Vom Winde verweht: Beim Ballon-Festival in Bristol

Auch bei den anderen Teilnehmern laufen die letzte Vorbereitungen, bevor es mit dem Korb in die Höhe geht.
Auch bei den anderen Teilnehmern laufen die letzte Vorbereitungen, bevor es mit dem Korb in die Höhe geht. Foto: Alexei Makartsev

Bristol – Wir sinken schnell. Der Wind pfeift ein fröhliches Lied, unten ziehen spielzeuggroße Farmen, Wohnhäuser und Gärten vorbei. Kinder winken, die Kühe rennen erschrocken weg. Bob Hart späht konzentriert zum Horizont hinaus. Ohne sein Fernglas abzunehmen, sagt der Brite mit fester Stimme: „Zehn Sekunden vor dem Aufprall bitte in die Knie gehen“.

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Very british: ein Bulldoggen- und ein Union Jack-Ballon bei der großen Fiesta in Bristol.

Alexei Makartsev

Eigentlich nicht ein, sondern hunderte Ballons gehen hier in die Luft.

Alexei Makartsev

Einer der großen Stars der Ballon-Party in Bristol: Der riesige Action Man, ein 50 Meter langer Ballon in Form eines Fallschirmspringers mit ausgebreiteten Armen.

Alexei Makartsev

Ein anderer Favorit des Publikums ist ein runder Weichkäse mit Sonnenbrille und weißen Handschuhen, der sich selbst in der Luft schält. Der deutsche Ballonfahrer Karl-Heinz Grünauer hat den 300 Kilogramm schweren, fliegenden „Babybel“ aus einem Museum in Deutschland mitgebracht.

Alexei Makartsev

„Du wirst ein Teil der Natur, es ist ein simpler und zugleich mystischer Akt. Er weckt pure, kindliche Freude“, erklärt die englische Ballonfahrerin Jo Bailey die Liebe für ihr Hobby.

Alexei Makartsev

Vorbereitung für die Fahrt. Pilot Bob Hart bläst seinen Ballon auf, in dem auch unser Korrespondent Platz nehmen darf.

Alexei Makartsev

Auch bei den anderen Teilnehmern laufen die letzte Vorbereitungen, bevor es mit dem Korb in die Höhe geht.

Alexei Makartsev

Ein schönes Bild bietet sich unserem Korrespondenten, als es endlich losgeht: Die ersten Ballons steigen in den Strahlen der aufgehenden Sonne ind en Himmel. Andere liegen noch schlaff am Boden.

Alexei Makartsev

Was für eine Aussicht: Hoch oben über Westengland. Der Wind pfeift ein fröhliches Lied, unten ziehen spielzeuggroße Farmen, Wohnhäuser und Gärten vorbei. Kinder winken, die Kühe rennen erschrocken weg.

Alexei Makartsev

Die Landung ist hart. Es quietscht und knarzt, die erschlaffende Hülle schleppt den Ballon in Richtung Straße, der Korb kippt um. Aber: Endlich wieder festen Boden unter den Füßen.

Alexei Makartsev

Am Abend beim “Nightglow” mit Musik bieten die Ballons ein besonders schönes Bild.

Alexei Makartsev

Zum Abschluss des Festivals gibt es ein großes Feuerwerk.

Alexei Makartsev

Es ist ein beunruhigendes Gefühl, zwischen Himmel und Erde zu hängen, während eine Brise den geflochtenen Korb unter einer großen, warmen Luftblase zur Bucht von Bristol treibt. Wie bin ich nur in diese Lage gekommen? Bilder der letzten 24 Stunden tauchen vor meinem inneren Auge auf…

Am Vortag. Ich stehe auf einer grünen Wiese und schaue fasziniert zu, wie unter dem Luftstrom eines Ventilators eine wabbelige, weißbraune Nylon-Wurst zu einer gigantischen Bulldogge wächst. Nebenan wölbt sich eine schwarze Kuppel mit einem zerknitterten Bild einer blonden Schönheit. Über uns hängt eine überdimensionierte orangene Limo-Dose. Unrasierte Männer mit glänzenden Augen schleppen keuchend Gasflaschen heran und fummeln an den Ventilen der Brenner. Die „Bristol Fiesta“ ist nichts als heiße Luft. Ich bin im Mekka der europäischen Ballonfahrer, die sich am Rand der westenglischen Hafenstadt zum zweitgrößten Ballon-Festival der Welt versammelt haben. „Es ist für alle eine ,Heimkehr‘“, sagt stolz dessen Direktorin Jane Oakland. „Weil unser Sport hier begonnen hat“.

