Rheinland-Pfalz
Nächstes Milliardeninvestment in Rheinhessen? Bei Nierstein soll riesiges Rechenzentrum entstehen
Rechenzentrum
LEDs leuchten in einem Serverschrank in einem Rechenzentrum. Ein weltweit agierendes Unternehmen will für Milliarden Euro im Rhein-Selz-Park ein riesiges Rechenzentrum errichten.
Sebastian Gollnow/dpa

Ein Global Player will im Rhein-Selz-Park bei Nierstein Milliarden in die Hand nehmen, um ein Rechenzentrum zu bauen und zu betreiben. Fest steht: Kommt es zur Investition, wäre es die zweite große Unternehmensansiedlung in Rheinhessen. Denn der US-Pharmakonzern Eli Lilly baut in Alzey für 2,3 Milliarden eine Produktionsstätte für Medikamente. Details und Hintergründe zum Projekt bei Nierstein.

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Räumt Rheinhessen nun ganz groß ab? Ein weltweit agierendes Unternehmen plant nahe Nierstein (Landkreis Mainz-Bingen, weniger als 10.000 Einwohner), ein riesiges Rechenzentrum zu bauen und zu betreiben. Wie die „Allgemeine Zeitung“ berichtet, soll es sich bei dem Großkonzern um die japanische Firma NTT Data, eine auf Beratung und IT-Dienstleistungen spezialisierte Tochter des Tokioter Telekommunikationsriesen Nippon Telegraph and Telephone (NTT) handeln. NTT Data erzielt nach eigenen Angaben einen Umsatz von mehr als 22 Milliarden US-Dollar, hat mehr als 150.000 Mitarbeiter weltweit und ist in 50 Ländern aktiv.

Der Niersteiner Stadtbürgermeister Jochen Schmitt (FWG) bestätigt auf Anfrage unserer Zeitung, dass es einen Interessenten gibt, der bereit ist, vor Ort Milliarden zu investieren. Carsten Ahr, Projektmanager der Rhein-Selz Park Nierstein GmbH, bekräftigt ebenfalls, dass es einen Interessenten sowie eine vertragliche Vereinbarung gibt. Ob es sich dabei tatsächlich um NTT Data handelt, will Ahr auf Anfrage weder bestätigen noch dementieren. Auch zur kolportierten Leistungszahl des Rechenzentrums von 500 Megawatt will sich Ahr mit Verweis auf Vertragsinhalte nicht äußern. Das Rechenzentrum soll jedenfalls aus mehreren Gebäuden bestehen.

Investition noch nicht in trockenen Tüchern

Sowohl die Stadt Nierstein als auch der Projektmanager betonen, dass das Investment noch nicht in trockenen Tüchern sei, kritische Stimmen mahnen zur Zurückhaltung. Ahr sagt, es werde mehrere Jahre dauern, um das Vorhaben zu realisieren. Dem rheinland-pfälzischen Wirtschaftsministerium ist das Ansiedlungsinteresse grundsätzlich bekannt. Fragen der Umsetzung und Realisierung würden aber derzeit auf kommunaler Ebene begleitet, so eine Sprecherin.

Fest steht: Kommt es zur Milliardeninvestition bei Nierstein, wäre es die zweite große Unternehmensansiedlung in Rheinhessen. Denn der US-Pharmakonzern Eli Lilly baut im rheinhessischen Alzey (Kreis Alzey-Worms, rund 20.000 Einwohner) für 2,3 Milliarden Euro eine neue Produktionsstätte für Medikamente zur Behandlung von Diabetes und Adipositas. Dadurch sollen rund 1.000 neue Arbeitsplätze entstehen. Neben Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) und Wirtschaftsministerin Daniela Schmitt (FDP) ließen es sich auch Bundeskanzler Olaf Scholz sowie Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (beide SPD) nicht nehmen, Anfang April beim Spatenstich dabei zu sein.

Rhein-Selz-Park ist ehemaliges US-Kasernengelände

Beim Rhein-Selz-Park bei Nierstein handelt es sich um ein ehemaliges Kasernengelände der US-Army mit rund 70 Hektar. Der Park liegt seit Jahren brach. Im Jahr 2009 zogen die Amerikaner endgültig ab, 2014 hatte der Mainzer Geschäftsmann Wolfram Richter das Gelände gekauft, um es zu entwickeln. Für die US-Kaserne gab es viele Entwicklungspläne, bislang scheiterten sie alle – auch, weil es zwischen Richter und seinem Geschäftspartner Wolfgang Knußmann auf der einen Seite und der Stadt Nierstein auf der anderen Seite immer wieder Streit gab.

Im Mittelpunkt stand das Gezanke um den Betrieb einer Offroad-Anlage im Park, in der sich Motorsportler – vor allem auch Firmen – bei (Test-) Fahrten durch unwegsames Gelände vergnügen sollten. Vermutungen über den Bau eines Rechenzentrums gab es immer mal wieder. Nun scheinen sie tatsächlich konkret zu werden.

Ein Investment wäre ein infrastrukturelles Leuchtturmprojekt für die Rhein-Main- beziehungsweise Rhein-Neckar-Region.

