Ungelöstes Sexualverbrechen an der Festung Ehrenbreitstein: War die US-Touristin Amy Lopez 1994 zur falschen Zeit am falschen Ort?
Koblenzer Festungsmord 1994: War Amy Lopez zur falschen Zeit am falschen Ort?
Amy Lopez wurde brutal ermordet.
Mordkommission Koblenz

Auf der Festung Ehrenbreitstein spielt sich am 26. September 1994 ein brutales Verbrechen ab, das Koblenz schockiert: Im General-Aster-Zimmer wird die US-Touristin Amy Lopez vergewaltigt und ermordet – Wir begleiten die Kommissarin, die 28 Jahre später noch immer nach dem Mörder sucht.

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Amy Lopez wurde brutal ermordet.
Mordkommission Koblenz

Der enge Tunnel, der vom Felsenweg zum General-Aster-Zimmer führt, verschluckt selbst die trübe Wintersonne. Auf jeder Stufe nach unten hallen die Schritte von Kriminalhauptkommissarin Simone Roeder von den weiß gekalkten Wänden wider. Lampen tauchen den Durchgang in fahles Licht.

Kaum ein Tourist steigt auf den matschigen Pfad am Fuß der Ehrenbreitstein hinab, deren Fundamente wuchtig in den grauen Himmel ragen. Ein modriger Geruch liegt in der Luft. Blätter kleben unter den Schuhen. Eiskalt bläst der Wind durch die Äste der kahlen Bäume. Unter uns rauscht der Verkehr über die B 42. Ansonsten ist es still.

Unheimlich still. Die wenigen Passanten laufen meist achtlos an der Ruine vorbei, die mit Pflanzen überwuchert ist. Denn das Arbeitszimmer des Festungskommandanten aus dem 19. Jahrhundert liegt versteckt an einen Felsen gepresst. Die Treppenstufen, die zu dem spartanischen Raum führen, sind mit glitschigem Moos überzogen.

Ein eisernes Gitter versperrt den Zugang in das historische Gewölbe, dessen Wände mit Graffiti beschmiert sind. Simone Roeder hat den Schlüssel. Quietschend öffnet sich das Eisentor. Die hohen Decken lassen noch gut die alte Pracht erahnen. Heute wird das alte Gemäuer hingegen oft von Obdachlosen als Unterschlupf genutzt. Und von Liebespaaren.

Ob sie wissen, dass sie sich am Tatort eines brutalen Verbrechens befinden? An diesem einsamen Ort trifft eine junge Frau am Morgen des 26. September 1994 auf ihren Mörder. Oder wird sie von ihm in eine Falle gelockt? Eine Zufallstat, vermutet die Polizei. Denn Opfer und Täter kennen sich wohl nicht. „Zumindest gibt es dafür keinen Hinweis“, sagt Roeder. „Sie war zur falschen Zeit am falschen Ort“, sagt Simone Roeder, die für ihre Ermittlungen schon oft an diesem abgelegenen Fleck gewesen ist, zu dem kein Laut vom Felsenweg dringt.

Cold Cases RLP
In unserer Serie beschäftigen wir uns regelmäßig mit ungelösten Mordfällen der Polizei Rheinland-Pfalz. Was sind die Schicksale hinter den grausigen Geschichten? Warum bleiben manche Verbrechen jahrzehntelang ungeklärt? Und was gibt den Ermittlern Hoffnung, die Mörder doch noch zu schnappen? Unser Video zum Fall Beatrix Hemmerle finden Sie hier.

Amy Lopez ist gerade mal 24 Jahre alt, als ihr Leben am Morgen dieses Herbsttages im Staub des General-Aster-Zimmers endet. Die Kriminalhauptkommissarin zeigt auf die Stelle direkt unter einer Fensteröffnung, die den Blick auf den Rhein freigibt.

„Hier wurde sie gefunden“, sagt die Beamtin. Von spielenden Kindern. Keine 100 Meter Luftlinie von der damaligen Polizeiinspektion 3 in Ehrenbreitstein entfernt. Ein Mord am helllichten Tag, der Besuchern immer noch einen kalten Schauer über den Rücken laufen lässt. Der ungeklärte Fall beschäftigt die Polizei seit 28 Jahren. Ein Cold Case.

Hinter diesen düsteren Festungsmauern spielt sich am 26. September 1994 ein brutales Verbrechen ab, das Koblenz schockiert: der Mord an Amy Lopez.
Jens Weber

Simone Roeder ist 15 Jahre alt, als das grausame Verbrechen an der US-Touristin die Stadt an Rhein und Mosel erschüttert. „Ich kann mich noch genau daran erinnern“, sagt die heute 43-Jährige. Jetzt hat die Kripobeamtin den alten Fall wieder aufgerollt.