Don Cameron ist ein freundlicher Mann mit einer von Altersflecken besprenkelten Halbglatze, der bei der „Fiesta“ wie eine Gottheit behandelt wird. Der 73-jährige Ex-Flugzeugingenieur konstruierte vor vier Jahrzehnten den ersten modernen Heißluftballon Westeuropas und gründete eine berühmte Firma, deren Produkte heute auf allen Kontinenten schweben. Zu Ehren Camerons veranstaltet die Grafschaft Somerset seit 1978 jedes Jahr eine internationale Ballon-Party mit Rummelplatz-Atmosphäre, Wettbewerben und Massenaufstiegen. Faszinierend: Die gemächliche Flugschau der leise zischenden Oldtimer lockt jedes Mal eine halbe Million Zuschauer nach Bristol. „Wir leben in einem Hightech-Zeitalter, trotzdem mag jeder die Ballons, weil sie hübsch und umweltfreundlich sind“, erklärt Jane Oakland.

Vor 12 Stunden. Der „Action Man“ ist gestartet, ein 50 Meter langer Ballon in Form eines Fallschirmspringers mit ausgebreiteten Armen. Die Menge jubelt. Ein anderer Favorit des Publikums ist ein runder Weichkäse mit Sonnenbrille und weißen Handschuhen, der sich selbst in der Luft schält. Karl-Heinz Grünauer hat mit ein paar Freunden den 300 Kilogramm schweren, fliegenden „Babybel“ aus einem Museum in Deutschland gebracht. „Der Junge sieht gut aus“, sagt liebevoll der Mann, der als Controller eines Flugplatzes bei Stuttgart arbeitet. Laut Grünauer bleibt der Käseballon länger „am Leben“, wenn er ab und zu ausgepackt und anderen Menschen gezeigt wird.

Der Heißluftveteran fliegt selbst seit 20 Jahren in Deutschland, Belgien, Israel und anderen Ländern. „Es ist schön, um die Welt zu reisen und neue Freundschaften zu schließen. Außerdem mag ich das Schweben, die Ruhe, die Ungewissheit und das Ausgeliefertsein an die Elemente“, erklärt Grünauer. Viele auf der „Fiesta“ teilen diese Gefühle. „Du wirst ein Teil der Natur, es ist ein simpler und zugleich mystischer Akt. Er weckt pure, kindliche Freude“, erklärt die englische Ballonfahrerin Jo Bailey.

Aus den Körben fallen sie nur selten

Vor 10 Stunden, es dunkelt. Grünauers Baby(bel) schlummert bereits selig in seinem Transportcontainer, als sich auf der Wiese zwei Dutzend Ballons wie Soldaten zu einer Parade aufreihen. Zehntausende Menschen strömen in den Ashton Park. Auf den Picknickdecken knallen die Sektkorken. Freudige Erwartung in der Luft. Plötzlich dröhnt Popmusik aus den Lautsprechern, und die Teams in den Körben schalten im Rhythmus der Musik abwechselnd ihre Brenner ein, so dass die Luftballons wie gigantische Glühlampen zu blinken beginnen. Die Lichtshow endet mit einem Feuerwerk. „Glückwunsch, ich habe gehört, dass Sie morgen fliegen“, verabschiedet mich einer der Organisatoren. „Keine Angst, die Leute fallen nur selten aus den Ballons heraus“.

Ein schönes Bild bietet sich unserem Korrespondenten, als es endlich losgeht: Die ersten Ballons steigen in den Strahlen der aufgehenden Sonne ind en Himmel. Andere liegen noch schlaff am Boden.
Ein schönes Bild bietet sich unserem Korrespondenten, als es endlich losgeht: Die ersten Ballons steigen in den Strahlen der aufgehenden Sonne ind en Himmel. Andere liegen noch schlaff am Boden.
Foto: Alexei Makartsev
Vor zwei Stunden. Kurz war die Nacht. Ich laufe über die Wiese im Morgentau und beobachte, wie die schlafenden Drachen erwachen. Hier und da schlagen Feuersäulen in den Himmel. Die Ventilatoren dröhnen. Bob ist wortkarg, nach einem kurzen gebrummten Gruß wirft er das Gebläse an. Als die warme Luft unseren blauen Ballon füllt, denke ich, dass die Hülle so groß sein muss wie eine Sporthalle. Um halb sieben quetschen sich vier Leute in den engen Korb mit 240 Liter Propan in dicken Gasflaschen hinein. Mit einem mächtigen Flammenstoß rutscht die Erde sanft unter unseren Füßen weg.

