Neue Sicherheitspolitik
Abwehrbereit? Blick ins Geschwader zeigt, dass es geht
Tornados des Taktischen Luftwaffengeschwaders 33 aus Büchel kehren am 1. April 2020 aus dem Einsatz in Jordanien zurück. Seither hat sich die sicherheitspolitische Lage in Deutschland und Europa noch einmal massiv verändert.
Daniel Rühle/Archiv

Seit Russlands Angriff auf die Ukraine anno 2022 ist der Krieg in Europa wieder präsent. Kampfeinheiten wie dem Luftwaffengeschwader in Büchel wächst neue Bedeutung zu. Aber sind Truppe und Gesellschaft abwehrbereit?

Aktualisiert am 07. März 2025 08:08 Uhr

Die Debatte um eine allgemeine Wehrpflicht in Deutschland flammt aktuell mit Wucht wieder auf. Der Historiker Sönke Neitzel, der in Potsdam eine Professur für Militärgeschichte und Kulturgeschichte der Gewalt innehat, äußerte dazu jetzt in Cochem-Brauheck eine klare Meinung: „Ohne eine Wehrpflicht können wir dieses Land nicht verteidigen“, sagte er in einem Gastvortrag beim Aschermittwochtreff des Taktischen Luftwaffengeschwaders 33. Und er prophezeite: „Eine Auswahlwehrpflicht wird kommen in irgendeiner Form. Aber wir haben Zeit verloren.“ Zeit, die Akteure in der Weltpolitik wie Trump oder Putin für ihre Zwecke nutzen.

Was derzeit in der Welt los ist, provoziert die Frage geradezu: „Wie abwehrbereit ist Deutschland wirklich?“ Der Beantwortung dieser Frage widmete sich der Militärhistoriker Sönke Neitzel in der Fliegerkaserne Cochem-Brauheck. Doch zunächst einmal verteilte er verbal noch Blumen an seinen Gastgeber, Oberst Samuel Mbassa, den Kommodore des Taktischen Luftwaffengeschwaders 33. Dieser habe es „mit seinem Charme geschafft, mich aus meiner Forschungshöhle in Berlin herauszuholen“.

Grundfesten der europäischen Sicherheitspolitik erschüttert

Weniger blumige Worte fand Neitzel für das weltpolitische Geschehen und das Verhalten der USA gegenüber Europa und der Ukraine. Er sieht „die Grundfesten der europäischen Sicherheitspolitik seit 75 Jahren infrage gestellt“. Letztlich münde das sogar in die Frage, ob Artikel 5 des Nato-Vertrags noch gelte: die Beistandspflicht. Springt das Militärbündnis einem angegriffenen Mitglied vorbehaltlos zur Seite? Die USA seien womöglich dabei zurückzugehen hinter den 6. April 1917, das Datum des Eintritts in den Ersten Weltkrieg unter Präsident Woodrow Wilson.

Wie abwehrbereit Deutschland angesichts dieser Entwicklungen ist, darauf ging Neitzel unter drei Aspekten ein: Gesellschaft, Politik und Bundeswehr. „Wenn es einen Bereich gibt, wo die Zeitenwende nicht angekommen ist, dann an den deutschen Universitäten“, monierte Neitzel bewusst provokant. Es gebe gerade einmal einen Lehrstuhl für Militärgeschichte, aber 150 Lehrstühle für Gender Studies, sagte er, ohne dass er Letztere schlechtreden wolle.

Jeden Reformschritt, den wir jetzt nicht gehen, werden wir potenziell – hoffentlich kommt es nicht so weit – mit dem Blut unserer Soldaten erkaufen.“
Militärhistoriker Sönke Neitzel bei Aschermittwochtreff in Brauheck

Aber: Wo solle bei Politikern oder Journalisten ein tieferes Verständnis für Sicherheitspolitik herkommen, wenn es nicht gelehrt werde? Dabei gebe es in der Gesellschaft durchaus eine solide Grundlage für Sicherheitspolitik. Die Bundeswehr genieße ein gutes Ansehen, die Bereitschaft zur Landesverteidigung sei vor allem unter Männern Umfragen zufolge mehrheitlich vorhanden. Neitzel: „Die Deutschen waren nie Pazifisten, jedenfalls nicht in ihrer Mehrheit.“

Die Politik habe das Problem, dass sie dem öffentlichen Diskurs hinterherhinke, wenn es zum Beispiel um die Verteidigungsbereitschaft gehe. Sie sei zu sehr in der Logik der Fraktionen und des eigenen Vorteils verhaftet. Die Wehrpflichtfrage etwa könne ein Verteidigungsminister Pistorius nicht alleine lösen. Politiker müssen „tapfer“ sein, Mut haben, nötige Entscheidung zu treffen. Dass es funktionieren kann, „sehen wir am Geschwader. Man kann es sich einfach nicht erlauben, dass die F-35 im Jahr 2027 hier auf der Wiese landen muss“, sagte Neitzel.

Bürokratie lähmt die Truppe

Die Truppe selbst hat in den Augen des Militärhistorikers ein gravierendes Problem: „Die Bundeswehr ist leider die vollendete Bürokratie des deutschen Bürokratismus.“ Ein aufgeblähter Personal- und Entscheidungsapparat verhindert Handlungsschnelle. Es brauche disruptive Veränderungen. Zudem habe man ein Problem bei der Munition. „Es ist mitnichten so, dass wir völlig blank dastehen“, so Neitzel. Er fügte hinzu: „Wir sind nicht wehrlos, die Bundeswehr kann kämpfen.“ Aber ein Erfolg im Kampf, zum Beispiel gegen Russland, würde „ohne die USA schwierig“.

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