Rheinland-Pfalz
Lage versus Prädikat: So erkennen Verbraucher künftig guten Wein
Weinlese unter Extrembedingungen
Oberhalb der Moselschleife stehen Weinstöcke am Bremmer Calmont: Seit der jüngsten Weinrechtsreform von 2021 liegt der Fokus in Deutschland verstärkt auf der Herkunft der Weine. Mit Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut wirft unsere Zeitung einen Blick auf das neue Qualitätssystem.
Boris Roessler/dpa

Wenn es darum geht, die Qualität eines Weines zu erkennen, sehen sich Konsumenten vielen Fachbegriffen ausgesetzt. Die Rede ist etwa von Landwein, Erstem Gewächs oder Prädikatswein. Doch was ist das bessere Produkt? Seit einer Weinrechtsreform 2021 wird das nicht leichter zu durchschauen. Mit dem Deutschen Weininstitut haben wir uns auf Spurensuche begeben.

Weinlese unter Extrembedingungen
Oberhalb der Moselschleife stehen Weinstöcke am Bremmer Calmont: Seit der jüngsten Weinrechtsreform von 2021 liegt der Fokus in Deutschland verstärkt auf der Herkunft der Weine. Mit Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut wirft unsere Zeitung einen Blick auf das neue Qualitätssystem.
Boris Roessler/dpa

Im deutschen Weinrecht gibt es viele Begriffe, um die Qualität eines Weins zu beschreiben: Landwein zum Beispiel, Prädikatswein oder Großes Gewächs. Doch welcher Begriff schlägt den anderen, wenn es um die Wertigkeit des Produkts geht? Für den Verbraucher ist das nicht unbedingt leicht zu durchschauen – vor allem, seit durch die jüngste Weinrechtsreform von 2021 in Deutschland der Fokus verstärkt auf der Herkunft der Weine liegt. Unsere Zeitung hat sich mit Ernst Büscher, Pressesprecher des Deutschen Weininstituts (DWI) in Bodenheim, in die Tiefen des Weinrechts gewagt, um unseren Lesern reinen Wein einzuschenken.

1Worin liegt der Ursprung für rechtliche Veränderungen? Ein Blick zurück in das Jahr 2008: Damals wurde in der EU die Verordnung „über die gemeinsame Marktorganisation für Wein“ neu gefasst. Die Unterscheidung in Tafel- und Qualitätsweine wurde dadurch abgelöst von einer Unterscheidung in Weine mit und ohne geschützte Herkunftsangabe. So erklärt es die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) in einer aktuellen Weinrechtsbroschüre.

In Deutschland wurde diese Neuerung demnach durch eine Anpassung des Weingesetzes im Jahr 2011 umgesetzt: Die 13 deutschen Anbaugebiete wurden zu geschützten Ursprungsbezeichnungen (g.U.) erklärt, die 26 Landweingebiete zu geschützten geografischen Angaben (g.g.A.). Ein erster Schritt hin zu einem neuen System, in dem eine Herkunftsangabe für bestimmte Qualitätskriterien bürgen soll. Es wird auch als das romanische System bezeichnet, da es in romanischen Ländern wie Frankreich und Italien schon länger gängig ist, die Qualität des Weins von seiner Herkunft abhängig zu machen.

2Auf welches Qualitätssystem wurde bislang gesetzt? Zuvor wurde in Deutschland ausschließlich auf das germanische System gesetzt, in dem die Qualität des Weins vom Mostgewicht der Trauben abhängig ist, erklärt Ernst Büscher vom DWI. An der Spitze des germanischen Qualitätssystems stehen die Prädikatsweine. Dabei handelt es sich um geprüfte Qualitätsweine, denen vor der Gärung kein zusätzlicher Zucker mehr zugefügt wird.

Je reifer die Trauben und je höher das Mostgewicht, desto höher das Prädikat: zuerst kommen die Kabinett-Weine, dann folgen die Spätlese, die Auslese, die Beerenauslese aus überreifen Beeren, der Eiswein aus gefrorenen Trauben sowie die Trockenbeerenauslese. Letztere thront ganz oben auf der Qualitätspyramide und wird „aus rosinenartig eingeschrumpften, edelfaulen Beeren“ hergestellt, wie das Deutsche Weininstitut erklärt.

3 Welche Nachteile hat das germanische System? Das System hat seine Schwächen, wie Ernst Büscher sagt. Denn der Ursprungsgedanke dahinter war: je höher das Prädikat, desto süßer der Wein. „Aber als in den 80er- und 90er-Jahren trockene Weine immer beliebter wurden, hatten wir in Deutschland gar keinen Begriff für einen trockenen Spitzenwein“, erklärt Büscher. Es etablierten sich daher auch trockene Spätlesen und Auslesen. Die Folge waren Begrifflichkeiten, die nicht mehr jeder durchblickte. Büscher erinnert sich an die Anfrage eines international tätigen Journalisten. „Er fragte mich: ,Was ist der Unterschied zwischen Auslese trocken und Trockenbeerenauslese?'“, erzählt der Pressesprecher noch heute sichtlich amüsiert.