Wir treffen sie im Polizeipräsidium Koblenz. Dritter Stock. K11. Mordkommission. Die Polizistin sitzt vor einem Regal mit Dutzenden Leitz-Ordnern. Hunderte Zeugen haben die Beamten befragt. Mehr als 300 Spuren haben sie verfolgt. Die meisten Kollegen sind längst in Pension. „Klar habe ich mit ihnen gesprochen“, sagt sie. „Der Tatort ist damals sehr professionell aufgenommen worden.“

Wir hoffen, dass er sich doch noch stellt. Es gibt Straftäter, die regelrecht erleichtert sind, wenn sie geschnappt werden.

Kriminalhauptkommissarin Simone Roeder

Die alten Fotos von 1994 hat sie an eine Magnetwand über ihrem Schreibtisch gepinnt. Amy Lopez lächelt den Betrachter neugierig von einem Schwarz-Weiß-Bild entgegen. Eine arglose junge Frau, die ihr Leben eigentlich noch vor sich hat. Viele Zeugen werden sich später an ihre markante Brille erinnern.

Den Tatort haben sie vom Boden und aus der Luft fotografiert. Und den Aufgang zum Felsenweg, an dem die US-Amerikanerin zum letzten Mal lebend gesehen worden ist. „Sie ist von mehreren Autofahrern wiedererkannt worden“, sagt die Kriminalhauptkommissarin. Direkt an der viel befahrenen B 42.

28 Jahre später sucht Kriminalhauptkommissarin Simone Roeder immer noch den Täter. Dazu hofft sie, dass sich endlich ein wichtiger Zeuge bei der Mordkommission Koblenz meldet.
Jens Weber

5000 Mark haben sie 1994 auf dem Fahndungsplakat ausgelobt. Und tatsächlich werden Hunderte Hinweise eingehen. Doch der entscheidende ist nicht dabei. Auch nicht zu dem Phantombild eines Mannes, der kurz vor dem Mord in Begleitung des Opfers gesehen worden ist. 18 bis 22 Jahre alt, 1,80 Meter groß, schlank. „Mit kurzen, wasserstoffblonden Haaren“, sagt Simone Roeder. Der Mann trägt Jeans und ein hellblaues T-Shirt.

Ist er der Hauptverdächtige? „Nicht unbedingt“, sagt die Kripobeamtin. „Für uns ist er vor allem ein wichtiger Zeuge.“ Doch bis heute fehlt von dem Mann, der mittlerweile um die 50 sein muss, jede Spur. Die Mordkommission vermutet, dass er wegen seiner Ortskenntnis aus der Region kommt. Warum schweigt er? „Vielleicht hat er einfach nur Angst, in Verdacht zu geraten“, vermutet Simone Roeder. Oder er verbirgt ein grausames Geheimnis.

Ungewissheit wird zur Qual

Amys Vater, der ihr die Europareise zum College-Abschluss geschenkt hat, wird den Verlust nie verwinden. Die Asche seiner Tochter lässt der gebürtige Argentinier im Fluss Paraná verstreuen. Ihn quält die Ungewissheit. Robert Rimbau will den Mörder finden. Mit allen Mitteln. Er engagiert Detektive, bittet das FBI um Hilfe. Vergeblich.

Wenn er am Todestag nach Koblenz kommt, übernachtet er immer in dem Hotel im Koblenzer Stadtteil Rauental, in dem auch seine Tochter vom 25. auf den 26. September 1994 die letzten Stunden ihres Lebens verbracht hat. Zimmer 111. Die hellbraune Tür mit dem kleinen Messingschild ist noch dieselbe, die Amy Lopez kurz nach 8 Uhr öffnet, um den dunklen Gang zu betreten. Auch der Teppich scheint original zu sein. Und der Fahrstuhl, mit dem sie an diesem verhängnisvollen Morgen runter zur Rezeption fährt.

Unser Chefreporter Dirk Eberz hat sich auf die Spur des Koblenzer Festungsmörders begeben, der 1994 die US-Touristin Amy Lopez vergewaltigt und getötet hat.

RZ

Als die 24-Jährige damals zur Festung aufbricht, kann sie nicht ahnen, dass sie keine zwei Stunden später tot sein wird. „Sie ist mit einem Rucksack am Fenster vorbeigelaufen, als ich mit meinen Mitarbeitern am Frühstückstisch saß“, erinnert sich die Hotelchefin. „Sie wollte in die Stadt.“

Ihre Gastgeberin wundert sich darüber, dass sich die junge Frau am Vortag spontan von ihrer Reisegruppe getrennt hat, mit der sie kreuz und quer durch Europa unterwegs gewesen ist. „Damals gab es ja auch noch keine Handys, mit denen man sich so einfach wieder verabreden konnte“, sagt die Hotelchefin im Rückblick. Irgendwie merkwürdig.

Was danach passiert, hat die Koblenzer Polizei akribisch zusammengetragen, Puzzleteil für Puzzleteil. Nur eines fehlt: das des Mörders. Sicher ist: Um 8.05 Uhr nimmt Amy Lopez einen Bus zum Zentralplatz. Dort steigt sie um in Richtung Ehrenbreitstein. „An dieser Haltestelle ist sie ausgestiegen“, sagt Simone Roeder und zeigt auf ein Schild vor dem Rhein-Museum.

