Der etwas andere Weg in den sonnigen Süden

Wasserfälle prägen Osttirol und lassen sich gut mit einem automobilen Schätzchen ansteuern.
Wasserfälle prägen Osttirol und lassen sich gut mit einem automobilen Schätzchen ansteuern. Foto: Olaf Paare

So sind unsere Eltern und Großeltern also einst in den sonnigen Süden gereist. Wir sitzen in einem VW Käfer, in einem Käfer Cabrio um genau zu sein, und staunen über die Gipfel, die sich rechts und links der Straße erheben, genießen die Ausblicke und den Duft der grünen Wiesen.

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Von unserem Redakteur Olaf Paare

Der Felbertauerntunnel liegt kurz vor uns. Er wurde im Juni 1967 eröffnet und diente, lange vor dem Bau der Tauern- und der Brenner-Autobahn, als Tor nach Italien. Im Jahr seiner Eröffnung passierten sage und schreibe 400 000 Fahrzeuge die Route. Der Weg an die Adria oder die Riviera ließ sich dank der neuen Verbindung einfacher und bequemer bewerkstelligen und lockte Millionen Deutsche, im Sommer das Dolce Vita kennen- und lieben zu lernen.

Im Jahr 2015 gibt es schnellere Routen gen Süden, doch die attraktive Strecke hat nichts von ihrem Charme eingebüßt. Und zu spüren, wie unsere Vorfahren ihren ersten Urlaub erlebt haben, ist spannend. Mehr als 80 Sachen machen die Käfer auch heute nicht, an mancher Steigung schalten wir in den zweiten Gang zurück. Die Fehlzündungen sind laut, Erinnerungen an vergangene Automobil-Zeiten heulen auf. Die Autos und Motorräder, die uns überholen, verzeihen uns das geringe Tempo. Höchstens die Freude, mal wieder der Deutschen liebstes Automobil zu sehen, beschert ein anerkennendes Hupen. In vielen Orten wird uns „Käfern“ zugewinkt, zumindest ein Lachen geschenkt.

Die Tunneleinfahrt ist erreicht. Direkt fallen die vielen Ampeln und Sicherheitsanlagen auf. Die Felbertauern-Route musste zwei große Rückschläge verkraften. Nach schweren Unfällen 1999 im benachbarten Tauerntunnel und im Mont-Blanc-Tunnel nahmen Experten sämtliche Röhren in den Alpen unter die Lupe. Der Felbertauerntunnel fiel durch. „Der gefährlichste Tunnel Europas“ lautete eine Kritik. Der Betreiber, die Felbertauernstraße AG, ließ das nicht auf sich sitzen, entkernte das Herzstück der Route und baute Sicherheitsanlagen ein.

Nur ein Jahr nach dem ersten Test wurde erneut hingeschaut, und siehe da: Aus Europas gefährlichstem Tunnel war ein sicherer Ein-Röhren-Tunnel geworden, sogar von Vorbildcharakter war nun die Rede. Auf zahlreichen Monitoren können mögliche Probleme rasch erkannt und (Rettungs-)Maßnahmen eingeleitet werden. Fahrer werden nicht nur gewarnt, wenn sie zu dicht auffahren, sie können sogar vom Sicherheitspersonal über einen Radiokanal in ihren Autos angesprochen werden. Es wird wieder hell, die 5282 Meter lange Tunnelstrecke ist gleich zu Ende.

Das zweite einschneidende Ereignis passierte am 14. Mai 2013 um 1.38 Uhr. Ein Steinschlag, der aufgrund seiner Heftigkeit zu einem Bergschlag heraufgestuft wurde, machte die Abfahrt von der Mautstation ins Tal unpassierbar. Auf einer Länge von 127 Metern war die Straße von Geröllmassen verschüttet worden. Der erste Gedanke, alles aus dem Weg zu räumen und die Straße dann wieder freizugeben, musste rasch verworfen werden. Geologische Untersuchungen ergaben, dass eine Wiederherstellung der alten Strecke wenig Sinn ergibt – zu groß wäre die Gefahr neuer Erdrutsche gewesen.