Dazu kommt der Klimawandel. Denn die für die Prädikate festgelegten Mostgewichte stammen aus einer Zeit, „in der man froh war, wenn die Trauben reif wurden“, sagt Büscher. Waren die Trauben in den 60er-, 70er- oder 80er-Jahren besonders reif und es konnte eine Spät- oder Auslese produziert werden, war das etwas Besonderes. Denn die Trauben erreichten damals nicht jedes Jahr die volle Reife, so der DWI-Sprecher. Durch den Klimawandel brauchen die Winzer sich heute eher keine Sorgen mehr um die Reife zu machen. Vielmehr geht es jetzt darum, dass die Mostgewichte und später der Alkoholgehalt nicht zu hoch sind. „Deshalb ist es schwieriger geworden, mit dem Prädikatsweinsystem die Qualität zu definieren“, erläutert Büscher.

4Wie soll das neue Qualitätssystem aussehen? Das Prädikatsweinsystem bleibt zwar bestehen. Doch zusätzlich soll der Blick künftig stärker auf die Herkunft der Weine fallen. „Es ist ein Paradigmenwechsel von der Qualität im Glas zur gewachsenen Qualität im Weinberg“, erläutert Büscher. Mit der Änderung der Weinverordnung im Mai 2021 gilt die Maxime: „Je kleiner die geografische Angabe, desto höher das Qualitätsversprechen“, erklärt die BLE in ihrer Broschüre.

grafik-qualitatsweine
Die neue Qualitätspyramide für g.U.-Weine
RZ-Grafik

Bereits seit 2011 gilt die Qualitätspyramide mit den Deutschen Weinen ohne genauere Herkunftsangabe als Fundament, gefolgt von den Landweinen (geschützte geografische Angabe) und den Weinen eines Anbaugebiets (geschützte Ursprungsbezeichnung), die stets geprüfte Qualitätsweine sind.

Seit 2021 gliedern sich die Weine mit geschützter Ursprungsbezeichnung nun in vier weitere Qualitätsstufen: Anbaugebiet, Region, Ort und Lage. Auf der untersten Stufe stehen laut DWI Weine eines bestimmten Anbaugebiets, „das darf eine Cuvée aus Weinen des ganzen Anbaugebiets sein“, erklärt Büscher. Bei Prädikatsweinen muss hier die Prädikatsstufe mit angegeben werden. Auf der zweiten Stufe stehen die Regionalweine, deren Trauben laut DWI aus einem Weinbaubereich oder einer früheren Großlage stammen, die sich über mehrere Gemeinden hinweg erstreckt; den einstigen Bereichen und Großlagen wird neuerdings der Begriff „Region“ vorangestellt. Prädikate dürfen angegeben werden.

Bei Ortsweinen wird der Ortsteil oder die Gemeinde genannt, aus der die Trauben kommen. Laut DWI muss der Traubenmost für diese Weine „mindestens Kabinettqualität aufweisen“. Prädikatsstufen dürfen verwendet werden. An der Pyramidenspitze stehen die Lagenweine, die wiederum in drei Qualitätsstufen untergliedert sind: die Einzellage, das Erste Gewächs sowie ganz oben das Große Gewächs.

5Welche Regeln gelten für Lagenweine? Für Weine aus Einzellagen gilt nach Angaben des DWI, dass sie nur aus einer oder mehreren für die Lage festgelegten Rebsorten hergestellt werden dürfen. Sie müssen mindestens das Mostgewicht für Kabinett-Weine erreichen. „Und sie dürfen nicht vor dem 1. März des Folgejahres vermarktet werden“, erklärt Ernst Büscher. Die Angabe von Prädikaten ist weiter erlaubt. Es muss immer auch die zugehörige Gemeinde oder der Ortsteil mit angegeben werden.

Ein Erstes Gewächs darf nur aus einer einzigen Rebsorte hergestellt werden. „Der Gesetzgeber schreibt zudem vor, dass maximal 60 Hektoliter Ertrag pro Hektar in flachen Lagen beziehungsweise 70 Hektoliter in Steillagen nicht überschritten werden dürfen“, erläutert Büscher. Der Most muss einen Mindestalkoholgehalt von 11 Volumenprozent haben. Eine Ausnahme gilt hier etwa für Weine von der Mosel. Dort müssen aufgrund des kühleren Klimas nur 10,5 Volumenprozent erreicht werden. Wie bei der Einzellage darf der Wein erst ab dem 1. März des Folgejahres verkauft werden. Hinzu kommt: „Der Wein muss trocken ausgebaut sein.“ Eine Prädikatsangabe ist nicht möglich.

Große Gewächse stehen für höchste Qualität. Auch sie dürfen nur aus einer Rebsorte hergestellt werden. Der Ertrag darf in flachen Lagen 50 Hektoliter pro Hektar nicht übersteigen; bei Steillagen dürfen es 10 Hektoliter mehr sein. Geerntet wird per Hand. Der Mindestalkoholgehalt des Mosts muss – wie beim Ersten Gewächs – bei 11 Volumenprozent liegen. Die zuvor genannte Ausnahme für die Mosel gilt auch hier. „Der Wein muss trocken ausgebaut sein und wird von einer separaten Prüfungskommission sensorisch bewertet“, erläutert Büscher.

