Großpolen

In Großpolen entschleunigt durchstarten: Land der 100 Seen lockt mit Kultur, Kulinarik und Wassersport

Von Sandra Fischer
Im Land der 100 Seen werden natürlich Wassersportarten groß geschrieben.
Im Land der 100 Seen werden natürlich Wassersportarten groß geschrieben. Foto: Sandra Fischer

Spätestens seit Corona wissen wir reisetechnisch zwei Dinge: Es muss nicht immer die glamouröse Fernreise zu exotischen Stränden sein. Und: Entschleunigen tut gut. Ein Urlaub im ländlichen Großpolen vereint beide Aspekte und beleuchtet ein viel zu wenig beachtetes Reiseziel: willkommen im Land der 100 Seen.

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Nur etwa drei Stunden von der bundesdeutschen Hauptstadt entfernt, tauchen wir ins polnische Entschleunigungsprogramm ein: Malerische Felder mit Klatschmohn und Kornblumen strahlen mit idyllischen Seelandschaften um die Wette. Dazwischen immer wieder historische Gebäude und Windmühlen. Moment, Windmühlen? Ja, Windmühlen. Die Bauten, die eigentlich Frau Antje und ihren Landesgenossen zuordnet werden, sind Zeugnis der niederändischen Siedler, die im 18. Jahrhundert als Kolonisten das Land urbar machten und bewirtschafteten. Rund 200 der auffälligen Bauwerke, mehr als in jedem anderen Gebiet Großpolens, sind in dieser Region zu finden.

Im Land der 100 Seen werden natürlich Wassersportarten groß geschrieben.

Sandra Fischer

Ewa Michalska kredenzt einen Salat, der ohne Weiteres auch als Blumenbouquet durchgehen könnte.

Sandra Fischer

Südöstlich von Posen liegt das Schloss Rogalin. Die prächtige, spätbarocke Familienresidenz der Adelsfamilie Racynskis kann besichtigt werden.

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Piotr Michalski schält tütenweise frischen Spargel, der seinen Gästen kurze Zeit später aufgetischt wird.

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Nach dem Besuch des Mausoleumsim Burgmuseum in Sieraków, lädt dieser idyllische Rastplatz zu einer Pause ein.

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Die Ferienanlage Olandia in Prusim ist ein revitalisierter Herrenhof-Komplex mit Parkanlage aus dem 18.Jahrhundert.

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Fremdenführerin Katarzyna Tymek mit einem Foto von Frauen in der typischen Bamberka-Tracht. Im Hintergrund ein Brunnen zu Ehren der Siedler aus Oberfranken, die Anfang des 18. Jahrhunderts in die Gegend um Posen kamen.

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Im Traditionsrestaurant Bamberka in Posen werden typisch polnische Speisen wie Sauermehlsuppe in einem Topf aus Brot serviert.

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Das prunkvolle Rathaus von Posen (links). Hier kann man jeden Tag um 12 Uhr das Schauspiel der beiden Ziegenböcke unter der Uhr bestaunen.

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Die prächtige Kulisse der geschichtsträchtigen Stadt Posen.

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Die Windmühle in der Ferienanlage Olandia erinnert an die holländischen Siedler.

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In einem der größten offenen Kamine in Europa bereitet Piotr Michalski das mehrgängige Festessen für die Gäste im Linie w Ogniu zu.

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Frisch und regional ist die Küche, für die das Linie w Ogniu im Minidorf Linie bekannt ist.

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Die prächtigen Räumlichkeiten des spätbarocken Schlosses Rogalin können besichtigt werden.

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In einem Park neben Schloss Rogalin sind die ältesten und dicksten Eichen Polens zu bestaunen.

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Marek Gradski zeigt seine ausgezeichneten Ziegenkäsespezialitäten, die auch auf der Grünen Woche in Berlin angeboten werden.

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Mit feinen Kräutern werden die Bioziegenkäsespezialitäten veredelt.

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Marek Gradski zeigt einige seiner Ziegenkäsespezialitäten.

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In diesen bunten Käseformen enstehen weitere Köstlichkeiten.

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Im restaurierten Weinkeller von Olandia werden den Gästen die feinsten Tropfen polnischer Wein- und Sektkultur kredenzt.

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Der bis zum Eintreffen unserer Gruppe namenlose Ziegenbock, den Piotr und Ewa Michalski mit der Flasche aufgezogen haben, hört nun auf den klangvollen Namen „Vladi“.

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Im Mausoleum des Burgmusueums von Sieraków können die in Europa einzigartigen, prachtvollen Sarkophage mit den sterblichen Überresten des Adelgeschlechts der Opalinski bewundert werden.

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Die einzigartigen Sarkophage der Opalinski.

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An der Warthebrücke versuchte Napoleon 1813, den Einmarsch der Russen zu stoppen. Vergeblich. Die Brücke war damit Schauplatz der letzten Schlacht des französischen Feldherrn in Polen.

