Feldversuch auf Sparflamme
Reallabor Kaisersesch braucht bisher wenig Wasserstoff
Hier, im Kaiersescher Wasserstoffquartier, hätte der Herzschlag der Energiewende sichtbar werden sollen. Allein, das Herzstück des Projekts, ein Elektrolyseur, der grünen Wasserstoff produziert, konnte nie ans Laufen gebracht werden.
David Ditzer

Das Wasserstoff-Reallabor in der Eifel hat ein Problem: Der teure Elektrolyseur, der den Modellversuch mit grünem Wasserstoff speisen sollte, funktioniert nicht. Dabei gibt der Steuerzahler viel Geld für das Prestigeprojekt der Energiewende aus.

Der Elektrolyseur, der das Reallabor der Energiewende in Kaisersesch gleich zu Beginn des Regelbetriebs am 3. Februar dieses Jahres mit grünem Wasserstoff (H2) hätte versorgen sollen, funktioniert nicht. Und er soll auch nicht mehr zum Laufen gebracht werden, jedenfalls nicht in Kaisersesch. Das teilte der Essener Energieversorger EON auf Anfrage unserer Zeitung mit. Der Wasserstoff für den Betrieb des sogenannten SmartQuarts kommt per Sattelzug in die Eifel – seit dem 27. März ausschließlich aus Ludwigshafen. Zuvor kam er jedoch auch schon aus anderen Gegenden in Deutschland und sogar in Österreich. Bilanziell war und ist er mithin nicht mehr ganz so grün. Aber ist der große Feldversuch in der Eifel deshalb gleich gescheitert? Und sind die Millioneninvestitionen, die in Kaisersesch getätigt wurden, für die Katz? Den Antworten auf diese Fragen kann man sich derzeit bloß annähern – auch, aber längst nicht nur, weil das Modellprojekt noch bis zum Ende dieses Jahres läuft.

Das Kaisersescher Wasserstoffquartier SmartQuart befand sich im September 2023 noch im Aufbau. Von Anfang an waren hohe Erwartungen an den Feldversuch geknüpft.
David Ditzer/Archiv

Mitte Dezember des Jahres 2019 übergab der damalige Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier den Förderbescheid für SmartQuart, ein Modellprojekt, an dem sich die Städte Essen und Bedburg (Rhein-Erft-Kreis) sowie die Verbandsgemeinde Kaisersesch beteiligen sollten. An allen drei Orten sollten Quartiere, also ganze Wohn- und/oder Gewerbegebiete, in denen fossile Energieträger (Kohle, Gas, Öl) weitgehend überflüssig werden. Die drei beteiligten Kommunen sollten bewusst unterschiedliche Wege zum Ziel ausprobieren. Die Hoffnung dabei: Am Ende der Versuchs- und Regelbetriebsphase stehen Blaupausen, die sich auf andere Regionen in Deutschland übertragen lassen. Gesamtinvestitionsvolumen für das dreiteilige Reallabor: 60 Millionen Euro, zu 40 Prozent gefordert vom Bundeswirtschaftsministerium, zu 60 Prozent gestemmt von den Projektpartnern aus Kommunen und Wirtschaft.

Technisch anspruchsvolles Verfahren gewählt

Zwei Jahre lang liefen die Planungen fürs Wasserstoffquartier in Kaisersesch. Am 18. Oktober des Jahres 2022 kam es zum obligatorischen Spatenstich auf einem Gelände, das die Stadt Kaisersesch zur Verfügung gestellt hatte. Viel Tamtam und große Ziele – und jetzt, circa zweieinhalb Jahre später? Das Herzstück des Quartiers, ein 1-Megawattelektrolyseur eines französischen Unternehmens, konnte nie ans Laufen gebracht werden. Die Anlage sollte mithilfe von Strom aus erneuerbaren Energieträgern Wasser in seine Bestandteile zerlegen: Sauerstoff und eben Wasserstoff. Wieso klappte es nicht, den Elektrolyseur in Gang zu bringen? Dazu teilt EON als Konsortialführer mit: „Aufgrund der mit dem Hersteller getroffenen Vertraulichkeitsvereinbarungen können wir hierzu keine Angaben machen.“

Hinter den Kulissen ist dazu zumindest so viel zu erfahren, dass es unterschiedliche Elektrolyseverfahren gibt und für Kaisersesch wohl dasjenige gewählt wurde, das technisch schwieriger zu verwirklichen ist. Trotzdem brauchte das Kaisersescher Quartier grünen Wasserstoff, um Anfang Februar den Regelbetrieb aufnehmen zu können, geliefert per Sattelzug.

