Ein ganz schwieriger Tag sei das für ihn gewesen, sagt Stephan Wefelscheid zu Beginn seiner Erklärung. „Mein halbes Leben hängt da dran.“ Nach zehn Jahren als Landesvorsitzender der rheinland-pfälzischen Freien Wähler hat er den Mitgliedern am Dienstag seinen Rückzug zum Jahresende verkündet. Einen Tag später erklärt sich der Koblenzer vor der Landespresse. Erst am Ende sagt er einen Satz, der entkräften soll, was ihm in den vergangenen Wochen von Gegnern vorgeworfen wurde: Er habe kein Interesse daran, dass „der Laden“ kaputtgeht.
Ein Rachefeldzug?
Binnen kurzer Zeit war genau das geschehen – die Freien Wähler zerbrachen an ihren Machern. Die erste Landtagsfraktion in der Geschichte der Partei löst sich auf. Kurz darauf erklärte Wefelscheid seinen Rücktritt als Landesvorsitzender – und mit ihm drei weitere Vorstandsmitglieder. Einige Freie Wähler sehen das als angekündigten Rachefeldzug. Wefelscheid war zuvor im Sommer nicht zum Fraktionsvorsitzenden gewählt worden, als der Eifeler Joachim Streit ins Europaparlament einzog und der Platz frei wurde. Und auf dem Parteitag in Kordel bei Trier am vergangenen Samstag ließen die Freien Wähler ihren Parteichef schon bei einer unwichtigen Abstimmung durchfallen.
Lagerkampf eins bei den Freien Wählern: Koblenz gegen die Eifel
Die Partei scheint gleich doppelt gespalten zu sein. Persönlich verlaufen tiefe Gräben zwischen führenden Köpfen aus der Eifel und Trier auf der einen Seite und den Koblenzern auf der anderen Seite. „Zum Herrn Streit äußere ich mich hier nicht“, sagte Wefelscheid am Mittwoch. Lieber wollte er über den anderen Graben sprechen, der die Freien Wähler aus seiner Sicht mittlerweile trennt – den politischen. Die Partei mache eine „Metamorphose“ durch, meint der Koblenzer.
Zwei Lager aus eher liberalen und sehr konservativen stünden sich gegenüber. Der ebenfalls zurückgetretene Landesschatzmeister Marco Degen sprach gar von einem Versuch, die Partei an den rechten Rand zu verschieben. Ein Antrag, wie auf dem Parteitag am Samstag gegen die Regenbogenflagge an Rathäusern sei dafür ein Anzeichen. Wefelscheid will da nicht mehr mitmachen.
Lagerkampf zwei bei den Freien Wählern: Wefelscheid gegen Aiwanger
Der Kampf um die Ausrichtung der Partei reicht aber weit über Mainz hinaus. Wefelscheid geht es immer auch um den Bundesparteichef Hubert Aiwanger aus Bayern. „Mit der Art und Weise, wie er Dinge äußert, war ich unglücklich“ – zu schrill in den Tönen, zu hart am rechten Rand. Hier kommt auch wieder der rheinland-pfälzische Lagerkampf ins Spiel. Joachim Streit kann gut mit Hubert Aiwanger, ist seit vergangenem Jahr sein Stellvertreter im Bundesvorstand.
Damals hatte die Partei auch ein umfassendes Kooperationsverbot mit der AfD verabschiedet. Wefelscheid wollte „der Partei eine Sicherung reinhauen“ – auch als Signal gegen Aiwanger. Und man müsse viel mehr deeskalieren. „Für mich sind die Grünen kein Feindbild.“ Bei den Freien Wählern sehen das einige anders. Einige sehen im Gegensatz zu Wefelscheid aber auch keine Flügelkämpfe.
Muss Joachim Streit die Partei retten?
Wie es angesichts dieser Konfliktlinien in Rheinland-Pfalz weitergeht, ist noch unklar. Die Freien Wähler sind eigentlich eine kommunale Vereinigung. Der Weg zur Landespartei war und ist schwer genug. Ab Montag aber bricht noch die Fraktion weg, ab Januar ein Großteil des Landesvorstands. Wer zunächst bleibt, ist Christian Zöpfchen als Generalsekretär. Er werde sich den Rücktritten nicht anschließen und bleibe zumindest vorerst im Amt, sagte er unserr Zeitung.
