Am Ende ihres Berufslebens zieht es sie an den Mittelrhein – in ein Haus in St. Goar, in dem sie in ihrer Kindheit eine unbeschwerte Zeit verlebte. Wir sprachen mit der Autorin über ihr neues Buch, das am 9. September erschienen ist.
Frau Levensohn, „Der Morgen nach dem Regen“ ist Ihr zweiter Roman und handelt von einer Frau, die versucht, die Gratwanderung zwischen Beruf und Familie, zwischen Liebe zur Tochter und Liebe zu einem Mann, der nicht ihr Ehemann ist, zu bewältigen. Wie ist die Idee zu dieser Geschichte entstanden?
Ein Prozess am Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag, über den ich im Radio gehört habe, hat mich zu dieser Geschichte inspiriert. In diesem Prozess wurde der frühere ugandische Ex-Milizionär Dominic Ongwen wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Ongwen gehörte zu den Anführern der Lord's Resistance Army (LRA), einer Terrororganisation in Uganda. Ongwens Verteidiger sahen ihn allerdings selbst als Opfer, denn Ongwen war als Kind von den LRA-Rebellen entführt und dann als Kindersoldat versklavt worden. Der Prozess zählt zu den bislang größten Verfahren am ICC. Im April 2021 wurde Ongwen zu 25 Jahren Haft verurteilt. Seine Strafe fiel höher aus als die Forderung der Anklage zu 20 Jahren Haft. Die Verteidigung hatte auf zehn Jahre plädiert, Vertreter der Opfer verlangten eine lebenslange Strafe. Während meiner Recherchen habe ich in Den Haag mit Ongwens Verteidiger Thomas Obhof gesprochen und dem Prozess beigewohnt.
Welche Botschaft möchten Sie den Lesern mit Ihrem Roman vermitteln?
Das Zitat von Madame de Staël, „alles verstehen heißt alles verzeihen“, trifft die Kernbotschaft meines Romans recht gut. Solange man den anderen nicht wirklich versteht, kann man dieser Person auch nicht verzeihen. Zu Beginn meines Romans geht es meinen Protagonistinnen ähnlich – sie sind blockiert und komplett festgefahren. Erst viel später gelingt es ihnen, ihre Sprachlosigkeit zu überwinden und aufeinander zuzugehen.
Das Buch enthält, wie schon Ihr erster Roman „Zwischen uns ein ganzes Leben“, autobiografische Elemente, denn Sie selbst waren als Sprecherin der Weltgesundheitsorganisation rund um die Welt im Einsatz, darunter auch in vielen Krisengebieten. Inwieweit verarbeiten Sie Ihre eigene Geschichte in Ihren Romanen?
Fast alle Autoren verarbeiten Autobiografisches in ihren Büchern. Und damit meine ich nicht den Plot selbst, sondern Hintergrundwissen, bestimmte Erlebnisse oder eine Region, in der sie einmal gelebt haben. Es ist diese persönliche, autobiografische Note, die einem Roman seine Einzigartigkeit gibt. In meinem neuen Buch steckt auch wieder eine Menge von mir selbst: Als Sprecherin der WHO und später der Weltbank war ich oft in Krisengebieten unterwegs. Ich habe hautnah miterlebt, wie (Bürger-)Kriege, Umweltkatastrophen und Epidemien ein Land und seine Menschen traumatisieren und zerstören. Diese Erfahrungen haben mich beim Schreiben von Johannas Einsätzen in Krisengebieten sehr inspiriert.
Dieses Mal spielt das Mittelrheintal, insbesondere St. Goar, eine entscheidende Rolle. Warum ausgerechnet dieser Ort (und haben Sie diesen selbst für die Recherche zum Buch bereist)?
Meine Protagonistinnen leben im Ausland, sind weltweit aktiv, aber in Deutschland verwurzelt. Deshalb habe ich für meine Rahmenhandlung nach einem deutschen Sehnsuchtsort gesucht. So bin ich auf das Mittelrheintal gestoßen. Mit seinen rebenbewachsenen Steilhängen, imposanten Felsen und sagenumwobenen Burgen gehört es für mich zu den schönsten Regionen Deutschlands. Ich bin sehr gern dort gewesen.
Sie sind in Darmstadt geboren, leben mittlerweile in der Schweiz. Hatten Sie vorher schon Berührungspunkte mit dem Mittelrheintal?
Meine Mutter hatte mal ein Ferienhaus am Rhein, in Kaub, ganz in der Nähe der Burg Pfalzgrafenstein. Als sie das Haus gekauft hat, lebte ich bereits in den USA, aber ich habe sie oft in Kaub besucht. Sie hat mir diese wunderbare Kulturlandschaft näher gebracht. Wir sind zusammen auf dem Rheinsteig gewandert, haben Burgen und alte Städte besichtigt und herrliche Weißweine getrunken. Seitdem verbinden mich auch viele persönliche Erinnerungen mit dem Mittelrheintal.
Was macht die Faszination dieser Gegend für Sie aus?
Das Mittelrheintal ist eine faszinierende Landschaft von unvergleichlicher kulturhistorischer Bedeutung. Ganz besonders begeistern mich die Burgen, Schlösser und Festungen, die hoch über dem Fluss thronen. Nirgendwo sonst kann man tausendjährige deutsche Geschichte so hautnah erleben wie hier.
Sie verbinden in Ihrem Buch Orte, wie sie kontrastreicher nicht sein könnten: die Großstadt New York, Krisengebiete der Welt und das idyllische Mittelrheintal. Welchen dieser Ort würden Sie selbst bevorzugen?
Was meinen persönlichen Lieblingsort betrifft, hätte ich mich vor 20 Jahren sofort für New York entschieden. Aber in meiner derzeitigen Lebensphase zieht es mich eher raus aus den Städten und in die Einsamkeit und Stille der Schweizer Berge.
Die Fragen stellte Sina Ternis.
Das Buch „Der Morgen nach dem Regen“ ist zum Preis von 24 Euro im Handel, ISBN: 978-3-458-64448-4, oder als E-Book, ISBN: 978-3-458-78134-9, erhältlich.