Stadtbürgermeister Jochen Schmitt (FWG)

Für Nierstein und ganz Rheinhessen wäre es ein großer Coup, mit einer solchen Ansiedlung würde reichlich Geld in die Kassen der bislang eher durch den Weinbau bekannten Stadt fließen. Stadtbürgermeister Schmitt freut sich deshalb, dass endlich Bewegung in den Park komme. Die möglichen Investitionen würden aus Schmitts Sicht nicht nur die „Rieslingstadt“, sondern „eine gesamte Region aufwerten“. Der FWG-Politiker spricht von einem „infrastrukturellen Leuchtturmprojekt“ für die Rhein-Main- beziehungsweise Rhein-Neckar-Region, Projektmanager Ahr – sofern das Projekt umgesetzt wird – von einem „schonenden Strukturwandel“.

Laut Ahr haben sich die Planungen und Gespräche seit dem Frühjahr 2021 konkretisiert. Investor Richter habe den ersten Kontakt zum Interessenten gehabt. Der Stadtbürgermeister informiert, dass man sich aktuell im Planungsstadium befinde. Nun müssten die Rahmenbedingungen geschaffen werden. Bedeutet: Der Flächennutzungsplan muss geändert, ein Bebauungsplan erstellt werden. Schmitt sagt, es gelte die Anforderungen des Unternehmens und die Wünsche des Stadtrats aufeinander abzustimmen.

Eigentümer wollen konstruktiv zusammenarbeiten

Wie Projektmanager Ahr bekannt gibt, beabsichtigt das interessierte Unternehmen, den West- und Ostteil des Rhein-Selz-Parks zu kaufen. Das wären gut 60 Hektar. West- und Ostteil gehören der Rhein-Selz Park Nierstein GmbH, Geschäftsführer und Gesellschafter ist Wolfram Richter. Weitere Gesellschafter sind seine Ehefrau, die Stadt Nierstein sowie die Verbandsgemeinde Rhein-Selz. Ahr sagt: „Sollte der Erwerb stattfinden, wäre damit eine bauliche Nutzung einer Offroad-Anlage auf dem Areal nicht mehr möglich.“ Alle Eigentümer seien sich über die Entwicklung des Areals einig und arbeiteten konstruktiv zusammen, erklärt er weiter.

Und wie ordnen Fachleute das mögliche Investment ein? Die German Datacenter Association versteht sich nach eigenen Angaben als Interessenvertretung der deutschen Rechenzentrumsbranche. Zu den Mitgliedern gehören Rechenzentrumsbetreiber als auch Expertenunternehmen. Nach Auskunft des Vereins gibt es in Deutschland „eine ganze Reihe bemerkenswerter Rechenzentrum-Neubauprojekte“.

Im Allgemeinen werden Rechenzentrum-Standorte mit einer gesicherten IT-Leistung von mehr als 100 Megawatt bereits als sehr groß eingestuft.

Die German Datacenter Association

Die Größe eines solchen Zentrums werde üblicherweise in Form der gesicherten IT-Leistung angegeben. Damit ist die maximal elektrische Leistung in Megawatt gemeint, mit der die IT-Komponenten im jeweiligen Rechenzentrum sicher versorgt und zuverlässig gekühlt werden könnten. Bei Neubauprojekte würden mitunter auch die gesamte, am jeweiligen Standort verfügbare elektrische Anschlussleistung angegeben, informiert die German Data Association. Dieser Wert sei meist 30 bis 40 Prozent größer als die gesicherte IT-Leistung.

„Bemerkenswert großer Wert“

Der Verein erläutert unserer Zeitung: „Bezogen auf einen Rechenzentrum-Standort in Deutschland wären 500 Megawatt, selbst, wenn es sich 'nur' um die gesamte dort verfügbare elektrische Anschlussleistung handeln sollte, ein bemerkenswert großer Wert.“ Im Allgemeinen würden Standorte mit einer gesicherten IT-Leistung von mehr als 100 Megawatt bereits als „sehr groß“ eingestuft. NTT Data gelte in der Branche als „einer der leistungsfähigsten Anbieter“ von Colocation-Rechenzentren.

Nachhaltige Stromerzeugung in Rheinland-Pfalz
Ein Windrad steht auf einem Hügel oberhalb einer großflächigen Solaranlage auf einem Feld im Landkreis Alzey-Worms.
Frank Rumpenhorst/dpa

Und was ist für den Bau und Betrieb eines solchen Rechenzentrums nötig? Nach Auskunft der German Data Association gehören ein langfristig verfügbarer Strom, das passende Bauland, der weitestgehende Ausschluss von Elementarrisiken (Hochwasser, Erdbeben) sowie die Anschlussmöglichkeit an mehrere Glasfaser-Betreiber zu den Voraussetzungen. Auch die Akzeptanz und Unterstützung der lokalen Politik und Verwaltung sowie die Verfügbarkeit von technischen Fachkräften in der Region nennt der Verein als Ansiedlungsbedingung.

Was bedeuten Megawatt als Leistungsbeschreibung?

Die German Data Association informiert: Die meisten digitalen Dienste, die unser modernes Leben überhaupt erst möglich machen, werden von sehr leistungsfähigen Computern bereitgestellt. Solche Rechner heißen Server und werden (fast immer) in Rechenzentren betrieben. Geht man davon aus, dass ein solcher moderner Server für seinen Betrieb durchschnittlich eine elektrische Leistung von einem Kilowatt benötigt, so könnten in dem genannten Beispiel – bei einer IT-Leistung von insgesamt 350 bis 380 Megawatt – circa 350.000 Server betrieben werden. Das wäre laut Association „eine gewaltige Anzahl“, die keineswegs unmöglich erscheine. bas

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