Auszeit in Nordwestjütland: Viel Platz zum Atmen an Fjord und Küste
Drinnen im gemütlichen Leuchtturmcafé lacht Heidi Krejberg, angesprochen auf die aktuelle Windstärke, kurz laut auf: „Das ist hier doch ganz normal.“ Die dänische Nordsee ist rau, das Land ist es auch. Die Kante, hinter der die Felsen 40 Meter tief auf den breiten Sandstrand abfallen, sieht aus, als hätte sie ein Riese angeknabbert. Und wie Heidi erklärt, trifft das in gewisser Weise auch zu.
Auf der Insel Fur wird der Moler-Ton abgebaut. In den Felswänden findet man mit etwas Glück und Ausdauer Fossilien.
Simone Funke
Ein Strand am Limfjord.
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Sven Bonde ist Austernfischer in Glyngøre.
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Hafen in Glyngøre
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Das Freilichtmuseum Hjerl Hede
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Eine typische Kirche in Jütland
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Steilküste in Nordwestjütland
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Der Bovbjerg-Leuchtturm bei Ferring
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Das Denkmal bei Thyboron erinnert an die Seeschlacht während des Ersten Weltkriegs, an der mehr als 240 Kriegsschiffe der britischen und deutschen Flotten beteiligt, und in deren Verlauf fast 9000 britische und deutsche Seeleute gefallen sind.
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Ein Wegweiser auf Strandgut aus dem Meer
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Im Hafen von Thyborøn
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Die Wellen auf den großen Wasserflächen des Limfjords sind im Sommer meistens klein.
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Das kleine Hafenstädtchen Lemvig
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Seitdem sie 1966 der Liebe wegen aus Deutschland nach Nordwestjütland gezogen ist, hat sich die wilde See viele Meter Land geholt. „Um das zu verhindern, füttern wir den Strand“, erklärt Heidi. Schiffe saugen tonnenweise Sand, der von der Strömung aufs offene Meer gespült wird, mit Schläuchen auf und spritzen ihn zurück an den Strand. „Das ist ein teurer Spaß, aber es hilft“, freut sich Heidi. In den vergangenen Jahren ist die Kante der Küste nicht mehr näher an den Bovbjerg herangerückt. Zum Glück – denn der rote Leuchtturm erfüllt noch immer eine wichtige Funktion. 1877 wurde er bei Ferring an der berüchtigten Eisenküste erbaut, nachdem Hunderte Schiffe dort zerschellt waren. Alle 15 Sekunden sendet er heute sein Signal. Das geschieht längst automatisiert. Und doch sind die ehemaligen Leuchtturmwärterwohnungen voller Leben. Das ist den 160 Freiwilligen zu verdanken, zu denen auch Heidi und ihr Mann gehören. Sie halten das 26 Meter hohe Gebäude in Schuss, betreiben das Café, organisieren Ausstellungen und Konzerte, während unten am Strand die Wellen ewig weitertosen, und die Sonne Schatten der schnell ziehenden Wolkenbänder wie Gemälde auf die steilen Felswände malt.
Mit ordentlich frei gepustetem Kopf und zerzaustem Haar gelangt man nach nur einer halben Stunde Fahrt an die weiten Wasserflächen des Limfjords. Der starke Wind der Küste hat sich hier zur leichten Brise abgeschwächt. Das Abendrot legt sich auf die von Heckenrosen bewachsenen Hügel und zaubert das berühmte, von vielen Malern bevorzugte norddänische Licht auf die kleine Hafenstadt Lemvig. Schwalben vollführen ihre abendlichen Flugmanöver. Die fast vollkommene Stille ist ein wohltuender Kontrast zu dem Dröhnen und Pfeifen des Windes an der Küste. „Hier ist Platz zum Atmen, für Menschen und für Tiere“, sagt Peter Graversen Emsenhuber von der Tourismusagentur. Mehr als genügend Platz ist an dem 1500 Quadratkilometer großen Gewässer auch zum Wandern, zum Radfahren auf einem 610 Kilometer langen Rundweg und zum Wassersporttreiben. Der Limfjord ist ein Paradies für Stand-up-Paddler, für Segler und, wenn der Wind etwas auffrischt, auch für Kitesurfer. Ein Golfplatz schmiegt sich bei Lemvig auf eine kleine Anhöhe, und viele Plätze für Camper und Wohnmobilisten liegen wie hier direkt am Wasser. Feinsandige Strände laden auch die Kleinsten zum Baden in dem meist flach abfallenden Wasser ein. „Der nächste Strand ist immer gleich um die Ecke“, bestätigt Peter, der selbst auf der Halbinsel Ostsalling aufgewachsen ist.
Eine Reise in die Urzeit kann erleben, wer, ausgerüstet mit Hammer und Meißel, mit der rot-weißen Fähre auf die kleine Fjordinsel Fur übersetzt. An der Nordküste thronen im Knudeklinten-Gebiet die gestreiften Hänge des Moler-Abbaus: Bis zu 30 Meter hoch schichtet sich hier der spezielle Moler-Ton im Wechsel mit vulkanischer Asche. Einige der Schichten sind völlig senkrecht, während andere gefaltet sind. Doch die Felswände sehen nicht nur hübsch aus, sie bewahren auch einen Schatz aus Urzeiten. Dänemark war vor 55 Millionen Jahren noch vom Meer bedeckt, und so findet man mit ein wenig Glück versteinerte Algen, Fische, Insekten, Vögel oder Kriechtiere. Der weiche Ton lässt sich schon nach ein paar Schlägen lösen. Und tatsächlich: Aus der Wand fällt ein hellgrauer Stein, auf dem eine kleine Flechte zu sehen ist. Der Finder darf ihn sogar mit nach Hause nehmen – es sei denn, es handelt sich um einen ganz außergewöhnlichen Fund. Den müsste man in einem dänischen Museum abgeben.
Mit dem Gruß aus der Urzeit in der Tasche geht es noch einmal an die stürmische See, wo bei Thyborøn eine Robbensafari auf dem Programm steht. Jens ist der Kapitän unseres Schnellbootes. Er arbeitet in der Fischfabrik, aber mehrmals die Woche bringt er Touristen im Auftrag des Jütland-Aquariums zu Sandbänken und anderen Lieblingsplätzen der Seehunde und Kegelrobben. Im Hafen hat gerade ein Fischkutter angelegt, der schon einen großen Möwenschwarm anlockt. Da taucht aus dem Wasser vor uns ein großer Kopf auf und schaut uns mit schwarzen Knopfaugen an. Die Kegelrobbe hofft, dass ein paar Fischabfälle vom Kutter für sie abfallen. Auch weiter draußen auf dem offenen Meer wirbelt plötzlich ein schwarzer Schatten unter einem Boot hindurch: Der Seehund zeigt sich kurz und ist dann auch schon wieder verschwunden. Vielleicht ist es auch ihm heute ein kleines bisschen zu windig. Simone Funke