Phantombild des potenziellen Zeugen.
Mordkommission Koblenz

Über der jungen Frau thront jetzt die Festung. Da will Amy Lopez hin. Zur Jugendherberge. Die 24-Jährige hat einen Norwegerpullover auf ihren Rucksack geschnallt. So wird sie in dem Koblenzer Stadtteil von mehreren Zeugen wiedererkannt. „Sie ist an der Bundesstraße 42 entlang in Richtung Vallendar gelaufen“, erklärt die Kriminalhauptkommissarin. 200, 300 Meter sind es bis zum Felsenweg, der steil rauf zur Festung führt. Es herrscht Berufsverkehr. Zeugen werden sich später melden, die eine junge Frau gesehen haben, auf die die Beschreibung der Polizei zutrifft: schwarzes, schulterlanges Haar, 1,67 groß.

An der Abzweigung hoch zur Festung wird Amy Lopez um 8.50 Uhr zum letzten Mal lebend gesehen. Wenig später ist die 24-Jährige tot. Gegen 10.15 Uhr wird ihr lebloser Körper im alten Arbeitszimmer des Generals gefunden. Irgendwann in der Zeit zwischen 9 und 10.15 Uhr muss Amy Lopez ermordet worden sein. Ein brutales Sexualverbrechen.

Wie ist sie gestorben? Details zum Tod der 24-Jährigen will die Polizei nicht preisgeben. „Das ist Täterwissen“, erklärt die Kriminalhauptkommissarin. Nur so viel: „Es fehlen Gegenstände aus dem Besitz des Opfers.“ Wollte der Täter Spuren verwischen? Möglich. „Vielleicht hat er sie auch als eine Art Trophäe mitgenommen“, sagt Simone Roeder. Hat die Polizei sie gefunden? Auch dazu schweigt die Koblenzer Kripobeamtin – aus ermittlungstaktischen Gründen.

Sicher scheint bisher nur, dass niemand Schreie gehört hat, obwohl mehrere Touristen nur wenige Meter vom Tatort auf dem Felsenweg unterwegs gewesen sind. „Da war am 26. September 1994 schon Bewegung“, erklärt Simone Roeder.

Wohin ist der Mörder also geflohen? Weitgehend unbemerkt hätte sich der Täter über den General-Aster-Weg entfernen können, der noch heute meist nur Einheimischen bekannt ist. 1994 ist der Pfad kaum ausgebaut und dicht bewachsen. Ideal, um sich zu verstecken. Irgendwo hier verliert sich die Spur des brutalen Mörders.

Flüchtete der Täter mit einem Fahrrad?

Bleibt also der junge Mann mit den hellblonden Haaren, der seit 28 Jahren vergeblich per Phantombild gesucht wird. Und die Mordkommission hat noch einen Hinweis, der zum Mörder führen könnte. „Zeugen haben zur Tatzeit ein Fahrrad gesehen, dass am Felsenweg gestanden hat“, sagt Simone Roeder. Und zwar genau an der Stelle, an der der Pfad zum General-Aster-Zimmer beginnt.

„Nachher war das Rad dann verschwunden“, sagt die Kriminalhauptkommissarin. Handelt es sich um das Fluchtfahrzeug? Und gibt es einen Zusammenhang mit dem jungen Mann, der auf den Fahndungsplakaten zu sehen ist? Reine Spekulation, betont die Polizistin. Sicher ist: Der Mörder lebt wahrscheinlich auch 28 Jahre nach der Tat immer noch mitten unter uns.

Wie kann ein Mensch so lange mit einer derart schweren Schuld leben? Plagt den Mörder kein schlechtes Gewissen? „Wir hoffen, dass er sich doch noch stellt“, sagt Simone Roeder, die den Fahndungsdruck auch deshalb weiter aufrechterhalten will.

„Es gibt Straftäter, die regelrecht erleichtert sind, wenn sie geschnappt werden“, weiß die erfahrene Ermittlerin. „Vielleicht sagt nach all den Jahren auch ein Zeuge aus, der den Täter bisher gedeckt hat.“

Hoffnung noch nicht aufgeben

Und dann hat die Koblenzer Mordkommission noch einen Trumpf in der Hand. In der Asservatenkammer des Staatsanwaltschaft schlummern Beweisstücke, die nach all den Jahren zum Mörder von Amy Lopez führen könnten. „Wir haben Kleidungsstücke des Opfers an das Landeskriminalamt Hessen geschickt“, erzählt Simone Roeder. Dort werden sie aufwendig auf mögliche Täter-DNA untersucht. Etwa über Hautschuppen.

„Davon erhoffen wir uns eine neue Spur“, sagt die Kriminalhauptkommissarin. Das LKA lieferte schon im Trierer Mordfall Hemmerle einen Volltreffer. Dann könnte der Cold Case Amy Lopez vielleicht doch noch aufgeklärt werden – und ihre Familie nach 28 Jahren endlich Frieden finden.

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