„Dabei wurde im Februar und März 2025 zweimal auch auf eine Anlage aus Österreich zurückgegriffen.“
EON zur Herkunft der Wasserstofflieferungne für das SmartQuart Kaisersesch

EON teilt dazu mit: „Der grüne Wasserstoff stammt aus industriellen Elektrolyseanlagen, wobei der Wasserstoff je nach Verfügbarkeit aus verschiedenen Elektrolyseuren angeliefert wird. Ein Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen organisiert und koordiniert die Lieferungen.“ Und weiter: „Um sicherzustellen, dass das Quartier Kaisersesch verlässlich versorgt wird, wird der Wasserstoff aus verschiedenen Quellen aus Deutschland und Österreich bezogen. Dabei wurde im Februar und März 2025 zweimal auch auf eine Anlage aus Österreich zurückgegriffen. Die anderen Lieferungen stammten aus Deutschland.“

Grüner Wasserstoff aus Österreich für Kaisersesch? Auf dem Weg per Lastwagen in die Eifel hat der sich in Teilen schon wieder ölschwarz eingefärbt. Deshalb stammt der aktuell in Kaisersesch genutzte Wasserstoff „seit dem 27.03.2025 ausschließlich aus einem am 17.03.2025 in Betrieb genommenen modernen Elektrolyseur hier aus der Region aus Rheinland-Pfalz (Ludwigshafen)“, hält EON fest.

Für Februar und März 1210 Kilogramm Wasserstoff geliefert

Für Februar und März zusammen wurden dem Energieversorger zufolge 1210 Kilogramm Wasserstoff geliefert. Sie waren „aufgrund des milden Wetters“ ausreichend gewesen für den Bedarf des Quartiers Kaisersesch. Für den April liege noch keine Übersicht vor. In diesem Monat habe auch der Kunde Hydrogenious den Wasserstoffbezug aufgenommen, sodass die benötigte Menge zunehmen werde. Die Wasserstofflieferung finden, wie EON mitteilt, bedarfsgerecht alle ein bis zwei Wochen statt.

Hydrogenious LOHC Technologies, ein Forschungs- und Entwicklungsunternehmen aus Erlangen, ist einer von zwei Kunden des Kaisersescher Wasserstoff-Reallabors. Er hat sich auf das LOHC-Verfahren spezialisiert. Die Abkürzung steht für „Liquid Organic Hydrogen Carrier“. Bei der Methode wird Wasserstoff unter Druck in eine schwer entzündliche organische Flüssigkeit gepresst. So kann er gefahrlos transportiert und anschließend wieder aus der Flüssigkeit herausgeholt werden.

Ein weiterer Kunde ist Viessmann. Der Heizungsbauer wandelt Wasserstoff in Wärmeenergie und Strom um. Der Strom wird ins öffentliche Netz eingespeist. Die Wärme wird genutzt, um über ein Nahwärmenetz das Verwaltungsgebäude der VG Kaisersesch zu beheizen. Dritter Kunde sollte ein Betrieb in Kaisersesch sein, der mit Blockheizkraftwerken handelt. Er hat ein solches Kraftwerk entwickelt, das mit grünem Wasserstoff Strom und Wärme erzeugt. Dieses wurde EON zufolge zwar ans SmartQuart angebunden. Es werde jedoch derzeit nicht mit Wasserstoff versorgt.

Trotzdem: Der Regelbetrieb läuft. „In der aktuellen Projektphase steht der Erkenntnisgewinn im Vordergrund“, unterstreicht EON. Das Reallabor schaffe „die Grundlage, um wertvolle technische und regulatorische Erfahrungen im Rahmen des Forschungsprojektes zu sammeln, die für eine spätere Skalierung der nationalen Wasserstoffinfrastruktur essenziell sind“. Nur müssen diese leider ohne grünen Wasserstoff aus Kaisersesch gewonnen werden.

