Die Wiege des Weins steht am Douro

„Bitte nicht stören, hier wachsen großartige Trauben“, warnt ein Schild vor jungen Reben, die der Winzer Stéphane Ferreira wie seine Babys hegt. Ein Zeichen für Witz und Selbstbewusstsein – mit Recht: Weinkenner zählen die Weine vom Douro zu den weltweit besten. Foto: Nicole Mieding
„Bitte nicht stören, hier wachsen großartige Trauben“, warnt ein Schild vor jungen Reben, die der Winzer Stéphane Ferreira wie seine Babys hegt. Ein Zeichen für Witz und Selbstbewusstsein – mit Recht: Weinkenner zählen die Weine vom Douro zu den weltweit besten. Foto: Nicole Mieding

Da reist man zu Europas äußerem Ende – und die Probleme hören sich fast wie zu Hause an. „Wenn die Gebäude beginnen, die Landschaft zu deklassifizieren, dann ist der Welterbestatus futsch“, schimpft Dona Ana Maria.

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Sie meint damit nicht etwa den Mittelrhein, sondern das Dourotal. Dort liegt das älteste Weinanbaugebiet der Welt, das sich von Porto an der Atlantikküste den Fluss entlang bis hin zur spanischen Grenze zieht. Fluss, Weinberge und auch die Tradition der Portweinherstellung hat die Unesco 2001 zum Weltkulturerbe erklärt. Was einige leider nicht hindert, viel zu groß geratene Architekturklötze in die Landschaft zu stapeln, um der Welt zu zeigen, wie weit man es hier mit Weinbau bringen kann. Für Dona Ana Marias Landgut in Lamego gilt diese Kritik nicht – es ist seit 1899 in Familienbesitz. Zur Casa de Santo António de Britiande zählen Wald und, natürlich, Weinberge. Dona Ana und ihr Mann („Er ist groß, schön und der einzige Erbe!“ ) müssen eigentlich nicht arbeiten. Auf ihren Ländereien baut die Gutsbesitzerin aber Äpfel, Pfirsiche, Feigen, Beeren, Birnen, Kirschen, Aprikosen und Walnüsse an. Weil man mit seiner Zeit ja schließlich nicht nichts anfangen kann.

Pah, Edelstahlküchen: Wie soll das gehen, Kochen ohne Feuer?

Mit großer Leidenschaft hat sich die umtriebige Portugiesin aus alter Familie daher auch dem kulturellen Erbe der Region verschrieben. Über das Verschwinden der einfachen Landküche zum Beispiel kann sich die Dame, die sonst in jeder Lebenslage Haltung beweist, regelrecht empören. „Denken Sie nur, diese modernen Quintas haben jetzt alle eine Edelstahlküche!“, ruft sie. „Können Sie sich das vielleicht vorstellen – eine Kochstelle ohne offenes Feuer?“ Und die Landadelige erzählt, dass sie in ihrer Scheune nicht nur Gäste empfängt, Dorffeste und Hochzeiten feiert oder Weinproben ausrichtet, sondern auch Gastronomieschüler aus der Umgebung in traditionellen Kochtechniken unterweist. Den Jungköchen zeigt sie dann, wie man einen Ofen anfeuert und auf rustikale Art ein Huhn brät. „Es gibt 100 Arten, ein Huhn zu kochen, aber heute teilen sie es nur noch in zwei Hälften und legen es auf den Grill“, sagt sie kopfschüttelnd, während Paula, die Perle des Hauses, portugiesischen Ziegenkäse und Quittenmarmelade zum Dessert aufträgt. Dazu holt die Gastgeberin Walnüsse und gießt einen 30 Jahre alten Portwein mit handbeschriftetem Etikett ins Glas. „Der geht nicht in den Verkauf, den trinken wir selbst“, sagt sie und grinst verschmitzt.

Rund 30 Kilometer weiter am Fluss entlang schickt sich Stéphane Ferreira an, das kulturelle Erbe in die Moderne zu führen. In Tabuaço hat er die Quinta do Pôpa gegründet: 30 Hektar in bester Lage – gekauft, nicht geerbt. Ein eigenes Weingut am Douro, das war eigentlich der Traum von Stéphanes Großvater: Pôpa Francisco. Stéphane hat ihn 2008 in die Tat umgesetzt. Weil der Veranstaltungsfachmann von Marketing mehr als vom Weinmachen versteht, hat er sich für den Anfang prominente Hilfe geholt: Luis Pato, genannt auch „Mister Baga“ (Mister Beere), zählt zu den besten Winzern im Land und ist praktischerweise Stéphanes Pate. Er hat ihn beim Kauf, Bau, Pflanzen der Reben und Ausbau im Keller beraten. Und offenbar ist Stéphane ein Musterschüler, denn schon vom ersten Jahrgang seiner Rotweine zeigte sich Weinguru Robert Parker tief beeindruckt. Seither räumen Stéphanes Weine reihenweise internationale Preise ab. Das junge Weingut ist in aller Munde. „Guten Wein zu machen, ist am Douro keine Kunst“, gibt sich Stéphane bescheiden. „Wir leben vom Boden, im Keller braucht man nicht viel zu tun.“

