Landwirte protestieren gegen Handelskonzerne: Niedrigpreispolitik macht Tierhaltung in der Region unrentabel - Gewünschte Kleinstrukturen sterben
Landwirte protestieren gegen Handelskonzerne: Lange halten wir nicht mehr durch
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Rheinland-Pfalz. Fleisch stammt vom Tier. Das muss irgendwo aufwachsen. Und irgendjemand muss es schlachten. Klare Sache eigentlich. Das Problem ist nur, dass Anspruch und Wirklichkeit nicht zusammenpassen. Mit der Folge, dass es das, was sich die meisten Menschen angeblich wünschen – gute, saubere, fair produzierte Lebensmittel aus der Region –, womöglich bald nicht mehr gibt. Warum? Tierhaltung lohnt sich nicht.

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"Die Preise sind ruinös. Im Prinzip bezahle ich jeden Morgen und jeden Abend Eintritt, um im Stall meine Arbeit zu machen. Uns fehlt die Perspektive" - Markus Zimmermann mästet in der dritten Generation Schweine auf dem Lindenhof in Polch.
Nicole Mieding
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„Wir machen alles für die Fleischproduktion, erzeugen auch das Futter für die Tiere selbst.“ - Anna Schwab-Pilcher (29) ist Ferkelerzeugerin mit angeschlossenem Mastbetrieb in Gering. Die junge Landwirtin hat den Familienbetrieb vor sechs Jahren übernommen – in dritter Generation. Sie wünscht sich gleiche Standards innerhalb der EU.
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„Wir arbeiten so, wie es die Leute angeblich wollen, produzieren in der und für die Region, mit kurzen Wegen und Kontakt zum Kunden. Und verdienen trotzdem nicht unser Auskommen.“ - Tobias Fuchs (38) ist Landwirt aus Überzeugung – wie alle seine Vorfahren. Aber auch für den Kehriger Schweinemäster bestimmt der Exportmarkt die Preise.
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Seit Langem schlagen die Landwirte deshalb Alarm, nun rücken sie in Protestzügen vor die Werkstore der Discounter. Sie sehen sich von Handels- und Schlachtbetrieben existenziell bedroht. „Von den Margen, an denen der Handel verdient, kommt bei uns Erzeugern nichts an“, sagt Knut Schubert, Schweinehalter und Kreisgeschäftsführer des Bauern- und Winzerverbands Rheinland-Nassau. Dabei sei Rheinland-Pfalz gewissermaßen das Schweineparadies. Schubert meint damit: keine Megaställe mit Intensivtierhaltung, stattdessen mittelständische Familienbetriebe, meist über Generationen in der Region verwurzelt, mit Bindung zur Scholle.

„Wir arbeiten so, wie es die Leute angeblich wollen – in der und für die Region, mit kurzen Wegen und Kontakt zum Kunden. Wir produzieren keine Überschüsse und verdienen trotzdem nicht unser Auskommen“, sagt Tobias Schmitz über seinen Schweinemastbetrieb in Kehrig im Kreis Mayen-Koblenz. „Die Preise sind ruinös“, bilanziert Kollege Markus Zimmermann, Schweinemäster aus Polch, der seinen Lindenhof in dritter Generation führt. Ob's eine vierte geben wird? Momentan sieht er nichts, was dafür spricht.

Für ein zehn Wochen altes Ferkel, das er mit 25 Kilo zur Mast abgibt, bekommt Zimmermann 27 Euro. „Ich bräuchte 50 Euro, um die Kosten für Futter, Energie und die Abschreibung meiner Investitionen zu decken. Im Prinzip bezahle ich jeden Morgen und jeden Abend Eintritt, um im Stall meine Arbeit zu machen.“ Sein Sohn würde den Betrieb gern weiterführen, nur weiß Zimmermann nicht, ob er das gut finden soll. „Uns fehlt die Perspektive, wir müssen der nächsten Generation eine Chance zum Weitermachen geben. Im Moment sehe ich das nicht“, bilanziert er.

Seit Monaten sinkt der Preis für Schweinefleisch, aktuell liegt er bei 1,19 Euro pro Kilo, die Liste der Gründe dafür ist lang. Da ist die Afrikanische Schweinepest, die die Halter in Rheinland-Pfalz zwar (noch) nicht betrifft. Doch sie hat zu einem Importstopp von deutschem Schweinefleisch in China geführt. Dann kam Corona: Der Lockdown der Gastronomie und die zeitweise Stilllegung des Großschlachtbetriebes Tönnies ließ den Absatz weiter einbrechen. Weil Abnehmer fehlten, begannen sich bei den Mästern die Schweine in den Ställen zu stapeln: kein Verdienst, nur Kosten.

