Thomas Hirsch ist kein Meteorologe. Wenn der Präsident des Sparkassenverbandes Rheinland-Pfalz die Bilanzpressekonferenz also mit dem Hinweis eröffnet, die Wirtschaft sehe derzeit keinen Frühling, ist das Frösteln ein finanzielles.
Dabei ist es nicht der Blick auf die Bilanzsumme der rheinland-pfälzischen Sparkassen, der Hirsch Sorgen bereitet. Mit rund 76,2 Milliarden Euro war das Geschäftsjahr 2023 im Volumen zwar um 1 Prozent schwächer als das Vorjahr, die rund 200 Millionen Euro Gewinn nach Steuern sind aber ein deutlich besseres Ergebnis als im Niedrigzinsjahr 2022, als die Sparkassen lediglich einen Überschuss von knapp 54 Millionen Euro erwirtschafteten. Es sind andere, detailliertere Zahlen aus dem großen Bilanz-Kosmos, auf die die Sparkassenverbandsspitze hinweist. Zahlen, die darauf hindeuten könnten, dass es in der Wirtschaft anders kommen kann als beim Wetter: Der Frühling kommt nicht automatisch. Vielleicht kommt er vorerst gar nicht.
Weniger Kredite werden neu abgeschlossen
Beispiel Kreditgeschäft: Zwar zeigt sich bei den Sparkassen in Rheinland-Pfalz ein Wachstum im gesamten Kreditbestand, der ein Volumen von 54,8 Milliarden Euro erreichte (+ 0,7 Prozent), aber das Neugeschäft verzeichnete deutliche Rückgänge. Es sank um 30,2 Prozent auf 7,8 Milliarden Euro. Ein sehr deutlicher Hinweis auf die Investitionszurückhaltung. Noch deutlicher wird dieser Trend im Teilbereich der Wohnungsbaukredite. Hier gingen die Neuzusagen sogar um 42,6 Prozent auf 2,4 Milliarden Euro zurück.
Verbandspräsident Hirsch wird da deutlich: Dies sei eine „sehr dramatische Entwicklung“. Der Mangel an Wohnraum droht auf lange Sicht ein drängendes Problem zu bleiben. Trotz der hohen Nachfrage verfehle die Bundesregierung ihr Ziel, bundesweit jährlich 400.000 (in Rheinland-Pfalz jährlich 20.000) neue Wohnungen bauen zu lassen, deutlich.
Rund 1,8 Milliarden Euro weniger als im Vorjahr vergaben die rheinland-pfälzischen Sparkassen an private Häuslebauer. Die Gründe für die Flaute auf dem Wohnungsbausektor sind vielfältig: anhaltend hohe Baukosten, große Verunsicherung in Bezug auf Fördermittel des Bundes, ergänzt durch ausufernde Bürokratie und eine bleibende Dichte der Bauvorschriften. „Diese Faktoren zusammen erfordern dringend, die Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau zu verbessern“, fordert Hirsch von der Politik. Denn die Schwäche im Wohnungsbau droht endgültig chronisch zu werden.
Weil vor dem Spatenstich ja zuerst die Baugenehmigung kommt, lässt sich die weitere Entwicklung relativ leicht prognostizieren. Und die Zahlen zur Entwicklung der Baugenehmigungen für neue Wohngebäude in Rheinland-Pfalz geben wenig Anlass, auf baldige Besserung zu hoffen. Nach Angaben des Statistischen Landesamtes ist die Zahl der Baugenehmigungen um 43,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gesunken. „Das ist dramatisch und lässt künftig eine vielschichtige Problemlage in der Wohnraumversorgung, in der Altersvorsorge und im künftigen Wirtschaftswachstum erwarten“, prognostiziert Hirsch. Der Sparkassenpräsident macht ein düsteres Szenario auf. Wenn die deutsche Bauwirtschaft nicht bald wieder anspringe, drohe ihr möglicherweise eine ähnliche Entwicklung wie der Gastronomie in den Corona-Jahren.
Wohnraummangel hat soziale Komponente
Die Fachkräfte würden sich dann Jobs in anderen Branchen suchen oder im europäischen Ausland, wo es dem Bausektor teils erheblich besser geht. „Und die kommen dann auch nicht mehr zurück“, sagt Hirsch, der als langjähriger Kommunalpolitiker auch nicht vergisst, die soziale Komponente des Wohnraummangels zu betonen. Und deshalb spricht er eben von einer drohenden „vielschichtigen“ Problemlage.
Wie fragil das Kreditgeschäft unter den herrschenden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ist, zeigt auch eine andere Zahl. Vor und nach Bewertung halbiert sich das Betriebsergebnis des vergangenen Geschäftsjahres ziemlich exakt von 860 auf 430 Millionen Euro. In dieser Zahl stecken die Risiken von künftigen Kreditausfällen. Die Risiken im Kreditgeschäft hätten sich „klar erhöht“, heißt es bei den Sparkassen.
Und auch auf der „Passivseite“ des klassischen Bankengeschäfts lassen sich Hinweise finden, dass sich die Trendwende hin zu einem Wachstum der Wirtschaft anders als der Wechsel von Winter zu Frühling nicht von alleine vollziehen wird. Die Gesamtzahl der Kundeneinlagen bei den rheinland-pfälzischen Sparkassen sank um knapp 2 Prozent auf 58,2 Milliarden Euro.
Was hinter dem Begriff „Entsparen“ steckt
Ein Begriff, der in der Finanzwelt inzwischen Einzug gehalten hat, ist „Entsparen“. Das Wort beschreibt den wachsenden Trend, Rücklagen nach und nach aufzulösen, um den eigenen Lebensstandard halten zu können. Hirsch weist auf die „Inflationssorgen“ der Menschen hin. „Viele unserer Kunden sehen sich gezwungen, ihre Ersparnisse aufzubrauchen, um die gestiegenen Preise für Lebensmittel, Energie und Wohnen zu decken“, sagt der Verbandspräsident.
Nach Angaben des Vermögensbarometers des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes sind nur noch 29 Prozent der Menschen in der Lage, regelmäßig Geld zur Seite zu legen. Der Anteil der „Nichtsparer“ – Menschen, die gar nicht in der Lage sind, etwas für schlechte Zeiten beiseitezulegen – sei auf 20 Prozent gestiegen, ein Höchstwert.