Um die vier Politikerinnen im Parlamentarischen Rat, der seinerzeit aus 61 Männern und nur vier Frauen bestand, und die sich keineswegs immer einig waren, ging es in dem Vortrag von Anke Zander in der Montabaurer Buchhandlung „Erlesenes“. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Blaue Montage“ hatte Anja Müller, Inhaberin der Buchhandlung, angesichts des 75-jährigen Jubiläums des Grundgesetzes zu einem Bildvortrag über die Gründerjahre der Republik und die spannende Geschichte der Entstehung unseres Grundgesetzes aus dem Blickwinkel der Frauen eingeladen.
Was Theodor Heuss ein Quasi-stürmlein nannte, so die Referentin, war auf lange Sicht gesehen der Grundstein, die Gleichstellung der Frauen im Grundrecht zu verankern. „Man nimmt das heute so hin“, bemerkte die pensionierte Berufsschullehrerin für Wirtschaftspädagogik, aber nicht in vielen Ländern seien Frauen in diesem Maße gleichgestellt wie bei uns. In den USA sei die Etablierung des Gleichberechtigungsartikels noch in den 1980er-Jahren gescheitert, dennoch hätten sich die Frauen auch dort nach und nach vorgekämpft. Erst 2022 kamen sie mit dem Recht auf Abtreibung einen großen Schritt voran.
Frauen übernahmen nach dem Krieg die Aufgaben der Männer
In der Nachkriegszeit, so zeichnete die Referentin die geschichtlichen Abläufe für die Zuhörer nach, übernahmen die Frauen in Deutschland zwangsläufig alle Aufgaben, die vor dem Krieg Männer innehatten, das Verhältnis lag unmittelbar nach dem Krieg bei 70 Prozent Frauen und 30 Prozent Männern. „Notmatriarchat“ nannte man das.
So arbeiteten Frauen nicht nur in Verwaltung oder Verkauf, sie wurden auch zu Baggerführerinnen, arbeiteten auf dem Bau, machten Führerscheine und entwickelten ein neues Selbstbewusstsein, wobei sie von den Besatzungsmächten in ihrem Tun unterstützt wurden. „Da brauche ich doch keinen Mann mehr!“ war das Resümee vieler Frauen. Auch hatten sich viele Paare nach der Heimkehr der Männer aus den Kriegsgebieten oder Gefangenschaft entfremdet. Die Traumatisierung der Männer spielte eine Rolle bei der steigenden Zahl an Ehescheidungen. Zudem war eine Reihe von Frauen eine Beziehung oder Ehe mit alliierten Soldaten oder anderen Männern eingegangen.
Selbständig geworden, wollten sich Frauen auch politisch engagieren
Schließlich wollten sich Frauen auch politisch mehr engagieren. Wie stark der Konflikt für die Männer gewesen ist, das spiegelte Anke Zander mit den Einspielungen vorn Filmszenen der damaligen Zeit wider, etwa aus dem Film „... und über uns der Himmel“ mit Hans Albert, der bei der Rückkehr aus dem Krieg seine Frau sichtlich irritiert, seine Ehefrau als Geschäftsinhaberin und selbstbewusste Autofahrerin mit ihrem eigenen Lieferwagen vorfindet. Auch eine Szene in dem Film „Ehekrieg“ mit Katharine Hepburn und Spencer Tracy präsentierte einen ehelichen Streit über die Emanzipation der Darstellerin, der schließlich – mit unnachahmlicher Ignoranz, scheinbar unendlichem Selbstvertrauen und viel Ironie – vor Gericht ausgetragen wird und zum Kampf durch die männliche Gerichtsbarkeit für die Gleichberechtigung aller Frauen wird.
Vor allem aber präsentierte Anke Zander die vier maßgeblichen Protagonistinnen, die seinerzeit vornehmlich aus den Reihen der SPD kamen. Die ersten Entwürfe des Paragrafen 1354 lehnten die „Vollblutpolitikerinnen“, allesamt Trägerinnen des Großen Bundesverdienstkreuzes, ab: „Dem Manne steht die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu.“ Nur schwerlich ließen die männlichen Parlamentarier Zugeständnisse an die Frauen zu, dennoch waren sie von der Entschiedenheit und der Rhetorik der Frauen beeindruckt.
Da brauche ich doch keinen Mann mehr
sagten viele der Frauen, die Deutschland aus den Trümmern des Zweiten Weltkrieges befreiten.
Einen Rückschlag für die Entwicklung des Frauenrechts mussten die drei SPDlerinnen und ihre Partei bei der ersten Bundestagswahl 1949 hinnehmen: Obwohl Parteivorsitzender Kurt Schumacher zurückgerudert war, und dem Ansinnen der Politikerinnen aus wahlkampftaktischen Gründen nachgab, wählten die Deutschen Frauen vornehmlich die CDU. Wütend entmachtete Schuhmacher seine Parteigenossinnen, die jedoch nicht aufgaben und aus beruflichen Positionen heraus weiterhin an Veränderungen in der Gesetzgebung mitwirkten.
Erst 1957 wurde der „Gehorsamsparagraf“ für Frauen im Grundgesetz aufgehoben. Bis Artikel drei zur Gleichberechtigung im Grundgesetz verankert wurde und sich am Ende die vier „Kraftpakete“ in der Männerwelt doch durchgesetzt hatten, zog sich bis in die 1970er-Jahre. Bis heute ist die Gleichberechtigung von Männern und Frauen noch nicht in allen Lebensbereichen Realität.
Diese Politikerinnen leisten Pionierarbeit für die Gleichstellung ¶
Frieda Nadig (SPD), von 1949 bis 1961 im Bundestag, Tochter einer Näherin und eines Tischlers, Mitglied des Grundsatzausschusses im Deutschen Bundestag, kämpfte unter anderem für Lohngleichheit von Männern und Frauen und die Gleichstellung unehelicher mit ehelichen Kindern.
Elisabeth Selbert (SPD), Landtagsabgeordnete in Hessen, 1948/49 Mitglied des Parlamentarischen Rates im Hauptausschuss, Tochter einer Hausfrau und eines Justizwachtmeisters, studierte Juristin und Anwältin, war vor allem die Schaffung eines unabhängigen Rechtswesens ein Anliegen. Sie formulierte den Gleichberechtigungsgrundsatz und setzte sich für dessen Aufnahme in das Grundgesetz ein.
Helene Weber (CDU), von 1949 bis 1962 im Bundestag, Tochter aus dem Bildungsstand, studierte Romanistin, Philosophin und Volkswirtschaftlerin, praktizierende Lehrerin, war Mitglied im parlamentarischen Ausschuss für Wahlrechtsfragen und Schriftführerin im Ausschuss für Grundsatzfragen. Sie setzte sich vor allem für den Schutz von Ehe und Familie und das Elternrecht ein.
Helene Wessel (Zentrumspartei, später SPD), Tochter eines Lokomotivführers, Jugend- und Wirtschaftsfürsorgerin, Mitglied im preußischen Landtag, im nordrhein-westfälischen Landtag und des Parlamentarischen Rates, sowie des Deutschen Bundestages. Wessel setzte sich für den Schutz von Ehe und Familie im Grundgesetz sowie das Elternrecht für alleinstehende Mütter ein. bp