Konstruktive Diskussion setzt bei Demokratiekonferenz in Ransbach-Baumbach Signale für neue Ideen
Was tun gegen Unterwanderung von Rechtsaußen? Demokratiekonferenz in Ransbach-Baumbach setzt Signale
Bürgermeister Michael Merz begrüßt in der Ransbach-Baumbacher Realschule plus die Besucher der diesjährigen Demokratiekonferenz, die anlässlich des Projektes der Klassenstufe 10 zum Thema Rechtpopulismus einen guten Veranstaltungsrahmen bot. Fotos: Birgit Piehler
Birgit Piehler

Wer derzeit politisch nach Rechtsaußen schaut, hat viele Bilder im Kopf. Doch nicht das „klassische Modell vom braunen Nazitum“ sei, was Sorge bereiten muss, sondern die neuen Formen von rechtsradikaler Politik, die nicht auf physischer Schlagkraft beruhen, sondern in Alltag und Köpfe der Menschen vordringen, hieß es bei der Demokratiekonferenz in Ransbach-Baumbach.

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Rund 60 Interessierte sind am Donnerstagabend in den Veranstaltungsraum in der Erich-Kästner-Realschule plus gekommen, um den Vortrag von Alice Blum, Professorin für soziale Arbeit an der International University of Applied Sciences am Standort Frankfurt, zu hören. Im Rahmen eines Workshops mit Schülern der Klassenstufe 10 und einer Ausstellung von Plakatschaukasten „Demokratie stärken – Rechtsextremismus bekämpfen“ der Friedrich-Ebert-Stiftung entstand die Idee, gemeinsam mit der über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ geförderten Partnerschaft für Demokratie im Kannenbäckerland die Hintergründe der Neuen Rechten, ihre politischen Ideen und die Konsequenzen, die sich daraus für unsere Gesellschaft ergeben können, mit dem Vortrag zu beleuchten. Bürgermeister Michael Merz begrüßt die Gäste.

Längst steuert die AfD mit

„Die AfD regiert schon längst mit“, stellt die Referentin heraus, nachdem sie dem Publikum Begrifflichkeiten, Fakten, Strukturen, Ideologie, Strategien und Entwicklungen vorgestellt hat. Denn, so Blum, über die von AfD und rechtem Netzwerk in die Diskussion geworfenen Möglichkeiten des Zurückweisens von Flüchtlingen (Pushback), Ankerzentren für afrikanische Flüchtlinge außerhalb der Europäischen Union und die Beeinflussung zu freiwilliger Ausreise Geflüchteter mit einem „Handgeld“ diskutieren unsere Politiker nicht nur längst, es wird auch schon praktiziert. Und das, ohne dass die AfD in der Regierung Verantwortlichkeit dafür mittrage.

Die Referentin und Lehrbeauftragte weiß, worüber sie spricht. Sie startete einst ihr Berufsleben nicht nur mit einem menschennahen Ausbildungsberuf, sondern setzte ihrer Neugier zu diesem Thema, dem ihre Aufmerksamkeit schon früh gegolten hat, mit ihrem Studium einen Rahmen. „Ich wollte forschen!“ Für ihre Dissertationsarbeit und ethnografische Studie „Die ‚Identitäre Bewegung‘ in Deutschland“ lebte sie ein Jahr lang in einer rechtsextremen Organisation, um sie zu ergründen.

Ziel: Bürgerliche Mitte ausschalten

Bereits in der Zeit des Nationalsozialsozialismus, so ist im Vortrag zu erfahren, erstellten seinerzeit linke Parteien ein bis heute verwendbares Modell, das der Definition von Begrifflichkeiten – vom Rechtsradikalismus über die Neofaschistische Rechte, den Rechtspopulismus, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und weiteren – dienlich sein sollte. Ziel sei, zusammen mit der politischen Rechten den gemeinsamen gesellschaftlichen und politischen Feind, die bürgerliche Mitte, auszuschalten.

Weit über die eher kleine Gruppe von Neonazis, ihrem „Hitlerismus“ und der Militanz der Straße hinweg, finde heute der Einfluss der Neuen Rechten auf anderer Ebene, über die Auseinandersetzung in den Köpfen der Menschen, statt. „Doch es ist nicht nur die Politik“, so erklärt Blum, rechte Einflüsse würden gezielt in Fußballvereine, Elternräte von Kindergärten und Schulen und in die Gesellschaft hineingetragen, um sie langsam zu verändern. Dass dabei gut organisierte Internetpräsenz und Fake News eine große Rolle spielten, stehe außer Frage.

Referentin Alice Blum von der International University of Applied Sciences in Frankfurt am Main forscht intensiv zum Thema Rechtsextremismus.
Birgit Piehler

Die für rechte Botschaften empfängliche Klientel finde sich in allen gesellschaftlichen, beruflichen und Bildungsbereichen. Zudem gebe es auch immer wieder Buchveröffentlichungen, mit denen Menschen auf „sympathische“ oder „seriös ansprechende“ Weise interessiert werden sollen. Schaue man jedoch genau hin, finde man in den Büchern nicht nur wenig Informationen, sondern tatsächlich auch nur optisch „aufgeblähten“ Inhalt.

