Auf die wilde Tour

Königsdisziplin: Das Fliegenfischen auf Lachs gilt als besonders anspruchsvoll. Am Kalixälven gibt es auch noch die größten Exemplare.  Fotos: Telser
Königsdisziplin: Das Fliegenfischen auf Lachs gilt als besonders anspruchsvoll. Am Kalixälven gibt es auch noch die größten Exemplare. Fotos: Telser Foto: telser

Dann traf ich Ingvar. Da hatte ich bereits aufgehört, vom großen Fang zu träumen, und eigentlich längst beschlossen, diese Sache mit dem Lachs in Lappland möglichst diskret zu Ende zu bringen.

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Von unserem Redakteur Dietmar Telser

Ingvar muss mich schon länger beobachtet haben. Er steht an der Uferböschung und lächelt. Es ist ein Lächeln, so wie man ein Kind anlächelt, das seine ersten Schritte machen will und dann doch immer wieder hinfällt. Er hat mich dabei beobachtet, wie ich im Fluss stand, schnaufend, schwitzend, und wahrscheinlich hat er auch die Flüche gehört auf diesen aussichtslosen Kampf, der offenbar kaum zu gewinnen war. Kein hemingwaysches Ringen zwischen Fisch und Mensch wohlgemerkt, sondern eines zwischen Mensch und Material, zwischen einer endlos langen Angelrute mit einer sich windenden selbst verknotenden Schnur, auf die eine künstliche Fliege geknüpft ist, die möglichst weit in den Fluss geworfen werden muss. Das Fliegenfischen im Grunde: ein einziges physikalisches Missverständnis. Wer jemals versucht hat, eine Daunenfeder weit und platziert zu werfen, der bekommt eine Vorstellung davon.

Minnesänger am Fluss: Anglerphilosoph Ingvar
Minnesänger am Fluss: Anglerphilosoph Ingvar
Foto: dit

Ingvar winkt und wartet nicht, bis ich auf ihn zukomme. Er ist vielleicht 75, 80 Jahre alt. Er trägt einen Anglerhut, seine Augen sind so blau wie das Wasser des Kalixälven. Er nimmt mir die Angelrute aus der Hand, holt mit dem rechten Arm weit aus, peitscht die Karbonrute nach vorn und lässt die Angelschnur durch die Ringe zischen. Die Fliege landet sanft auf dem Wasser. Noch einmal. Und noch einmal. Dann drückt er mir die Angelrute wieder in die Hand. Er sagt kein Wort. Beim ersten Versuch seufzt er noch, beim zweiten reagiert er nicht. Aber beim dritten Wurf, da nickt er anerkennend.

„Gut“, sagt er. „Ich muss jetzt nach Hause. Meine Frau hat zu Abend gekocht, aber morgen gehen wir gemeinsam los, und dann zeige ich dir, wie man einen Lachs fängt. Morgen fangen wir einen Lachs“, sagt er. „7 Uhr?“

„7 Uhr ist gut“, sage ich.

„Oben am Wasserfall?“

„Oben am Wasserfall.“

„Wir werden einen Lachs fan- gen.“

„Ja werden wir“, sage ich.

Vier Tage war ich in Lappland. Ich hatte im Internet gelesen, dass man im nördlichsten Teil Schwedens die größten und kampfstärksten Lachse Skandinaviens fangen kann. Ich bin in meinem Mietwagen vom Flughafen Luleå losgefahren, eine Straße entlang, die wie ein Strich durch die Landschaft gezogen ist, Asphalt, dann Schotterpiste und wieder Asphalt. Ich habe Rentiere gesehen und Elche, die über die Straßen trabten, und ich habe das Polcirkeln-Schild passiert, also den nördlichen Polarkreis überquert, und schließlich Jockfall erreicht.

Jockfall, der Wasserfall ist Legende. Neun Meter tief fällt hier das Wasser des Kalixälven, schäumt und wühlt sich fast bis ans Ufer heran. Tausende Lachse steigen hier in den Sommermonaten zum Laichen hoch, ruhen sich noch einmal aus, bevor sie an der Fischtreppe weiter in den Norden ziehen. 450 Kilometer lang fließt der Fluss aus Lapplands Bergen in den Bottnischen Meerbusen. An der Fischtreppe regis-triert eine Kamera jeden Lachs. In der Nacht zum 3. August 2012 ist hier ein Lachs mit einer Länge von 146 cm beobachtet worden. Es war der größte Fisch bisher.

Der Lachs ist der Traum vieler Angler. Ein kräftiger, stolzer Fisch mit schmackhaftem Fleisch. Mehr als 20 Kilogramm können Lachse schwer werden. Eine Stunde lang kann der Drill in solchen Fällen dauern. Aus ganz Europa reisen sie deshalb an, um sich am Ende mit einem der Exemplare ablichten lassen zu können.

Ich verabrede mich für den ersten Angeltag mit Ronny Landin. Der Weltmeister ist der ganze Stolz des Ortes. Vor zwei Jahren hat er in Norwegen völlig überraschend die Weltmeisterschaft gewonnen. In diesem Wettbewerb messen sich Fliegenangler im Weitwurf. Ronny Landin warf 44 Meter weit, so weit wie niemand an diesem Tag.

