Nach Erprobungsphase: Das sagen Busbetriebe und Cochem-Zeller Verwaltung zu leeren Bussen, Schülerirrfahrten und mehr
Neuer ÖPNV in Cochem-Zell: Beständiges Nachsteuern ist gefragt
Seit dem 10. Dezember vergangenen Jahres gibt es in Cochem-Zell drei völlig neue Buslinienbündel. Um den öffentlichen Nahverkehr im Kreis gibt es seither viele Diskussionen. Jetzt zogen Beteiligte im Kreishaus eine 100-Tage-Bilanz. Foto: David Ditzer
David Ditzer

Seit Wochen ist der ÖPNV im Kreis Cochem-Zell ein Streitthema. Leere Busse fahren durch die Dörfer und der Haushalt des Kreises wird stark durch die neuen Busverbindungen belastet. Zeit, eine erste Bilanz zu ziehen.

Zu einer 100-Tage-Bilanz, die keine echte 100-Tage-Bilanz ist, hatten die Cochem-Zeller Kreisverwaltung und Vertreter von Verkehrsunternehmen jetzt Medienvertreter ins Kreishaus Cochem eingeladen. Es ging um ein Thema, das zuletzt viel Zünd- und Diskussionsstoff bot: den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), speziell um die seit dem 10. Dezember laufenden drei neuen Linienbündel „Schieferland“, „Moselschleifen“ und „Blankenrath“. Zu viele und zu eng getaktete, oft leere Busse, Schwierigkeiten in der Schülerbeförderung, ungünstig platzierte provisorische Haltestellen – diese und weitere Kritikpunkte erreichten die Beteiligten zuhauf (die RZ berichtete mehrfach). Was sagen die Verantwortlichen dazu? Und vor allem: Wie soll es weitergehen?

Zu Beginn verdeutlichte Cochem-Zells Landrätin Anke Beilstein (CDU), 100 Tage Erprobung der neuen Linienbündel seien nur auf dem Papier verstrichen, nämlich auf dem Kalenderblatt. Sie sagte: „Wir hatten noch keine normalen 100 Tage.“ Glatteis, Sturm, Hochwasser „und Streiks, immer wieder Streiks“ – an Normalbetrieb war über längere Phasen nicht zu denken. Stephan Pauly, Geschäftsführer des Verkehrsverbunds Rhein-Mosel (VRM), urteilte gar: „Ich habe noch nie eine Einführungsphase erlebt, die so schwierig war wie diese.“ Klar ist aber auch: Schwierigkeiten, für die weder Arbeitskampf noch das Wetter verantwortlich zeichnet, gab und gibt es:

1Warum sind plötzlich vergleichsweise so viele Busse unterwegs? Es gibt einige ganz neue Verbindungen. Generell gilt: „Die Anzahl der Fahrzeuge ist nach dem Höchstbedarf ausgerichtet“, unterstrich Landrätin Beilstein. Das Grundgerüst für diesen Höchstbedarf und mithin auch für den Umfang des ÖPNV bildet die Beförderung der Schüler und Kitakinder. Enge Taktungsvorgaben aus dem ÖPNV-Konzept Rheinland-Pfalz Nord tragen jedoch auch zur hohen Busdichte bei.

2Eine Irrfahrt von Grundschulkindern in Briedern, massive Beförderungsprobleme, zum Beispiel an der Schule in Blankenrath, – was ist dazu zu sagen? „An der Schule in Blankenrath fanden Nachbesserungen statt, und das läuft auch“, sagt Landrätin Beilstein. Anfangs hätten Verkehrsunternehmen falsche Zeiten gehabt, was den Schulbeginn betrifft. Zur Irrfahrt der Briederner Grundschulkinder sagt VRM-Geschäftsführer Pauly: „Es ist nicht außergewöhnlich, dass mal etwas danebengeht.“ Auch künftig werde es keine 100-prozentige Fehlerfreiheit geben.

3Was ist von der vielfach gehörten Kritik zu halten, die Busfahrer verständen kaum Deutsch und würden ihre Strecken nicht kennen? Grundsätzlich waren für die neuen Linienbündel „rund 200 Busfahrer mehr erforderlich, um Bedarfe zu decken“, verdeutlichte Landrätin Beilstein. Anders als früher müssen Fahrer durchgehend bezahlt werden, weshalb nicht mehr nur ein Fahrer die gleiche Linie vor- und nachmittags abdecken kann – mit einer unbezahlten Pause dazwischen. „Die Fahrer kommen überwiegend aus dem EU-Ausland“, verdeutlichte Jean Reuter, Geschäftsführer der Reuter Verkehrsbetriebe, stellvertretend für bkr Mobility. Für sie wurden Unterkünfte angeschafft, sie wurden im Kreis herumgefahren, mit Strecken und Verkaufsgeräten vertraut gemacht, führte Reuter aus.