Und das, obwohl Rheinland-Pfalz an Schweinen massiv unterversorgt ist. „Zu viele Schweine haben wir hier definitiv nicht“, betont Schubert. 147.600 Schweine hat das Statistische Bundesamt im Mai in Rheinland-Pfalz gezählt – in Betrieben mit mindestens 50 Schweinen oder zehn Zuchtsauen. Gegenüber 2011 waren das 38 Prozent weniger Tiere. „Nicht nur die Schweinemast, die Tierhaltung insgesamt ist sehr problematisch. Wenn wir das nicht in den Griff kriegen, werden die Tiere aus unserem Kreis verschwinden“, mahnt Wolfgang Karbaum, Kreisvorsitzender des Bauernverbands Mayen-Koblenz mit einem eigenen Milchviehbetrieb in Vallendar, den er künftig ökologisch bewirtschaften will, gerade läuft die Umstellungsphase. Ob ihn das retten wird, weiß er noch nicht. „Momentan suche ich nach Wegen, meine Milch zu vermarkten. Ich kann nur so viel sagen: Einfach wird das nicht.“

Steigende Kosten, immer strengere Auflagen, keine Planungssicherheit, dazu setzt die Konkurrenz am Weltmarkt die hiesigen Bauern unter Druck. „Wir sind Rohstofflieferant, das ist das Problem. Unser Produkt ist austauschbar“, bedauert Ralf Hickmann, der in Plaidt und Lonnig Mastbetriebe mit jeweils 1000 Schweinen führt. „Schweinefleisch schmeckt überall gleich, völlig egal, woher das Schwein stammt“, sagt der 53-Jährige. Herkunft spiele da keine Rolle. Ist das so?

Bei den Kunden liegen Produkte aus der Region im Trend. Besteht die Wahl zwischen Bio und Regional, bevorzugt laut Befragungen die Mehrheit Waren von hiesigen Erzeugern. Die Pandemie scheint diesen Trend noch verstärkt zu haben: Bedeutung und Ansehen regionaler Erzeuger scheinen gewachsen, seit mit dem Lockdown globale Lieferketten ins Stocken kamen. Lässt sich daraus kein Kapital schlagen? „Die Käufer akzeptieren den Aufpreis für ein regionales Label, die Margen für den Handel waren noch nie so groß. Aber leider kommt davon beim Produzenten nichts an“, sagt Fuchs. 1 Cent pro Kilo extra kriegt er, wenn er sein Fleisch an die Regionalmarke Eifel verkauft – rund 1 Euro pro Schwein. Der 38-Jährige betreibt viel Aufwand, um Metzger in der Umgebung direkt zu beliefern. Damit die Kunden Fleisch von hier kaufen können, die Tiere kurze Wege zum Schlachter haben. Lohnen tut sich das für die Tiere – für ihn nicht. Der zeitliche Mehraufwand ist der Aufpreis, den Fuchs für mehr Tierwohl und Kundenbindung aus Überzeugung bezahlt. „Der Großschlachter würde mir dasselbe bezahlen, und ich würde eine Menge Zeit und Fahrerei sparen“, sagt er und lacht.

„So, wie es jetzt ist, kann man das nicht mehr lange machen, jeder Tag kostet wahnsinnig viel Geld“, klagt Anna Schwab-Pilcher, Ferkelerzeugerin mit angeschlossenem Mastbetrieb in Polch. Die 29-jährige Landwirtin will sich irgendwie ins neue Jahr retten – in der Hoffnung, dass die Preise anziehen. Neu ist die Untergangsstimmung nicht, kleine und mittelständische Betriebe sterben seit Jahren. „Wir sind mitten in einem Strukturwandel, aber mit der Geschwindigkeit, mit der er abläuft, hat keiner gerechnet“, sagt Schubert besorgt. Dass es die Schweinepest schon über die polnische Grenze nach Brandenburg und Sachsen geschafft hat, ist da noch eine der ferneren Sorgen. Auch hier heißt es: warten auf einen Impfstoff.

Von unserer Chefreporterin Nicole Mieding

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