Seither steht sein Name auf seinem Audi Quattro, als wäre er ein prominenter Rallyefahrer. Gesponsert wird er von dem Angelmaterialhersteller Loop. Drei Angelruten hat er auf der Motorhaube befestigt. Sie ragen über Motorhaube, Dach und Heck. Wie Waffen sind die Angelruten am Wagen montiert. Es sieht martialisch aus, wenn Ronny Landin mit röhrendem Motor vorfährt.

Wir waren nicht die Einzigen am Fluss und schon gar nicht die ersten. Jetzt in der Saison sind die Angelplätze begehrt. Es sind ungeschriebene Regeln, die den Angleransturm unter Kontrolle bringen. Sie haben ein raffiniertes Rotationssystem entwickelt, bei dem die Angler nach gut zehn Minuten ihre Position verlassen müssen. So kommt jeder in den Genuss der fangreichen Stellen. Da der Uferabschnitt zu kurz für alle ist, müssen Angler alternierend eine Pause einlegen.

Ronny Landin erklärt die Technik. Seine Antworten auf die Fragen nach der Kunst des Angelns bleiben aber knapp.

„Warum, Ronny, ist es so schwer, einen Lachs zu fangen?“

„Es gibt Tage, da klappt es, manchmal klappt es nicht“, antwortet er.

„Welches Wetter ist besonders Erfolg versprechend?“

„Lässt sich schwer sagen.“

„Warum verwenden wir gerade jetzt diese Fliege?“

„Weil mir die Farbe gefällt.“

Schon am zweiten Tag werde ich von den anderen Anglern nicht mehr gefragt, ob ich etwas gefangen habe. Sie möchten jetzt wissen, ob ich zumindest einen Lachs gesehen habe. Es ist die demütigendste aller Fragen an Angler. „Salmon ist not easy“, wird mir eine Anglerin zuflüstern und gestehen, dass sie seit Jahren hier ist und noch nie etwas geangelt hat. Irgendwann taucht eine Gruppe lauter Finnen auf. Sie sind ausgerüstet wie eine Spezialeinheit der Polizei. Sie haben Kameras an der Brust montiert, mit denen sie das Angeln aufzeichnen. Man mag darüber schmunzeln, aber am Abend präsentiert einer ein Video, das zeigt, wie ein gewaltiger Lachs anbeißt, die Schnur fast vollständig von der Rolle zieht und sich mit dem Schnalzen einer gerissenen Schnur verabschiedet. Nur über diesen Fisch wird an diesem Tag geredet.

Am nächsten Tag treffe ich schließlich Ingvar. Ingvar steht am Morgen schon vor 7 Uhr am Wasserfall. Auf seiner Mütze steckt eine Sonnebrille, am Hals baumelt eine Lupenbrille. Er packt mich am Arm und zieht mich an eine versteckte Stelle.

„Ingvar“, frage ich, „warum ist es so schwer, einen Lachs zu angeln?“ Ingvar holt weit aus. „Du musst wissen“, sagt er, „der Lachsangler ist wie ein verliebter Violinspieler.“ Ohne müde zu werden, würde er auf seinem Musikinstrument spielen, bei Regen und bei Wind, am Tag und in der Nacht. So lange würde er spielen, bis ihm die Liebste ihren Schlüssel zum Herzen geben würde. „Und so ist es auch mit dem Lachsangler.“

Ingvar wird sich neben mich stellen. Und wir werden an diesem Tag angeln und angeln und angeln, und er wird dabei erzählen. Er wird mir erzählen, wie er das erste Mal mit einer Fliegenrute aus Kanada den Fluss entlangging und wie die Leute im Dorf lachten. „Guckt“, der Ingvar, sagten sie. „Jetzt will er den Lachs mit einer Fliege aus Federn fangen.“ Doch als er die ersten Lachse gefangen hatte, folgten ihm die anderen. Und heute gibt es sogar einen Weltmeister im Dorf.

Einmal wird Ingvar nachdenklich. Er sagt, er ist nicht glücklich, wie sich das alles hier verändert hat. Zu viele Geschäftemacher beobachtet er. Und dann ist da die Sache mit dem Dioxin. Keiner spricht darüber ungefragt. Der Lachs steigt aus der Ostsee auf, die stark mit Dioxinen aus Industrie und Müll verseucht ist. In den 90er-Jahren wurde der Lachs in Schweden untersucht. Seither ist der Export verboten. Für den Verzehr im eigenen Land gibt es eine Ausnahmeregelung. Dennoch trauen selbst die Einheimischen dem eigenen Lachs nicht mehr. Im Restaurant am Jockfall gibt es norwegischen Lachs.

Nur Ingvar isst den Fisch, den er fängt. „Ich bin alt, was soll's“, meint er. „Aber ich sage dir etwas: Meiner Schwiegertochter würde ich niemals Lachs aus diesem Fluss zu essen geben.“

Wir werden auch an diesem Tag nichts fangen. Aber irgendwie stört es mich nicht mehr.