Westerwälder im Vatikan
Wie Johannes Heibel einen Stein nach Rom rollte
Für Johannes Heibel war die Begegnung mit Papst Franziskus eindrücklich.
Birgit Piehler

Dem verstorbenen Papst hat Johannes Heibel einst einen Mühlstein – als Symbol gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch an Kindern – vor die Füße gelegt. Die warmherzige Begegnung mit dem Heiligen Vater hat den engagierten Westerwälder geprägt.

Johannes Heibel aus Siershahn ist über den Westerwald hinaus bekannt. Er nimmt kein Blatt vor den Mund, verursacht kontroverse Diskussionen, nicht nur, wenn es um das Thema Missbrauch an Kindern geht. Eine Vielzahl an von ihm empfundenen Missständen bewegen den 69-Jährigen und veranlassen ihn immer wieder dazu, Dinge nicht auf sich beruhen zu lassen, sondern mit unkonventionellen Aktionen Aufmerksamkeit dafür zu erzeugen. So auch sein Anliegen am 27. November 2019, einen Mühlstein von 1,4 Tonnen Gewicht nach dessen elfjähriger Reise durch eine Reihe von Städten und Orten in Deutschland als Mahnmal gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch an Kindern dem Papst zu übergeben.

Was ihn mit dem kürzlich verstorbenen Papst Franziskus verbinde, so Heibel, sei die Zugewandtheit des Pontifex bei dem persönlichen Aufeinandertreffen mit „dem Menschen“ Papst. „Wir sind ihm als Mensch begegnet.“ Dazu führt Heibel aus: Während verschiedener Begegnungen mit Kirchenvertretern im Amt von Bischof oder Kardinal, bei denen der Siershahner Sozialpädagoge immer wieder das offene Gespräch zum Thema Missbrauch und Gewalt gesucht hat, sei er auf distanzierte Wahrnehmung der Kirchenvertreter gestoßen. Doch bei der Begegnung mit Papst Franziskus sei das anders gewesen. „Das war atmosphärisch“, versucht Heibel zu beschreiben. Nicht erst, als Franziskus nach der Generalaudienz über die Treppe des Petersplatzes auf die an diesem Mittwoch ausgewählten Besucher zuschritt, habe sich eine besondere Atmosphäre verbreitet.

Der „Mahnende Mühlstein“ war elf Jahre unterwegs

Heibel, begleitet von seiner Frau Monika und einigen Teammitgliedern – darunter Steinmetz Bruno Harich, der den Mühlstein bearbeitet hatte –, waren auf der rechten Seite des Vorplatzes platziert worden und somit die letzte Gruppe, die begrüßt wurde. Papst Franziskus habe ich Zeit genommen, mit ihnen zu sprechen. Sicherlich, so Heibel sei die Gruppe zwar nur eine unter vielen Besuchern gewesen, doch sei der Pontifex aufmerksam und zugewandt gewesen, habe den Augenblick wahrgenommen und Wärme und Herzlichkeit ausgestrahlt.

Mit dem Mühlstein im Gepäck durch Deutschland zu reisen, war nur eine Aktion von vielen, die den Weg von Johannes Heibel als Vorsitzender des Vereins „Initiative gegen Gewalt und Missbrauch an Kindern“ und seiner Mitstreiter im Kampf um Aufmerksamkeit für die Problematik begleiten. Die von dem Eischeider Steinmetz Harich in den Stein eingemeißelte Schrift ist ein Bibel-Zitat aus dem Matthäus-Evangelium und soll mahnen, Kindern kein Leid zu tun. Die Inschrift des Mühlsteins, der an öffentlichen Plätzen jeweils eine Zeit lang niedergelegt wurde, erhitzte mancherorts Gemüter, so Heibel, löste Diskussionen aus und erhielt so die gewünschte Aufmerksamkeit. Er sorgte für prominentes, politisches Interesse und erlebte ebenso, in Rostock beschmiert zu werden. Ihm und der Initiative sei es vor allem darum gegangen, erwachsene Menschen an ihre große Verantwortung gegenüber den ihnen anvertrauten Kindern zu erinnern.