Und: Auch ein Sonderparteitag vor Januar sei denkbar, um einen neuen Vorstand zu wählen. Das hatte er bereits am Samstag gefordert, und Wefelscheid damit „einen Schlag in die Magengrube“ verpasst, wie der Noch-Vorsitzende sagte. Als Nachfolger Wefelscheids kommt der Kordeler aber nicht in Frage, heißt es in der Partei. Darunter wird die Personaldecke auf Landesebene schon dünn. Die Rufe nach Joachim Streit als neuem Parteichef werden deshalb kommen. Und der Eifeler kann sich das auch vorstellen – für den Notfall. Mit Stadtrat, Bundesvorstand und Europaparlament ist er aber eigentlich ausgelastet. Und im kommenden Jahr ist Bundestagswahl.
Hintertürchen für ein Comeback
Der scheidende Parteichef Wefelscheid hat sich aber noch ein Hintertürchen offen gehalten. Er bleibe Parteimitglied und Abgeordneter im Landtag. Und er schloss am Mittwoch nicht aus, dass er sich erneut zum Landesvorsitzenden wählen lassen würde. Wenn denn die Basis das wolle.
Dafür aber müsste Wefelscheid wohl Fehler einräumen, um das andere Lager zu besänftigen. Wie schwer ihm das grundsätzlich fällt, zeigt er auch bei seiner Pressekonferenz. Erst auf mehrfache Nachfrage nach seinem Anteil am Zerfall der Freien Wähler formulierte Wefelscheid es so: Er habe sicherlich den Fehler gemacht, sich nicht detailliert „mit den Leuten ins Benehmen zu setzen“. Damit waren wohl seine Fraktionskollegen, die ihn nicht gewählt hatten, gemeint.
Streit fordert Parteiausschluss von Drumm und Alscher
Durch den Zerfall der Fraktion verlieren indes zehn Mitarbeiter kommende Woche ihren Job. Zu retten wäre die Freie-Wähler-Gruppe im Landtag nur noch, wenn die ausgetretenen Abgeordneten wieder zurückkehren oder ihr Mandat aufgeben würden und dadurch andere Freie Wähler die Gruppe wieder zur Fraktionsgröße auffüllen würden.
Der knirschende Führungswechsel in der Landtagsfraktion hat bereits Verheerungen nach sich gezogen, jetzt knallt es auch in der Landespartei der Freien Wählern in Rheinland-Pfalz. Stephan Wefelscheid kündigt seinen Rückzug vom Landesvorsitz an.Freie-Wähler-Krise verschärft sich: Landeschef Wefelscheid tritt zurück – mit weiteren Vorstandsmitgliedern
Bei den Freien Wählern in Rheinland-Pfalz überschlagen sich die Ereignisse: Nach dem Austritt zweier Abgeordneter steht die Fraktion vor dem Aus, die Parteiführung tritt zurück. Der Trierer Politikwissenschaftler Uwe Jun sieht die Relevanz der Freien Wähler schwinden.Freie Wähler am Abgrund: Fraktionsauflösung und Führungswechsel stürzen Partei in die Krise
Dass Herbert Drumm aus Bad Kreuznach oder Bernhard Alscher aus Oberhambach (Kreis Birkenfeld) klein beigeben, hielten bislang aber alle für unwahrscheinlich. Im Hintergrund laufen allerdings weiter Gespräche. „Ich fordere die Abtrünnigen auf, von ihrem Entschluss Abstand zu nehmen und wieder in die Fraktion zurückzukehren“, sagte Joachim Streit unserer Zeitung. Alles andere sei „Betrug am Wähler“. Für den Fall, dass es nicht klappt, fordert Streit, dass Drumm und Alscher aus der Partei ausgeschlossen werden.
Anmerkung der Redaktion: Wir haben den Artikel nach Erstveröffentlichung in Teilen überarbeitet, nachdem neue Stellungnahmen die Redaktion erreichten.