Sozialarbeit auf dem Land
Was macht eine Streetworkerin in Höhr-Grenzhausen?
Im Jugendtreff gehen täglich 70 bis 80 Kinder und Jugendliche ein und aus, Perizat Haupt betreut, organisiert und ist abends auf den Höhr-Grenzhäuser Straßen zu Gesprächen mit Jugendlichen unterwegs.
Birgit Piehler

Streetwork ist mehr, als Erste Hilfe in prekären Situationen zu leisten und nur auf der Straße zu wirken. Streetworkerin Perizat Haupt berichtet über die vielfältige Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, die auch präventiv Chancen eröffnet.

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Für manch einen noch immer ein abstrakter Begriff: „Streetwork“. Irgendetwas Amerikanisches, assoziiert mir der Arbeit in großstädtischen Bereichen mit der Zielgruppe prekärer Jugendlicher und Drogensumpf. Dabei ist Streetwork (auch Straßensozialarbeit) längst der Begriff des Arbeitsfeldes in der sozialen Arbeit und der Jugendhilfe, bei der die Menschen der Zielgruppe vor allem im öffentlichen Raum aufgesucht und unterstützt werden. Auch in Höhr-Grenzhausen wird sie längst erfolgreich praktiziert.

Vor allem geht es um Kinder und Jugendliche und auch um solche, die mit ihrer Peergroup (der sozialen Gruppe von Gleichaltrigen oder Gleichgesinnten) gerne an ihnen vertrauten Plätzen auf der Straße zusammentreffen. Doch, wenn es um die Stadt Höhr-Grenzhausen geht, dann stehen hier weniger harte Drogen noch Beschaffungskriminalität im Fokus, sondern die persönlichen Probleme von Jugendlichen, ihre familiären Hintergründe und ihre Perspektiven in Gesellschaft und Beruf.

„Wir wollen wirklich alle mitnehmen.“
Perizat Haupt, Streetworkerin in Höhr-Grenzhausen

Als sich Perizat Haupt aus dem Großraum Frankfurt im damaligen Jugend- und Kulturzentrum „Zweite Heimat“ nach Höhr-Grenzhausen um die Stelle als Streetworkerin bewarb, stellte sich die Frage „Ist das hier so ein Brennpunkt, dass man die Ausschreibung so benennen muss?“ Heute lacht sie darüber, und sie ist gerne hier.

Die 35-Jährige kommt aus Kirgisistan, sie ist seit neun Jahren in Deutschland und hat Sozial- und Kulturwissenschaften studiert. „Gefühlt schon immer“ arbeite sie mit Jugendlichen, berichtet sie, und seit vier Jahren nun als Streetworkerin in Höhr-Grenzhausen.

Kinder sollen früh lernen, Anschluss zu finden

Und was macht eine Streetworkerin in Höhr-Grenzhausen? „Ziel ist es, Zugang zu Jugendlichen zu finden, die keine richtige Anlaufstelle haben, sie an ihren Treffpunkten aufzusuchen und ihnen bei der Orientierung zu helfen.“ Orientierung, das bedeute: Anschluss und Ansprechpartner zu finden, präventiv zu arbeiten und Perspektiven für die Zukunft entwickeln zu können. Dafür, so die 35-jährige Sozialpädagogin, sei sie gut vernetzt mit der Schulsozialarbeit, der Polizei, dem Ordnungsamt, dem Kinderschutzbund und dem Jugendamt. Anlaufpunkt sei außerdem das Jugendhaus Zweite Heimat, hier fänden die jungen Leute nicht nur Möglichkeiten, sich mit anderen zu treffen und gemeinsam zu beschäftigen, sondern auch Unterstützung, Beratung, Gespräch in geschütztem Raum.

Im Jugend-, Kultur- und Bürgerzentrum hat Perizat Haupt verschiedene organisatorische Aufgaben. in diese, so Haupt, seien auch Grundschulkinder einbezogen, die täglich in den Jugendtreff kommen könnten. „Wie wollen früh ansetzen“, sagt sie, „damit die Kinder wissen, wo wir sind.“ Junge Frauen zu stärken, sie zu Eigenständigkeit und dem Blick auf Berufstätigkeit zu motivieren, sei ebenfalls ein Anliegen. Sie kümmere sich zudem um leseschwache Kinder, deren Muttersprache nicht deutsch ist, wie auch – begünstigt durch ihre russischen Herkunftssprache – um die ukrainische sowie die bulgarische Community am Ort, deren Vertrauen sie mit der Zeit habe gewinnen und sie in den Dialog einbeziehen können. „Wir versuchen, alle Gruppen mitzunehmen, sagte die Sozialarbeiterin. „Die Jugendlichen, die Kinder gehören auch zu unserer Stadt.“

Bislang ohne Probleme in Kontakt gekommen

Das, was den Namen ihres Jobs eigentlich ausmacht, das führe sie oft am Abend aus. Zwei bis dreimal wöchentlich sei sie auf der Straße, nachmittags und vor allem zwischen 20 und 22 Uhr, um die jungen Menschen unter anderem am Ferbach an oder am Kiosk in der Innenstadt zu treffen, sie besuche diese aber für ein Gespräch auch schon mal zu Hause, denn einbezogen werden heute gegebenenfalls auch Eltern, sofern sie das wollen. Alles sei jedoch freiwillig für die Angesprochenen.

„Bisher habe ich immer geschafft, Kontakt aufnehmen zu können“, beantwortet die Streetworkerin die Frage, ob sie da schon auf Schwierigkeiten gestoßen sei. Gänzlich abgewehrt habe sie bislang niemand. Auch angegriffen worden sei sie noch nicht, antwortet sie mit einem Lachen. Anfangs erfahre sie schon mal Skepsis, dann muss sie sich erklären, vor allem, dass sie nicht für die Polizei oder als Stadtvertreterin arbeite, sondern für die Jugendlichen da sei. Manchmal komme sie dann schnell ins Gespräch, es könne aber auch lange – mitunter Monate – dauern. Sie sehe ihre Rolle als Brückenbauerin für den Dialog im Netzwerk. Deshalb wünscht sich Perizat Haupt auch, dass Streetwork mit einem höheren Stellenwert in die kommunalpolitische Arbeit einbezogen werde.

Perizat Haupt ist unter anderem für die Organisation von Kursen im Einsatz.
Birgit Piehler

Ein Projekt für einen weiteren Brennpunkt in der Stadt stehe als Nächstes auf dem Plan, doch darüber wolle Perizat Haupt noch nichts verraten. „Wir wollen wirklich alle mitnehmen, das gehört zum Konzept des Hauses“, sagt sie nochmals nachdrücklich. „Und wir wollen Hilfe zur Selbsthilfe leisten.“

Großes Angebot der Zweiten Heimat für junge Menschen

Der ehemalige Treff 34 hat als langjährige Institution auf ihrem Weg von Grenzhausen nach Höhr ein neues Gesicht bekommen und heißt jetzt schlicht Jugendtreff. 70 bis 80 Kinder ab Grundschulalter und Jugendliche gehen täglich im Haus Zweite Heimat ein und aus – für Kurse, Workshops, Betreuungsangebote, zum Spielen und Treffen. Präventive Projekte gegen den Gebrauch von Drogen, E-Vapes/ Zigaretten, gegen Mobbing sind unter anderem im Angebot. Das Team ist zudem für die Präventionsarbeit auch häufig an den Schulen präsent. bp

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