Aus Sicht von Albert Jung, dem Bürgermeister der Verbandsgemeinde Kaisersesch, hat das Wasserstoff-Modellprojekt SmartQuart bisher schon einige wertvolle Erkenntnisse geliefert.
Kevin Rühle/Archiv
„Ich hätte mich schon gefreut, wenn der Elektrolyseur ins Laufen kommt.“
Albert Jung, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Kaiersesch

„Ich hätte mich schon gefreut, wenn der Elektrolyseur ins Laufen kommt“, gibt der Kaisersescher VG-Bürgermeister Albert Jung zu. Der äußert sich zudem etwas enttäuscht darüber, wie die Kommunikation unter den Projektpartnern lief. So habe man etwa auf die Entscheidung, welcher Elektrolyseur von welchem Unternehmen beschafft werde, keinen Einfluss gehabt.

Aber was passiert nun mit der Anlage, die nur eine von mehreren zusammen Millionen von Euro teuren technischen Komponenten ist, die im Kaisersescher Reallabor verbaut wurden? Die lokale Wasserstofferzeugung im Quartier sei nicht mehr vorgesehen. Zur eventuellen künftigen Verwendung des Elektrolyseurs könne EON keine Angaben machen – „aufgrund der mit dem Hersteller getroffenen Vertraulichkeitsvereinbarungen“.

Und was ist mit den Kosten? Ein Großteil der Investitionen hat EON nach eigenem Bekunden selbst getätigt, ohne öffentliche Fördermittel. Demnach gingen zum Beispiel der Elektrolyseur, eine Gasdruckregel- und Messanlage sowie eine 1,4 Kilometer lange Wasserstoffpipeline auf die Rechnung des Energieversorgers. Insgesamt seien von EON „im Quartier Kaisersesch seit Projektbeginn Fördermittel in Höhe von rund 1 Million Euro abgerufen“ worden.

Und die VG Kaisersesch? Die erhielt nach eigenen Angaben Fördermittel des Bundes für eine Projektleiterstelle, eine Bürokraft und Equipment. Das bis Endes dieses Jahres verlängerte Projekt sollte ursprünglich von 2020 bis 2024 laufen. Für diese Laufzeit erhielt die VG demnach 472.826 Euro, die tatsächlich entstandenen Kosten lagen 4500 Euro darüber.

Immerhin: Die Heizung läuft bislang stabil

Und der bisherige Erkenntnisgewinn im Wasserstoff-Reallabor? VG-Bürgermeister Jung sagt dazu: „Unser Ziel war es, das bislang ungelöste Problem der Speicherung unseres überschüssigen Wind- und Fotovoltaikstroms in der Verbandsgemeinde Kaisersesch zu lösen.“ Hier habe man schon erhebliche Fortschritte erzielt. SmartQuart habe gezeigt, „dass Wasserstoff erfolgreich in Pipelines gespeichert werden kann“, hält Jung fest. „Die Beheizung des Verwaltungsgebäudes erfolgt derzeit über die Nahwärmeleitung des SmartQuart-Projekts und läuft bisher stabil.“ Ein Punkt, den Viessmann unserer Zeitung bestätigt hat.

Ansonsten bleibt die Hoffnung, dass der Regelbetrieb dieses sogenannten Reallabors der Energiewende noch weitere wichtige Erkenntnisse liefert. Erkenntnisse, von denen auch, aber längst nicht nur die VG Kaisersesch auf Sicht profitiert. Andernfalls wäre dieses Wasserstoffquartier nicht mehr als ein kostspieliges Experiment, das mit viel Steuergeld für überschaubare Zeit Aufmerksamkeit generiert hat.

Wasserstoffquartier Kaisersesch: Auch Randprojekte laufen nicht

Vom Wasserstoffquartier in Kaisersesch sollten ursprünglich noch weitere Akteure profitieren. So gab es die Idee, Züge der Rhein-Eifel-Bahn der DB Region in einem Testbetrieb ab 2025 mit Wasserstoff zu betreiben. Drei Fahrzeuge sollten auf der Strecke zwischen Gießen, Limburg, Andernach, Mayen und Kaisersesch zum Einsatz kommen. Doch die Kosten explodierten. Im Juni 2023 brach der Zweckverband Schienenpersonennahverkehr Nord in Abstimmung mit dem Mobilitätsministerium in Mainz ab. Weiter auf sich warten lässt auch eine Wasserstofftankstelle, die auf einem Grundstück nahe der A48 entstehen soll. Der VG Kaisersesch zufolge hängt das Ganze an einem Genehmigungsverfahren bei der zuständigen SGD Nord. Nur: Wie viel Sinn hat so eine Tanke – ohne grünen Wasserstoff aus Kaisersesch? dad

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