Am Beispiel des Remigrationsbegriffes, der von rechter Seite wesentlich anders definiert werde und mit der häufig verfremdeten Darstellung einhergehe – wie einfach es sei, in deren Heimatländern für Migranten bessere Lebenssituationen zu finden oder zu schaffen – würden vor allem Themen wie Flucht und Migration, Corona-Pandemie, Klimawandel, Wirtschafts- und Energiekrise oder Künstliche Intelligenz als „Räuberleiter in die Herzen der Aufgebrachten“ genutzt. Dies vor allem über Soziale Medien als niedrigschwelligem Zugang auch zu Kindern und Jugendlichen.

In unsicheren Zeiten neige eine Gesellschaft zum Autoritarismus, schildert die Referentin. Doch weitaus größer als von der Bevölkerung wahrgenommen sei auch die Zahl der rechten Straftaten, so Blum, und man möge sie einmal ins Verhältnis setzen mit anderen, auch den von Menschen mit Migrationshintergrund verübten Straftaten. Für die Demokratie sei es Zeit, vom Reagieren ins Agieren zu kommen, schließt die Referentin, bevor sie die Frage nach der möglichen Vorgehensweise an die Zuhörerschaft, zu denen auch einige privat anwesende Vertreter aus der regionalpolitischen Runde gehören, abgibt.

Versöhnliche Diskussion

Nach einem schweigsamen Moment von Nachdenklichkeit beginnen Stimmen aus dem Publikum, sich in sachlicher Form mit der Frage auseinanderzusetzen. Sie tasten sich an verschiedene Ansätze heran: Dass es den Menschen in Deutschland doch gute gehe und der Großteil keine „wirklichen“ Probleme habe, sich doch eher eine große Verlustangst breitmache, die kultiviert werde, heißt es. Dies wird von einem anderen Redner bestätigt, der zudem die Rolle der häufig negativen Berichterstattung in einer Vielzahl von Medien infrage stellt, in der Positives kaum eine Plattform finde. Eine Reihe von Wortmeldungen spricht sich dafür aus, gesellschaftlich wie politisch umzudenken und in gänzlich alternativen Konzepten zu den verkrusteten und immer wieder verwendeten Strukturen zu denken, um der Demokratie neues Leben einzuhauchen. Diese Möglichkeit müsse jedoch von der Politik angeboten werden, ergänzt ein Zuhörer.

Auch müsse das gesellschaftliche Geschehen für alle Menschen nachvollziehbar und verständlicher sein und sie in die Lage versetzen, eigenständig und verantwortungsbewusst für die Gemeinschaft zu denken. „Wenn ein Problem erkannt ist, ist die Lösung noch lange nicht umgesetzt“, heißt es in einer Andeutung zur Rolle der Grünen. Für Kommunikation spricht sich nicht nur eine Zuhörerin aus, die auch darauf hinweist, dass Menschen die AfD als „Aufarbeiterin“ für die Geschehnisse und Versäumnisse der Regierung in der Corona-Zeit sähen, für die sich diese nie entschuldigt habe. Über die Bedeutung von Kommunikation, die bereits in der Schule beginne und für die die Schulen Veränderung und Unterstützung benötigten, sind sich die Teilnehmer einig. Ebenso wie über eine Auseinandersetzung mit den (richtigen) Medien, wird betont.

Zahlen zur Entwicklung des rechten Spektrums
Seit 2008 steigen national wie auch international rechtsextreme Tendenzen. 40 600 organisierte Rechtsextremisten gibt es in Deutschland, davon sind 14 500 gewaltbereit laut Bundesamt für Verfassungsschutz.Frauen sind in ähnlichem Maße daran beteiligt wie Männer, wenn auch bei geringerer Gewaltbereitschaft. Die rechte Bewegung organisiert sich in einer Reihe von differenzierten Gruppierungen wie Bruderschaften, Kameradschaften, Völkische Siedler, Reichsbürger, Neonazis, Parteien, aber auch migrantische Rechtsextreme und bildet ein großes Netzwerk, das den Erhalt der ethnostrukturellen Identität zum Hauptziel hat. Diese kulturbasierte Vorherrschaft gilt dabei als Leitstrategie für eine Gegenkultur, die sich in den propagierten und gelebten konservativen Werten widerspiegelt.Die „konservative Revolution“ arbeitet mit bekannten Feindbildern wie Migration, Feminismus oder einer bunten Gesellschaft.

Es gab 25 660 rechtspolitisch motivierte Straftaten im Jahr 2023, darunter 1148 Gewalttaten und mindestens 198 Morde (offiziell anerkannt sind indes nur 85). bp

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