Jerusalem kulinarisch entdecken: Nicht alles koscher!
Willkommen im Heiligen Land. Willkommen in Jerusalem, diesem uralten Zankapfel dreier Weltreligionen, der doch so viel mehr sein könnte und möchte, als uns die wiederkehrenden Bilder über ethnische Spannungen zwischen Israelis und Palästinensern, fragwürdige politische Entscheidungen und religiöse Gewalt glauben machen wollen.
Das Machneyuda ist da nur eines von vielen Beispielen: Überall in der Stadt machen sich derzeit Aktivisten, Kulturschaffende und Selfmade-Unternehmer auf den Weg, das Verbindende zu suchen statt das Trennende. Mitgetragen wird diese Revolution „von unten“ von Merav Oren. Die dreifache Mutter ist die Erfinderin des Open Restaurants Festivals, das versucht, Völkerverständigung auf kulinarischem Wege zu erreichen. Die Idee ist einfach wie lecker: Starköche öffnen ihre Küchen für Neugierige, Talkrunden und Street-Food-Führungen laden ein, die Vielfalt, das Mischmasch, das sich in den Kochtöpfen des Einwanderungslandes in den vergangenen Jahrzehnten gebildet hat, zu entdecken – und zu probieren. Alte Gewohnheiten werden dabei über Bord geworfen: Koscher war gestern, auf den Teller kommt, was gefällt.
„Die Themen Essen und Kochen bringen im übertragenen Sinne alle an einen Tisch. Es wird plötzlich miteinander kooperiert. Vier bis fünf Tage dreht sich plötzlich fast alles nur noch um gutes Essen in den sozialen Medien“, freut sich Oren über die Graswurzelarbeit mit dem Suppenlöffel.
Austragungsort der zentralen Gala des Festivals ist das 1933 eröffnete International YMCA. Nicht ohne Grund: Das hoch aufragende Gebäude des späteren Architekten des Empire State Buildings, Arthur Loomis Harmon, ist mit seinen weiten Säulengängen und Gartenanlagen in vielerlei Hinsicht eine der wichtigsten Landmarken außerhalb der historischen Altstadt. Das Kultur- und Konferenzzentrum, mit eigenem Theater und Hallenbad, pflegt seit jeher den Anspruch, ein Ort des Friedens zu sein, an dem alle Glaubensrichtungen ihre Rivalitäten überkommen und an einer gemeinsamen Zukunft arbeiten können. Dekadent und augenzwinkernd vorrevolutionär geht es anlässlich des Open Restaurants Festival zu: Die traditionsreiche Kadosh Café Patisserie hat die Lobby in ein barockes Treiben aus der Zeit Marie Antoinettes verwandelt. Hoch toupierte Zuckerwatteberge konkurrieren mit auf Goldschaukeln drapierten Sahne-Eclairs und Windbeuteln um die Aufmerksamkeit der Gäste. An normalen Tagen mit Süßhunger findet man die Wiener Meisterbäcker in der Queen Shlomziyon Street 6. Bodenständiger speist es sich bei einem Besuch auf dem Mahane Yehuda Market, dem mit 200.000 Tagesbesuchern größten Lebensmittelmarkt des Landes. Überall duftet es hier nach Safran und Zimt, türmen sich Südfrüchte, Zucchini und getrockneter Ingwer zu hohen Bergen auf. Inmitten des Suks ein eigenes Restaurant zu führen, ist für viele Nachwuchsköche des Landes ein kleiner Traum. Für Omri Iluz geht er zumindest für einen Tag in Erfüllung. Gegen internationale Konkurrenz hat sich der Mann aus Dimona beim Wettbewerb „The Best Promissing Chef“ durchgesetzt und kredenzt nun unter den Augen von Sternekoch Moshik Roth leichte Pitasnacks mit Rucola, Joghurt, Ricottakäse, Tomatensoße und angebratenen Auberginen. „Es ist innovativ und passt doch super zu diesem alten Markt“, lobt Roth. Ihn freut, dass israelische Köche heute bereit sind, kreativ zu arbeiten.Wer nach dem anschließenden Besuch der Altstadt mit Grabeskirche und Klagemauer erneut Hunger verspürt und keine Lust hat, in einer überteuerten Touristenfalle zu landen, der sollte seine Schritte in Richtung des Damaskustores lenken. Hier, ziemlich genau gegenüber der von Militärposten bewachten Stadtmauer, hat Mohamed Ikermawi sein unscheinbares Restaurant. Statt edler Tischtücher dominieren einfache Papierunterlagen, auch die restliche Ausstattung im Außenbereich unterhalb der weiten Markise ist schlicht. Doch die Aufmachung täuscht: Ikermawis Familienbetrieb geht der Ruf voraus, den besten Humus der Stadt herzustellen. Der herzhafte Kichererbsendip, der hier nach alter Tradition mit Knoblauch, Kümmel und Zitronensaft angerührt wird, gilt als Leibgericht der Israelis.
„Man muss ihn frisch essen. Keine Stunde sollte nach der Herstellung vergehen“, rät der 52-Jährige und reicht mehrere Schalen. Zitronensäure und Knoblauch reagieren miteinander, das Geschmackserlebnis wandelt sich von Minute zu Minute. Verschiedene Toppings, mal Bohnen mal Pfeffer oder Kräuter, erlauben Variationen. Gestippt wird mit einem Brot, mit dem man die samtig-klebrige Masse in den Mund befördert. „Und noch etwas“, ergänzt der Mann mit zurückgegeltem Haar: „Es kommt auf das verwendete Olivenöl an. Der Humus kann noch so lecker sein, ein schlechtes Öl zerstört einfach jeden Geschmack.“