Abenteuer Outback: Naturerlebnis im Cinemascope-Format
Im vermeintlichen Nichts ab und zu ein rostiges Eisengatter, das wir passieren. Anhalten, aussteigen, öffnen unter lautem Quietschen. Durchfahren, aussteigen, wieder quietschend schließen. So klingt Einöde, dazu scheppert irgendwo ein Windrad – „Spiel mir das Lied vom Tod“ lässt grüßen. „Wir sind da“, ruft unser Fahrer Scott Connell in den Fond. Die Passagiere auf der Rückbank recken die Hälse. Zu sehen ist: nichts. Außer staubiger Piste.
Es dauert, bis endlich ein Gebäude in unseren Blick rückt. Willkommen auf Digger's Rest Station. Am Haupthaus der Rinderfarm, einer Bruchsteinhütte mit Wellblechdach, haben Wind und Jahre deutliche Spuren hinterlassen. Würde keinen wundern, wenn gleich John Wayne um die Ecke biegt.
Leinwandtauglich ist die Szenerie allemal. Bilderbuchprärie. Schier endlose Weite, bizarr geformte Bäume, vor zehn Jahren hat Nicole Kidman hier das Historienepos „Australia“ fürs Kino gedreht. Australiens schönster Schauspielerin hat Regisseur Baz Luhrman zur Freude der weiblichen Zuschauer den Vorzeigeheld Hugh Jackman zur Seite gesellt. „He get's his shirt off“ ist, was Tourguide Scott Connell am Film für erwähnenswert hält: Jackman, ebenfalls Aussie und 2008 zum sexiesten Mann der Welt gewählt, ist darin mit nacktem Oberkörper zu sehen. In Großaufnahme. Da kann einem selbst bei niedrigeren Temperaturen als den herrschenden 42 Grad schon mal die Fantasie durchgehen.
Für die Pferde, die gesattelt auf uns warten, gilt das zum Glück nicht. Die sehen zwar aus wie Wildpferde, stehen aber in einem Verschlag und sind gaaaaanz zahm, wie man uns sagt. Gut, denn nur zwei in der Reisegruppe können reiten, und Lust auf Rodeo hat keiner. „Habt ihr lange Hosen und fes-te Schuhe dabei?“, fragt Farmerin Alida Woodland, als sie reihum auf Flipflops an nackten Füßen blickt. Sie will mit uns in den Sonnenuntergang reiten.
Einer der seltenen Anlässe, bei denen das australische Standardoutfit aus Shorts und Gummilatschen unangebracht ist. Aber Alida kennt die Touristen und ist präpariert. Sie führt zu einem regal voller staubiger Stiefel. „Sucht euch ein paar passende aus“, sagt sie. Gautschenden Schritts geht's zurück zu den Pferden. Alida nickt anerkennend, weil sich unser Gang perfekt ins Ambiente fügt. Fürs Aufsitzen hat sie ein Treppchen neben jedes Tier gestellt. Raufklettern, Bein rüberschwingen. Auf einem Pferderücken fühlt man sich prompt wie ein Held.
Das Tier unter mir heißt Duke „wie John Waynes Pferd“, erklärt Alida, als unser Treck in Richtung Sonnenuntergang loszieht. Im Schritt geht's durch die weite Ebene. Das Tempo lässt Zeit, die Aussicht zu genießen. Baobab Trees, die afrikanischen Flaschenbäume, stehen Spalier und strecken ihre knorrigen Äste in Richtung Himmel. Ein göttlicher Fingerzeig, der sich als scharf umrissene Silhouette vor dem sich rosa färbenden Horizont abhebt. Wallabies und Wallaroos – die kleineren Versionen der Kängurus – schauen interessiert zu, bevor sie von dannen hüpfen. Es dämmert, aber Duke kennt den Weg. Nur vergisst er ab und zu, dass er jemanden transportiert. Dann geben mir die Bäume mit ihren weit auskragenden Kronen einen freundlichen Klaps mit auf den Weg. Eine Brise hebt an, wirbelt den staubigen Boden auf und taucht alles in diesiges Licht. Wie ein Filter, der die goldene Abendsonne bricht. Ein Naturschauspiel im Breitwandformat – unwirklich, man traut seinen Augen nicht.
Zurück auf der Ranch, sitzen drei Cowboys ums Lagerfeuer. Mit Hut, obwohl die Sonne längst untergegangen ist. Alida fragt, ob wir uns frisch machen wollen. Verunsicherte Blicke, denn auf Digger's Rest ist das Wasser knapp, hat man uns gesagt. Zudem war beim Herflug kaum Gepäck erlaubt: Waschtasche, Kamera, viel Raum für Garderobe blieb nicht. Nun stellt sich die bange Frage nach der passenden Kleidung fürs Dinner. Scottie, Helfer in jeder Lebenslage, reagiert prompt: „Just get the dirt off!“, wischt er unsere Sorge mit ihm angeborener Lässigkeit weg. Nur den Staub abduschen also.
Unsere Unterkunft ist eine luftige Bretterbude auf Stelzen mit Zeltwänden. Seitlich ein schulterhoher Wellblechverschlag – die Freiluftdusche nebst Handwaschbecken und Toilette. Eine für jeden! So fühlt sich Luxus an, denke ich, als warmes Wasser über meinen Körper rinnt und den Staub wieder mit auf den Boden nimmt und ein Chor aus Grillen, Fröschen, Kakadus und schnaubenden Pferden sein Abendkonzert anstimmt.
Vor den kleinen grünen Tree Frogs sollen wir uns nicht fürchten, hatte Alida gewarnt. Weil sie die Kloschüssel in dieser Dürre gern als Pool nutzen. Einfach runterspülen und unser Ding machen, lautete ihr Rat. Der Gang zur Toilette fühlt sich erhaben an. Thronen unterm Sternenzelt, der schwarze Himmel funkelt, als hinge er voller Diamanten. Allein im besten Sinn. Sofern man zuvor die Frösche wegspült.
Zum Dinner serviert Alida selbst gemachte Gemüselasagne. „Einer von euch ist Vegetarier“, bemerkt die Herrin über Tausende Schlachtrinder. Es dauert nicht lang, bis wir satt, randvoll mit Eindrücken und todmüde in die Betten kriechen. Nacht und Stille legen sich übers Land. Im „Mossie-Dom“, einem zur Kuppel gerafften Moskitonetz, schleichen mich Ergriffenheit und Ehrfurcht an. Auch die Wände bestehen größtenteils aus Netz, nichts verstellt die Sicht, der Übergang von drinnen nach draußen ist fließend. Ein Windhauch trägt den Duft der Wildnis herein und bringt die ersehnte Kühle. Aus dem Bett fällt der Rundumblick auf eine 360-Grad-Naturkulisse. Das stille Spektakel übertrifft jede Fantasie. Besser als Kino.