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Piotr Michalski und Ehefrau Ewa mit Ziehkind „Vladi“. Der Ziegenbock ist mutterlos aufgewachsen und wurde von den beiden mit der Flasche aufgezogen.

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Durch die zarten Spitzengardinen kann man einen Blick auf den Schlossgarten von Rogalin erhaschen.

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Die Rückseite des Rogaliner Schlosses. Im französischen und englischen Garten lässt sich prima lustwandeln.

Sandra Fischer

Die restaurierte Bibliothek des Schlosses Rogalin könnte auch in einem Harry Potter-Film zu sehen sein.

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Für das größte Gemälde des polnischen Malers Jan Matejko, die „Jungfrau von Orleans“, ließ der Schlossherr eigens eine Galerie erbauen.

Sandra Fischer

Wer die Stufen zum Turm der Johanniterburg in Lagow erklimmt, wird mit einem Blick auf die zwei Gletscherseen, an die sich das mittelalterliche Örtchen schmiegt, belohnt.

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Eine große Windmühle begrüßt uns natürlich auch in der namentlich angelehnten Ferienanlage Olandia in Prusim am Küchensee. Der revitalisierte Herrenhofkomplex mit Parkanlage aus dem 18. Jahrhundert ist beliebtes Feriendomizil für Familien und Gruppen und hat sich Nachhaltigkeit auf die Fahnen geschrieben. Das zeigt sich in der regionalen, CO2-Fußabdruck-armen Küche sowie den drei Windturbinen und der Fotovoltaikanlage. 80 Prozent des Strombedarfs von Olandia werden so gedeckt, erklärt Manager Damian Michałek bei einem Rundgang über das mehr als 5000 Quadratmeter große Areal und berichtet stolz, dass Olandia das erste polnische Hotel ist, das über eine Ladestation für Elektroautos verfügt.

Doch Spa, Konferenzräume, Tennisplatz, Minigolf, Pferdestall und all die anderen Angebote der Anlage müssen erst einmal warten, denn im Land der 100 Seen zieht es uns natürlich zur Hauptattraktion, dem Küchensee, an den sich Olandia schmiegt. Während Kleinkinder am Sandstrand Burgen bauen und mit Genuss wieder kaputthauen, setzen wir schwimmend, per Tretboot oder Kajak zu einer Erkundungstour des großflächigen Gewässers an, das in den späten Nachmittagstunden einladend glitzert. Mit einem Saunagang, einer entspannenden Massage und einer Runde im Whirlpool beenden wir den Wellnessteil und schließen den ereignisreichen Tag mit einer Degustation im Olandia-eigenen Weinkeller ab. Nastrovje!

Nachhaltig, von eigener Muskelkraft angetrieben, geht es am nächsten Tag mit dem Drahtesel auf einem der vielen Radwege durch schattige Wälder, vorbei an wogenden Feldern und Mitgliedern der 100-Seen-Familie ins Städtchen Sieraków, wo wir im Mausoleum des Burgmuseums die in Europa einzigartigen, prachtvollen Sarkophage mit den sterblichen Überresten des Adelgeschlechts der Opalinski bewundern. Nur ein paar Schritte weiter stehen wir an historischer Stelle: An der Warthebrücke versuchte Napoleon 1813, den Einmarsch der Russen zu stoppen. Vergeblich. Die Brücke war damit Schauplatz der letzten Schlacht des französischen Feldherrn in Polen.

Nach so viel Geschichte und rund 26 Kilometern auf dem Radel haben wir uns eine Stärkung redlich verdient. Und so schnell, wie wir in die Pedale treten, so langsam wird im Linie w Ogniu im Minidorf Linie gekocht: Denn im auf außergewöhnliche lukullische Erlebnisse spezialisierten Restaurant mit angeschlossener Bioziegenkäserei, deren Produkte auch auf der Grünen Woche in Berlin verkauft werden, ist Slow Food angesagt. Und so kann ein Mahl auch schon mal ein paar Stunden dauern. Doch die exquisiten Leckerbissen sind jede Minute wert, und die Zeit vergeht wie im Flug, da man in der zur Erlebnisküche/Restaurant umfunktionierten Halle mit einem der größten offenen Kamine in Europa jeden Schritt der Speisezubereitung mitverfolgen kann. So schält Piotr Michalski fleißig bergeweise Spargel, während seine Frau Ewa den originell gedeckten Tisch mit einem Salat krönt, der gut und gern als essbares Blumenbouquet durchgehen kann, und bei Dobromila Tenerowicz-Gradzka der urige Herd gar nicht mehr aus dem Dampfen rauskommt, als am laufenden Band frische Zutaten auf der Platte landen. Wir schmausen uns durch unzählige Gänge, einer leckerer als der andere. Jetzt wäre eigentlich ein mehrstündiger Käseworkshop bei Marek Gradski angesagt. Doch dieser ist heiß begehrt und auf dem Sprung zu einem Fernsehauftritt und kann uns deshalb nur einen Blick in seine Käserei gewähren, wo die beliebten Kreationen in den unterschiedlichsten Geschmacksvariationen unter anderem mit Bockshornklee, Oliven oder Basilikum veredelt werden, bevor sie entweder als Frischkäse direkt auf dem Tisch oder zur Reifung für zwei Wochen im Regal landen. Da Käse angeblich den Magen schließt und unserer jetzt lange genug offen war, liegt zum Abschluss natürlich eine Ziegenkäseplatte nahe, die mit einem edlen Tropfen heruntergespült wird.

