„Geangelt wird nur zur Gaudi“: Das lustige Leben der Krebse in Schweden
Der Havstens Fjord vor der Haustür zählt zu Westschwedens Küstenregion Bohuslän und hat den angeblich zu bieten. „Erst mal müssen wir Miesmuscheln suchen, die mögen die Krabben am liebsten“, sagt Daga und, platsch, steht schon bis zu den Knöcheln im Wasser. Miesmuscheln sind die, die es bei uns in jedem Supermarkt zu kaufen gibt. Wie sich zeigt, finden sich hier frische Austern aber deutlich leichter. Was uns zwar freut, aber nicht weiterhilft – blöderweise haben wir kein Austernmesser mit. Und ohne lassen sich die leckeren Meeresfrüchte schwer öffnen. Während die Miesmuschel ihr Innerstes dagegen freimütig hergibt: Die kleine Juni schnappt sich einen Stein, klopft einmal drauf, schon hat die Schale ein Loch. „Das genügt, um die Krabben anzulocken“, erklärt sie, wickelt ein Stück Paketschnur um eine Wäscheklammer und klippt die Muschel dran. Wir suchen weiter, um uns mit Ködern zu präparieren. Dann geht's mit den gebastelten Angeln und einem Eimer voller Wasser auf den Steg. Denn wo der Holzbau Schatten auf den steinigen Meeresgrund wirft und sich Gräser und Algen angesiedelt haben, verkriecht sich unsere Beute am liebsten.
Wir setzen uns auf die Planken, werfen die Leinen aus und baumeln mit den Beinen. Es dauert nicht lang, bis Daga in Triumphgeheul ausbricht. Sie holt ihre Schnur ein, und tatsächlich: Ein kleiner Krebs hängt dran, klammert sich an die Muschel und ringt energisch um sein Futter. Welches Schicksal ihm blüht, als er durch die Luft schwebt, ahnt er wohl nicht. Dann ist die Lust am Leben aber doch größer als die Gier, und er lässt los. Plitsch, taucht er ins Wasser und geht unter Steinen in Deckung, bevor er im Fangeimer landen kann. „Macht nichts“, meint Daga und zuckt mit den Schultern. Denn während wir nur unsere Muscheln baden, hängt bei ihr schon der nächste Krebs dran.
Nach einer Weile beißen die kleinen Biester mit den hübsch transparent schimmernden Panzern auch bei uns an. Einen geglückten Fang zeigen die Krabbenfischer in der Regel mit einem überraschten Jauchzen oder aufgeregten Kreischen an. Selbst die coolsten unter uns stimmen begeistertes Jagdgeheul an. Unsere Technik reift, die Eimer füllen sich. Genug gefischt, finden die Kinder, Zeit fürs Finale: ein Krabbenrennen am Strand. Auf einem Fels kippt die kleine Juni die Eimer aus. Viel Zeit zur Orientierung brauchen die kleinen Krebse nicht. Die Tiere folgen ihrem Instinkt, und das geht flink: Kaum hat man seine Favoriten in dem wuseligen Haufen bestimmt, flitzen die Biester auch schon in die Brandung, wo sie die erste Welle erfasst und ein kleiner Surfgang sie zurück ins Meer mitnimmt.
Satt macht das Krabbenfischen also nicht, höchstens Appetit. Weil wir das ahnten, sind wir mit „Muschel Janne“ verabredet. Sein Restaurant Musselbaren („Austernbar“) liegt gleich in der nächsten Bucht. Wir radeln hin, immer am Fjord entlang, nur um zu erfahren, dass wir uns auch hier unser Essen erst verdienen müssen. Janne grinst.
er 49-Jährige hat sein Geld in der Stahlindustrie gemacht, eine erfolgreiche Firma verkauft und sich nun ganz und gar den Muscheln verschrieben. Denn die sind „echt cool“, findet er: hilfreich fürs Meer, weil sie Schadstoffe filtern, und gesund für den Menschen: reich an Eiweiß, arm an Kalorien. „Je mehr du davon isst, desto besser“, sagt Janne. Mit seinen Muschelbänken sorgt er dafür, dass das Ökosystem im Fjord stabil bleibt und den Gästen das Superfood nie ausgeht.
Auf seinem Fischkutter nimmt Janne uns mit, raus zu den Muschelbänken. Miesmuscheln, Pfahlmuscheln, Austern züchtet er hier. Lobster findet man auch, klar, und natürlich gibt's frischen Fisch zuhauf. Allerdings: „Muscheln sind Rock 'n' Roll, Fische eher Disco“, meint Janne. Denn Muscheln schmecken nicht nur, für das Meer funktionieren sie wie ein Putztrupp. Eine zwei Jahre alte Muschel filtert fünf Liter Wasser pro Stunde. „Ein Kilo Muscheln schafft 6000 Liter Wasser am Tag – das ist eine Superkläranlage.“ Jannes Lieblinge sind die unscheinbaren Pfahlmuscheln. „Die werden auch zum Krabbenfischen genutzt“, erklärt er. Was wir freilich schon wissen. „Sie haben sechsmal so viel Protein wie eine Auster!“ Jetzt sind wir doch verblüfft.
Der Himmel glüht schon in abendlichem Rot, als wir von Bord und zum Restaurant gehen. Janne will uns dort seine Muschelpfanne zaubern: in einem riesigen Wok auf der Terrasse mit Blick auf den Fjord. Eine Postkartenansicht, es wird einem weh beim Gedanken, dass der Tag fast zu Ende ist. Aber die Sonne ist nett zu dieser Zeit in Schweden. Sie geht zwar unter, aber ihr Licht nimmt sie nicht mit.