilometer weiter westlich in den Atlantik mündet. Die Lage an Meer und Fluss prägt denn auch traditionell die Küche Lissabons und Portugals. Nicht fehlen darf der Stockfisch, ob im familiären Alltag, beim traditionellen Weihnachtsessen oder auch adaptiert in der Sterneküche.

Beim Spaziergang durch die Gassen der Unterstadt Baixa ab dem „Tor“ zu Lissabon, der prächtigen Praça de Comercio, ist der getrocknete Nationalfisch weder optisch noch geruchstechnisch zu übersehen. Er gehört einfach dazu wie die legendären Straßenbahnen, die Aufzüge oder die berühmten Fado-Klänge.

Mehr Infos gibt es im Internet unter www.visitlisboa.com oder www.lissabon.com