Weißwein darf nicht vor dem 1. September des Nacherntejahrs vermarktet werden, Rotwein nicht vor dem 1. Juni des übernächsten Jahres. Auch hier darf keine Prädikatsstufe angegeben werden. Auf eine Geschmacksangabe muss beim Ersten und Großen Gewächs verzichtet werden, da sie ohnehin trocken ausgebaut werden.

6Ab wann greifen die neuen Vorgaben? Die Regelungen zur neuen Herkunftspyramide sind ab dem Erntejahr 2026 verpflichtend umzusetzen. Verbände, die die beiden Begriffe Erstes und Großes Gewächs bereits genutzt haben, dürfen das weiterhin, wenn sie ab dem Erntejahrgang 2024 die oben genannten Mindestanforderungen der Weinverordnung erfüllen.

7Dürfen Erzeuger eigene Qualitätskriterien festlegen? Neben gesetzlichen Mindestanforderungen für die einzelnen Qualitätsstufen können die Erzeuger in sogenannten Schutzgemeinschaften weitere Vorgaben machen. Diese Gemeinschaften müssen durch die Landesregierung anerkannt sein. „Die Mitglieder müssen über zwei Drittel der Weinbergsflächen eines Anbaugebiets verfügen“, erklärt Büscher, „und zwei Drittel der Weinerzeugung muss auf diese Mitglieder entfallen.“

Festgehalten werden die zusätzlichen Vorgaben in Produktspezifikationen für die einzelnen geschützten geografischen Angaben (g.g.A.) und geschützten Ursprungsbezeichnungen (g.U.). Wie die BLE in ihrer Broschüre erklärt, sind die Produktspezifikationen neben EU- und nationalen Vorgaben „die dritte Ebene des Rechtssystems, an das sich die Erzeugerinnen und Erzeuger zu halten haben, wenn die geografische Angabe auf dem Etikett angegeben werden soll“.

8Gibt es einen Trick, um sich im Bezeichnungsdickicht besser orientieren zu können? Die Qualität eines Weins zu erkennen, dürfte für die Verbraucher durch zwei parallel existierende Systeme – die Prädikate und die Herkunftsbezeichnungen – nicht einfacher werden. Doch Ernst Büscher kann eine Richtlinie an die Hand geben: „Die Bestrebungen gehen dahin, dass die Prädikate – wie früher – nur noch für süße Weine verwendet werden.“ Wohingegen das neue vierstufige System ab den Orts- und Lagenweinen „in erster Linie für trockene Weine genutzt wird“. Die Erste und Große Lage müssen ohnehin qua Gesetz trocken ausgebaut werden.

Was bedeutet „Qualitätswein“?

Alle Qualitäts- und Prädikatsweine werden in Deutschland seit 1971 einer amtlichen Qualitätsprüfung unterzogen. Dazu gehören eine analytische sowie eine sensorische Prüfung. „Nur wenn ein Wein alle gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte einhält und geschmacklich den Charakter der Sorte und seiner Herkunft widerspiegelt, erhält er eine amtliche Prüfungsnummer“, schreibt das Deutsche Weininstitut auf seiner Internetseite. Die Prüfnummer ist auf dem Etikett der Flasche anzugeben. red

Schlechter Wein aus guter Lage?

„Theoretisch muss aus einer guten Lage nicht unbedingt ein Spitzenwein entstehen“, räumt Ernst Büscher vom DWI ein. Doch kleinere Weinbergsparzellen bringen Vorteile mit sich: Werden Trauben aus einzelnen Lagen geerntet, ist der Charakter des Standorts und des Bodens im Wein klarer erkennbar. Zudem steckt in diesen Weinen oft deutlich mehr Handarbeit. Die Erträge sind laut Büscher in der Regel geringer und so ist die Konzentration der Inhaltsstoffe in den Beeren bei Lagenweinen höher. „Dadurch schmeckt man durchaus einen Unterschied zu Basisweinen, bei denen Weine verschiedener Weinberge mit höheren Erträgen zusammengeführt werden.“ csa

Ein Beispiel für die neue Qualitätspyramide
(für g.U.-Weine)

Das Deutsche Weininstitut hat die neue herkunftsbezogene Qualitätspyramide für Weine mit geschützter Ursprungsbezeichnung an einem Beispiel aus der Mosel veranschaulicht:

1. (unterste) Stufe: Mosel, Riesling, trocken

2. Stufe: Mosel, Region Grafschaft, Riesling, trocken

3. Stufe: Mosel, Bremm, Riesling, trocken

4. Stufe: Mosel, Bremmer Calmont, Riesling, trocken

Stufe 4a: Mosel, 2026, Erstes Gewächs, Riesling, Bremmer Calmont

Stufe 4b: Mosel, 2026, Großes Gewächs, Riesling, Bremmer Calmont red

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