Die Felbertauernstraße AG entschied sich deshalb für eine neue Trasse und investierte insgesamt 28 Millionen Euro. In einem Kurvenabschnitt war die größte Erdaufschüttung notwendig geworden, die es bisher in Europa gegeben hat. Ein Teil des Geldes floss aber auch in Renaturierungsmaßnahmen. So wurden beispielsweise 35 Ameisenhaufen versetzt.

Während der gut zweijährigen Bauphase der neuen Trasse diente eine ampelgesteuerte und damit zeitraubende einspurige Strecke als Interimslösung. Am 21. August war es nun aber so weit: Die neue Strecke ist für den Verkehr freigegeben. Die Zeit des Wartens ist im doppelten Sinne vorbei. Dem Datum fieberten die Osttiroler übrigens wie einem Feiertag entgegen – die Eröffnung der neuen Trasse ist wie Weihnachten und Ostern an einem Tag für die Menschen der Region. Für sie ist die Felbertauern-Route die Lebensader. Während der zwölftägigen Vollsperrung im Mai 2013 mussten viele einen Umweg von mehr als zwei Stunden in Kauf nehmen, um zur Arbeit oder zu Verwandten auf der anderen Seite des Massivs zu kommen.

Bei der Abfahrt über die neue Strecke nach Matrei fällt der Blick ins Gschlößtal. Es galt bisher als Geheimtipp, könnte durch die neue Trassenführung aber aufblühen. Das Tal ist autofrei. Zu Fuß, per Taxi oder mit der Pferdekutsche wird die herrliche Almlandschaft, die nur im Sommer zugänglich ist, erlebbar. Das Gschlößtal gehört zum Nationalpark Hohe Tauern. Ranger bieten spezielle Touren (Kräuter-, Vögel- oder Gletscherwanderungen) an, die bis einen Tag vor dem Start gebucht werden können. Emanuel Egger ist einer der Ranger. In jeder seiner Erklärungen ist die Liebe zur Natur zu spüren. Er kennt sogar die Bartgeier und Steinadler mit Namen – auch wenn diese so kurios heißen wie Jackpot oder Bingo. Die nationale Lottogesellschaft fungiert als Sponsor der Ansiedlung und somit auch als Namensgeber der Vögel. Rund um das Venedigerhaus scheint die Zeit stehen geblieben zu sein, das Almleben aus mehreren Jahrhunderten kann nachempfunden werden. Die Alm dient aber auch als Startpunkt für Hochgebirgswanderungen in die Venedigergruppe. Die Neue Prager Hütte ist dabei ein beliebtes Ziel.

Nach der Rückkehr zum Matreier Tauernhaus starten wir die Käfer wieder. Weiter geht es in Richtung Lienz, dem Zielort unserer Alpenüberquerung. Das blaue Wasser der Isel weist uns den finalen Weg, die Hänge grüßen in verschiedenen Grüntönen, und entlang der Straße bewundern wir mit bunten Blumen verzierte Gebäude.

Im Verwaltungssitz von Osttirol ist der italienische Einfluss bereits deutlich zu spüren. Lienz dient als perfekter Dreh- und Angelpunkt, um das Drehmoment unserer Käfer Cabrios auf den Prüfstand zu stellen. Der Weg ist dabei das Ziel. Die Lugnerhütte lockt mit einem famosen Blick auf den Großglockner, Österreichs höchsten Berg. Auf der Pustertaler Höhenstraße heißt es kurbeln – und das ohne Servolenkung. Hinter jeder der zahlreichen Kurven eröffnet sich aber ein neuer atemberaubender Blick ins Drautal. Und durchs Defereggental geht es hoch zum Staller Sattel. Die herrlichen Serpentinen sind ohne Gegenverkehr. Am Gipfel passieren wir dann auch den Schlagbaum – Italien, das Ziel der Träume unserer Vorfahren ist erreicht.