Auftritt: Der Elefant im Porzellanladen

Woher die Trauben ihre Kraft nehmen und die Geschichten, die der Wein später im Glas erzählt, können Besucher im Weingut hautnah erleben: Von der Terrasse aus blicken Besucher auf majestätische Steilhänge, die sich vom Flussbett zu beiden Seiten in den Himmel heben. Bei diesem Anblick stockt einem schon mal vor Ehrfurcht der Atem – sofern man den Kopf nicht zu weit nach rechts dreht. Denn dort hat der Nachbar, ebenfalls Winzer, sich einen monumentalen Kelleranbau gegönnt. Der wirkt in dieser Prachtlandschaft wie ein Elefant im Porzellanladen.

Dabei wäre Trampeln an passender Stelle sogar angebracht. „Wir treten unsere Trauben noch stundenlang mit den Füßen“, erzählt Stéphane bei der Führung durch seinen Keller. Und dass er das traditionelle Einmaischen in offenen Gärbottichen für die schonendste Art hält, um den Saft aus den Trauben zu holen, ohne dabei die bitteren Kerne zu zerstören. „Meine Füße sind zu den Früchten zärtlicher als jede Hydraulikpresse“, behauptet er und wackelt mit den Zehen. Auch mit Humor ist der Mann bestens ausgestattet. „Bitte nicht stören, hier wachsen großartige Trauben heran“, steht auf einem Schild am Hang, in dem Stéphane junge Reben gepflanzt hat. Und in einer besonders lauschigen Ecke ist zu lesen: „Hier niederknien für Ihren Heiratsantrag!“ Wahrhaft, dies ist der Garten Eden.

Darauf muss angestoßen werden, findet Stéphane. Mit einem außergewöhnlichen Wein. „Probier mal, das ist Portwein ohne Brandy“, erklärt er und öffnet eine Flasche von seinem Doce. Der süße Rotwein stammt von 60 Jahre alten Reben und ist eine echte Rarität: Er besteht aus 21 verschiedenen Rebsorten, die im Weinberg kunterbunt zusammenstehen und zu verschiedenen Zeiten gelesen werden müssen. So was hat es hier bislang nicht gegeben! „So fängt ein idealer Abend an“, prostet Stéphane in die gesellige Runde und macht sich auf, um die nächste Überraschung aus seinem nagelneuen Keller zu holen.

Frischer Wind durchweht die Region

Dieser frische Wind bekommt der Region. Denn das Image des Portweins, in dem ihr Ruhm begründet liegt, hat in den vergangenen Jahren reichlich Staub angesetzt. Das haben auch die Betreiber alteingesessener Kellereien erkannt. Sie umwerben das junge Publikum neuerdings mit Late Bottled Vintage (LBV). Denn während die exklusiven Vintage Ports jahrzehntelang in Fässern reifen und weniger Getränk als Geldanlage sind, werden die LBVs schon nach vier bis sechs Jahren trinkfertig abgefüllt. „Das ist die Demokratisierung des Vintage Ports: einfach zu trinken und für jeden erschwinglich“, erläutert Ana Margarida Morgado, als sie an Reihen uralter Fässer vorbei durch das Portweinlager der Traditionskellerei Taylor's in Vila Nova de Gaia führt. Im Frühling kommt der Wein vom Douro zum Reifen hierher, nachdem er seinen ersten Winter im kühleren Flusstal verbracht hat. Dann hat sich der Wein mit dem zugesetzten Brandy vermählt, und am Atlantik wird Hochzeit gefeiert.

In Gaias Gassen liegt eine Kellerei neben der anderen, und aus jedem Gullydeckel kriecht der würzige Duft nach Traubenmaische. Seit jeher ist die Stadt am Douro das Zentrum der Portweinproduktion. Am Ufer gegenüber liegt Porto, wo der Port traditionell gehandelt wird und von wo aus er übers Meer in die Welt geschickt wird. Die beiden Städte sind wie zwei ungleiche Schwestern in herzlicher Rivalität verbunden. „Die eine hat die Arbeit, die andere den Ruhm und das Geld“, fasst es Ana Margarida zusammen und lacht. Diese Konkurrenz führte dazu, dass man auch hier lang um eine Seilbahn stritt. Deshalb quert sie nun nicht den Fluss, sondern führt lediglich am Südufer entlang. Mittlerweile haben sich Bürger und Stadtobere arrangiert – und verstanden, dass man voneinander profitiert. Über den Fluss führt nach wie vor nur die berühmte Eisenbahnbrücke, mit 160 Metern einst die längste frei tragende Bogenbrücke weltweit. Über ihren Bau haben sich der Architekt Gustav Eiffel und sein Konstrukteur Théophile Seyrig einst entzweit. Noch so ein Streit. Aber das ist nun wirklich eine uralte Geschichte. Nicole Mieding