Vom Winde verweht, fühlt man sich leicht und sorglos. Bis auf das gelegentliche Fauchen des Brenners ist es ganz still. Überall um uns herum steigen in den Strahlen der aufgehenden Sonne bunte Ballons auf. In 411 Meter Höhe winkt Bob einem vorbeifliegenden Freund zu, dann deutet er auf einen Verkehrskreisel: „Letztes Jahr landeten wir direkt darauf. Die Autofahrer waren ganz schön geschockt“. Der Pilot, sein Helfer und seine Frau – sie alle schütteln sich vor Lachen.

Bob Hart ist ein Autohändler aus Bristol, der sich für die europäische Politik interessiert („Merkel wird sich wundern, denn die Griechen zahlen euch nie das Geld zurück“) und wie alle Briten gerne über das Wetter lamentiert. „Ich war seit dem letzten Sommer wegen dieses verdammten Regens höchstens zwölf Mal in der Luft. In Italien kannst du jeden Tag fliegen“, klagt der grauhaarige Abenteurer. Außerdem sei das Propan mit 70 Pence pro Liter ganz schön teuer geworden. Trotzdem denkt Bob nicht daran, sein Hobby aufzugeben. „Du lässt dich vom Wind tragen und betrachtest die Natur. Es ist so friedlich. Natürlich können auch Dinge passieren, wenn man sich zu sehr entspannt“.

Auf der Suche nach einem Landeplatz

Was für Dinge? „Feuer im Korb, das gibt’s aber selten“, sagt der Brite. „Am Schlimmsten ist es, eine Stromleitung zu treffen. Dann macht es: Bumm!“ Der Wind frischt auf, und nach 25 Minuten Flug beschließt Bob, einen Landeplatz zu suchen, ehe wir ins offene Meer geweht werden. Doch das ist schwierig. Wohnsiedlungen sind für uns tabu, ebenso Bauernhöfe und Straßen. Viele Wiesen stehen unter Wasser, auf anderen weiden Pferde, Schafe oder Kühe. „Drüben ist ein geeignetes Feld“, entscheidet der Pilot. „Zehn Sekunden vor dem Aufprall bitte in die Knie gehen“.

Die Landung ist hart. Es quietscht und knarzt, die erschlaffende Hülle schleppt den Ballon in Richtung Straße, der Korb kippt um. Aber: Endlich wieder festen Boden unter den Füßen.
Die Landung ist hart. Es quietscht und knarzt, die erschlaffende Hülle schleppt den Ballon in Richtung Straße, der Korb kippt um. Aber: Endlich wieder festen Boden unter den Füßen.
Foto: Alexei Makartsev
Wir sinken. Mit einem Zischen rast der Ballon an einem Wohnhaus vorbei, ich sehe eine überraschte Frau im Nachthemd auf dem Balkon. 30 Meter, zehn, drei… Die Landung ist hart. Es quietscht und knarzt, die erschlaffende Hülle schleppt uns schnell in Richtung Straße, der Korb kippt um. Als er 40 Meter weiter endlich im Gestrüpp stehen bleibt, krabbeln wir stöhnend heraus. „Oh, boy!“ Eine Viertelstunde später gibt es ein neues Problem. Bobs Freund im Geländewagen mit Anhänger, der uns abholen kam, steckt tief im Matsch. Wir müssen den Bauer holen.

Oje, der mürrische Mann runzelt die Stirn. Doch Bob hat einen Trumpf mit, die Standardwährung aller gestrandeten, hilfebedürftigen Ballonfahrer: eine Flasche „Famous Grouse“-Whisky. Die Miene des Landwirts hellt sich augenblicklich auf, und er verschwindet, um den Traktor zu holen. Nach weiteren 20 Minuten haben wir wieder festen Boden unter den Füßen. Im Himmel sehe ich noch einige „Fiesta“-Teilnehmer, die sich zu neuen Abenteuern treiben lassen. Für uns wird es Zeit zu frühstücken.

Von unserem London-Korrespondenten Alexei Makartsev