Auf Spurensuche in den Ardennen
Vor 73 Jahren ist für die Wallendorfer, wenn sie nicht schon evakuiert sind, von Erholung keine Spur. Am 11. September 1944 überquert ein Trupp US-Soldaten die Brücke und betritt damit erstmals deutschen Boden. Das Dörfchen ist schwer zerstört. Tage später ziehen sich die Alliierten wieder hinter die beiden Flüsse zurück. Am 16. Dezember rollen deutsche Truppen bei der Ardennenoffensive in Luxemburg ein, nach deren Scheitern durchstoßen die GIs im Februar '45 den Westwall in Richtung Eifel. Wallendorf wird erneut verwüstet.
Roland Gaul hält alte Fotos in der Hand und zeigt auf die Öffnung eines kleinen Westwallbunkers, der mit Blick auf die Brücke als Beobachtungsposten diente. Er ist einer von 17 Stationen mit Erläuterungen, die auf der „Promenade du Souvenir“ hüben und drüben von Sauer und Our zu sehen sind. Ein historischer Rundgang von 17 Kilometern, der bei guter Kondition an einem Stück oder bequem in zwei Etappen auf luxemburgischem oder deutschem Gebiet gemeistert werden kann.
Wer will, der kann sich auch unter die Fittiche von Silvia und Roland Gaul begeben. Während die gebürtige Vorarlbergerin für die Organisation zuständig ist, schöpft ihr Mann aus seinem schier unendlichen Fundus an Wissen über eine Zeit, in der die Schrecken des Krieges Alltag waren. 1984 gehört der 62-Jährige zu den Mitbegründern des Historischen Museums Diekirch, aus dem später das Nationale Militärhistorische Museum wird und dessen hauptamtlicher Direktor er sechs Jahre lang bis 2016 ist.
Dort hat er immer wieder außergewöhnliche Begegnungen gehabt. So kommt ein aufgeregter junger US-Offizier aus einer Besuchergruppe auf ihn zu, zerrt ihn am Arm und deutet auf ein ausgestelltes Foto mit einer Sanitäterin, die sich im Feldhospital in Wiltz ihre Füße lächelnd in einem Stahlhelm wäscht. „Meine Mutter Lois“, ruft er in die Runde. Nicht lange danach erhält Gaul die noch vorhandene Uniform von Lt. Lois Gates und stellt mit einer Schaufensterpuppe die Szene nach.
„Gemeinsame Erinnerung erleben und fördern“ – dies ist das Ziel von Gauls „Legacy Tours“. In kleinen Gruppen und ganz individuell in den Dörfern und Wäldern der Ardennen den familiären Spuren folgen und auch kulturell Luxemburg kennenlernen. Mittlerweile ist es die Generation der Enkel auf amerikanischer und auch häufiger auf deutscher Seite, die eine Lücke im Lebenslauf der Vorfahren schließen will. Gaul bringt es dabei etwas salopp auf den Punkt: „Die Amerikaner kommen nicht wegen der schönen Wälder, sondern weil hier mal der Großvater langgelaufen ist.“
Vielleicht hat dieser sogar in der Umgebung von Bastogne im Wald von „Bois Jacques“ in den Schützenlöchern („Foxholes“) um sein Leben gezittert. Dort kämpften auch die Männer der Easy Company des 2. Bataillons des 506. US-Fallschirmjägerregiments. Tom Hanks und Steven Spielberg setzten dieser Einheit mit ihrem Mehrteiler „Band of Brothers“ (als DVD erhältlich) ein filmisches Denkmal.
Bei den deutschen Besuchern ist das Augenmerk nicht allein auf die Weltkriegsgeschichte gerichtet. Denn Exkursionen auf der „Promenade du Souvenir“ oder auf dem Gedenkpfad „Schumans Eck“ beim heiß umkämpften Nothum nahe der Stadt Wiltz und Besuche in militärhistorischen Museen wie Diekirch, Ettelbruck, Wiltz, Clervaux oder dem belgischen Bastogne lassen sich perfekt mit einem Urlaub in der Ardennenregion verbinden. Dort sind Wanderer, Radfahrer und Familien mit Kindern bei einer Fülle von touristischen Attraktionen bestens aufgehoben. Und da Luxemburg das Land der kurzen Wege ist, lassen sich die Highlights am besten mit der Luxembourg Card bei freiem Eintritt entdecken.
Der Landesverkehrsverband in Luxemburg hat sich neue Wege beim Erinnerungstourismus auf die Fahnen geschrieben. So werden bestehende Projekte und ehrenamtliche Initiativen gebündelt. Der Naturpark Obersauer ist Partner beim Projekt „Land of Memory“ in der Großregion Luxemburg/Saarland/Belgien; Ziel ist noch die Einbindung der Westwall-Eifel-Region. Melanie Petton vom Touristikverband Sauer erfasst derzeit Orte und Ziele, die in ein Gesamtpaket einfließen sollen, und baut dabei auf das Fachwissen von Roland Gaul. So schlägt dieser den Wasserturm in Hosingen vor, von dem im Morgengrauen des 16. Dezember 1944 ein amerikanischer Beobachter eine „lange Perlenschnur von kleinen Lichtern“ meldet, die sich Sekunden später als Mündungsfeuer der Artilleriegeschosse der deutschen Ardennenoffensive entpuppen. Als Ende Januar 1945 der deutsche Vormarsch im Chaos geendet ist, sind auf beiden Seiten insgesamt 160.000 Soldaten tot, verwundet oder vermisst. Vom unsäglichen Leid der Zivilbevölkerung ganz zu schweigen.
Vor diesem Hintergrund bekommt der Satz des Diekircher Historikers eine ganz besondere Bedeutung: „Wir müssen uns der gemeinsamen Geschichte stellen. Dies geht nur mit einer Versöhnung über den Gräbern!“ So freut es ihn, wenn besonders jüngere Menschen von seinen Kenntnissen profitieren können. In vier Sprachen – inklusive Letzebuergisch – perfekt unterwegs, ist Roland Gaul ein wandelndes Ardennen-Lexikon. Dabei kann er sich auf 10.000 Fotos und unzählige Dokumente stützen. So hat er bereits vielen Familien bei der Suche nach den Stationen des Kriegseinsatzes von Angehörigen während der Offensive geholfen.
Auch bei geführten Touren des Verkehrsamtes in der Stadt Luxemburg wird neuerdings neben Museen, Altstadt, den Kasematten, EU-Viertel Kirchberg oder dem Stadtteil Grund auch das dunkle Kapitel der deutschen Besatzungszeit aufgehellt. So erfährt der Besucher beispielsweise, dass die Villa Pauly, einst Hauptquartier der Gestapo, heute das Dokumentationszentrum der luxemburgischen Resistance beherbergt.