Um die Sprachbarriere erst einmal notdürftig abzubauen, erhielten die Fahrer Vokabellisten, „um sich die wichtigsten Wörter im Selbststudium beizubringen“. Anfänglich habe es Bedenken wegen der Listen gegeben, doch dieselben seien sehr gut angenommen worden. „Mittlerweile gibt es Sprachkurse“, sagte Reuter, die von den Betrieben finanziert würden. Die wiederum müssen so getaktet sein, dass die Fahrer zugleich ihre Schicht wahrnehmen können. Der Busunternehmer stellte sich demonstrativ vor die Mitarbeiter der beteiligten Betriebe: „Die Fahrer wollen ihre Arbeit gut machen und geben viel dafür, das alles umzusetzen.“

4 Wieso fahren so viele Busse leer oder fast leer? Zum einen liegt es – banalerweise – daran, dass die Cochem-Zeller Tourismussaison noch nicht läuft. Zum anderen hebt VRM-Geschäftsführer Stephan Pauly hervor: „Nach 100 Tagen zu erwarten, dass alle Busse schon zu 30, 40 oder 50 Prozent voll sind, ist ein frommer Wunsch. Wir leben nun einmal in einer ländlichen Region, wo mindestens der Zweitwagen vor der Tür steht.“ Normalerweise gehe man davon aus, „dass man den Betrieb drei bis fünf Jahre laufen lassen muss, um Änderungen im Nutzerverhalten zu erzeugen“. Die Krux formulierte Landrätin Beilstein so: „Sind wir ehrlich, im ländlichen Raum sind wir einfach nicht so sozialisiert, dass es einen guten ÖPNV gibt. Das ist auch nicht mit einem Schalterumswitchen zum 10. Dezember gemacht.“

5 Wie sollen Änderungen im Nutzungsverhalten beschleunigt werden? „Wir sind uns einig, dass für die Zukunft die Werbung deutlich verstärkt werden muss.“ Das gilt aus Sicht von VRM-Geschäftsführer Pauly auf allen Kanälen, über Printprodukte, aber auch und nicht zuletzt via Internet. Die VRM-App, Instagram und YouTube führte er als Beispiele ins Feld, wo der VRM die Werbung intensivieren will. Allerdings sei das Marketingbudget für 2024 auch überschaubar: 1,2 Millionen Euro, von denen circa 10 Prozent für die Taschenfahrpläne genutzt werden.

6 Warum wurden die Werbeanstrengungen nicht längst massiv erhöht? Pauly: „Wir wollten erst einmal die Einführungsphase abwarten“ – und zwar um keine überzogenen Erwartungen zu wecken. Mit Vorabwerbung habe man im Kreis Ahrweiler schlechte Erfahrungen gesammelt. Aber: „Die Anzahl der Beschwerden in Cochem-Zell nimmt so deutlich ab, dass wir jetzt sagen können, die Werbung ist auch glaubwürdig. Und darauf kommt es doch an.“

7 Wie viele Beschwerden gab es seit Einführung der neuen Linienbündel? Erst auf mehrfache Nachfrage hin räumte Landrätin Beilstein ein, in der ersten Zeit habe es jede Woche eine dreistellige Anzahl von Beschwerden geben. Mittlerweile sei die Zahl der wöchentlichen Beschwerden jedoch einstellig. „Wir gehen jeder Beschwerde nach, das ist für uns ganz wichtig“, unterstrich Pauly. Er fügte jedoch auch hinzu: „Nicht jede Beschwerde ist eine, die relevant ist und Substanz hat.“ Deshalb ist es aus seiner Sicht auch müßig, eine detaillierte Statistik zu führen. „Wir sollten unsere Energie da reinstecken, dass wir den Beschwerden nachgehen, die von Substanz sind.“

8 Wie wird das Beschwerdemanagement geregelt? Von zentraler Bedeutung ist das ÖPNV-Meldeportal, das über die Webseite der Kreisverwaltung zu finden ist. Pauly: „Wir werden außerdem eine Beschwerdesoftware einführen, sodass Beschwerden gebündelt einlaufen.“ Ein Redaktionsteam werte diese dann aus, „sodass nicht drei Instanzen ein und dieselbe Beschwerde bearbeiten“.

9 Folgen aus Beschwerden – je nach Qualität und Art – auch Korrekturen? Ja, versichern die Verantwortlichen. „Nichts ist in Stein gemeißelt oder in Eisen gegossen“, sagte VRM-Chef Pauly. „Wenn sich etwas umsetzen lässt, was besser ist für die Alltagstauglichkeit oder Akzeptanz, dann werden wir das umsetzen.“ Regelmäßige Qualitätsabsicherungsgespräche sollen dabei helfen. Landrätin Beilstein kündigte beispielsweise an, künftig auch den Wanderparkplatz in Cochem-Cond per Bus andienen zu lassen.

10 Was ist von dem Vorwurf zu halten, Busfahrer würden Fahrgäste durchwinken, ohne dass diese bezahlt hätten – mangels Wechselgeld? Vereinzelt mag das vorgekommen sein, räumt Pauly ein. Leider werde es aber auch noch dauern, bis Fahrgäste in Bussen bargeldlos zahlen könnten.

11 Haben schon alle Busse eine Box für kostenlose WLAN-Nutzung? Nein, die dafür nötigen Boxen würden erst nach und nach angeschafft. Allerdings zahle der Kreis auch erst dann für diese vertraglich vorgesehene Leistung, wenn alle Busse damit ausgestattet seien.

12 Wann soll es eine große Bestandsaufnahme geben? Frühestens nach einem Jahr. Es braucht Landrätin Beilsein und VRM-Geschäftsführer Pauly zufolge so lang, um genügend valide Daten zu sammeln. Dabei helfen werden 2000 digitale Kontrollgeräte fürs Deutschlandticket, mit denen der VRM Busse ausrüstet. In Prüfung sei noch, ob und inwieweit diese Geräte auch für Rückschlüsse auf das Nutzerverhalten herangezogen werden dürften, so Pauly. Ergänzend werden Fahrgastzahlen anhand von Erlösdaten über ein anerkanntes Verfahren „exzerpiert“.

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