„Das ist ein starkes Zeichen.“
Papst Franziskus über den „Mahnenden Mühlstein“

Der „Mahnende Mühlstein“ zeigte auch bei Papst Franziskus Wirkung, die er beeindruckt mit den Worten „Das ist ein starkes Zeichen“ zum Ausdruck brachte. Der Mühlstein erhielt im Vatikan einen festen Platz unter einem steinernen Baldachin zwischen der Audienzhalle und der päpstlichen Kinderschutzkommission. Dort sei er zwar nur noch mit Besucherrecht zu besichtigen – doch dann wird er auch nicht mehr beschmutzt, merkt Heibel an.

Obwohl Heibel anlässlich von Missbrauchsfällen, mit denen er aufgrund seines Engagements konfrontiert war, aus der Katholischen Kirche ausgetreten ist und er seine Begegnungen mit Kirchenvertretern zum Thema recht distanziert und empathielos beschreibt, fühle er sich nicht nur Gott, sondern ganz besonders auch Papst Franziskus verbunden, denn dieser habe Mitgefühl gezeigt und sich engagiert. Nicht nur zum Thema Kindesmissbrauch habe er sich öffentlich und deutlich geäußert. Ganz besonders verbindet Heibel auch Bemühungen und Aufrufe zu Frieden und Abrüstung mit dem verstorbenen Pontifex.

Mit dem Papst verbindet den Sierhshahner Johannes Heibel die Botschaft des Friedens, weshalb er die Friedensfahne an seinem Haus der Begegnung mit Papst Franziskus gewidmet hat.
Birgit Piehler

Die von Franziskus „ins Spiel gebrachte“ weiße Fahne, die seinerzeit für kontroverse öffentliche Reaktionen sorgte, sei für Heibel vor allem die Aufforderung zu Verhandlungen im Ukraine-Konflikt gewesen, die seiner Meinung nach viel früher hätten stattfinden müssen. Auch damit polarisiere er, sagt Heibel, das sei ihm bewusst. Er selbst habe die weiße Flagge nicht nur an seinem Haus stehen, sondern auch seit Jahren am Grab seines Vaters, der als junger Mann als Soldat im Zweiten Weltkrieg antreten musste, dagegen aber ankämpfte. Das Kriegstrauma, so sagt Heibel, ziehe sich durch Generationen fort. „Die weiße Fahne ist mein Symbol für Frieden“, sagt er. Sie sei nicht trennbar von all den anderen Themen, die mit Gewalt einhergehen.

Beinahe zwei Jahre habe das Team damals auf einen Termin für eine Audienz bei Papst Franziskus gewartet. Damit der Besuch auch einem nachdrücklichen Zweck diene, bemühte sich Heibel seinerzeit auf mehreren Wegen um Kontakte nach Rom, um auch den Mühlstein an den Papst übergeben zu können. So an Kardinal Marx und an die Apostolische Nuntiatur in Berlin. Bis fünf Tage vor der Audienz war vieles nicht klar und nicht organisiert. Heibel hatte wenige Informationen und machte seinen Begleitern vor Reiseantritt klar: „Das wird eine Abenteuerfahrt.“

Ausgestrahlte Menschlichkeit

Suche nach Unterkunft, Finden von Ansprechpartnern, eine Vielzahl von nicht zuständigen Ansprechpartnern: Doch am Ende konnte das Team mit dem Mühlstein auf dem Anhänger an der Schweizer Garde vorbei in das Gelände vor dem Petersdom einfahren und wurde nach einigem Hin und Her an den richtigen Platz verwiesen. Und plötzlich sei sogar ein Gabelstapler gekommen, um den Stein auf den Treppenabsatz vor dem Dom abzulegen.

Sogleich, als Papst Franziskus mit dem Papamobil über den Platz gefahren sei, sei das für alle Anwesenden ein emotionaler Augenblick gewesen. Die Menschen hätten „Papa Francesco, Papa Francesco!“ gerufen, berichtet Heibel. Auffällig sei schon zu diesem Zeitpunkt gewesen, dass der Papst, wohl aufgrund von Hüftproblemen, Schwierigkeiten beim Treppengehen gehabt, sich jedoch nicht geschont habe. „Wie haben ihn als ganz liebenswerten Menschen kennengelernt“, sagt Johannes Heibel, noch immer sichtlich berührt.

Die Inschrift des Mühlsteines

„Wer aber einem von diesen Kleinen, die an mich glauben, Ärgernis gibt, dem wäre es besser, wenn ihm ein Mühlstein um den Hals gehängt und er in die Tiefe des Meeres versenkt würde.“ (Mt. 18,6)

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