Inzwischen hat sich auch das „Ziehkind“ von Piotr und Ewa, der bis dato namenlose Ziegenbock, der mittlerweile auf den klangvollen Namen Vladi hört, von seinem Außenposten nach drinnen und auf den Schoß von Ersatzmama Ewa zurückgezogen. Mutterlos aufgewachsen wurde Vladi mit der Flasche aufgezogen und nächtigt auch mit im Ehebett.

Die Affinität zu den charakterstarken Paarhufern zeigt sich auch bei einem Besuch in Posen. Dort haben die Böckchen es nicht nur auf zahlreiche Souvenirs, sondern auch auf die Spitze des Rathausturmes geschafft. Der Legende nach flüchteten nämlich 1551 zwei Ziegenböcke, die ihr Leben für ein Gastmahl zu Ehren des königlichen Statthalters lassen sollten, auf eben diesen Turm und gingen dort oben mit den Hörnern aufeinander los. Dieses Schauspiel wurde in den Uhrenmechanismus integriert und so zeigen sich jeden Tag zum 12-Uhr-Geläut zwei Ziegenbockfiguren.

Fremdenführerin Katarzyna Tymek hat noch mehr interessante Geschichten im Gepäck, als sie mit uns die geschichtsträchtige Stadt, die mehr als einmal zum politischen Spielball zwischen Preußen und Polen wurde, erkundet. Bevor wir auf dem belebten Marktplatz im traditionsreichen Restaurant Bamberka, das an die Geschichte der Bamberger Siedler erinnert, einkehren, erlaufen wir uns einen Überblick über die 540.000 Einwohner starke und damit fünftgrößte Stadt Polens.

Wir erfahren, dass Posen gleich acht Unis hat, dass Hitler ein Auge auf das prächtige Schloss geworfen hatte und auf dem Balkon des zerstörten Turms extra eine Fußbodenheizung einbauen ließ, um wohltemperiert Parademärsche abzunehmen, dann aber wohl nie Fuß auf posischen Boden setzte. Zumindest ist kein Besuch des Diktators überliefert. Um dem Symbol der fremden Macht keine Gewichtung zu geben, wurde der Turm nie wieder zu seiner Originalhöhe aufgebaut. Was auch die wenigsten wissen ist, dass es drei Mathematiker aus Polen waren, die einst den legendären Enigma-Code der Deutschen knackten. Um dies richtigzustellen, soll im Collegium Historicum ein Enigma-Museum entstehen, berichtet Katarzyna.

Mit Historie, Kultur und Natur gleichermaßen kann das südöstlich von Posen gelegene Schloss Rogalin aufweisen. In der prächtigen, spätbarocken Familienresidenz der Adelsfamilie Racynskis können Besucher nicht nur die prunkvollen Räumlichkeiten bewundern, sondern auch die „Jungfrau von Orleans“, das größte Gemälde des polnischen Malers Jan Matejko, für das der Schlossherr ob der Bildausmaße eigens eine eigene Galerie errichten ließ. Zur Jungfrau gesellen sich heute zahlreiche Werke polnischer und ausländischer Maler aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Doch damit nicht genug, vom Schloss umgebenden englischen und französischen Park sind es nur ein paar Schritte zu ganz besonderen Naturdenkmälern, der mit 9,15 Meter Umfang dicksten und mit rund 800 Jahren ältesten Eiche Polens, Rus, und seine ebenso eindrucksvollen „Kollegen“ Czech und Lech. Die Namen nehmen Bezug auf die Legende des gemeinsamen Beginns der drei slawischen Völker der Polen, Tschechen und Russen.

Bevor wir in deutschen Landen wieder Tempo aufnehmen, noch ein letzter entschleunigter Stopp im pittoresken, mittelalterlichen Städtchen Lagow. Nach einem Kaffee-und-Kuchen-Stopp im extravaganten Galerie-Café Stolarnia lädt uns Geläut zum Besteigen des Johanniterburgtums ein. Viele steile Stufen später werden wir mit einem grandiosen Blick auf zwar nicht 100, aber immerhin zwei Gletscherseen belohnt. Manchmal ist weniger halt mehr, besonders beim Tempo.