Rheinland-Pfalz
Klimaschutzministerin Eder im RZ-Interview: Wir Grünen haben den Zenit definitiv nicht überschritten
Katrin Eder
Katrin Eder ist seit Mitte Dezember 2021 rheinland-pfälzische Ministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität.
Arne Dedert. picture alliance/dpa/Arne Dedert

Katrin Eder gilt spätestens seit ihrer Zeit als Mainzer Umweltdezernentin als streitbar. Diese Eigenschaft kann die Spitzengrüne in ihrem Amt als rheinland-pfälzische Ministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität gut gebrauchen - kontroverse Themen gibt es in ihrem Haus zuhauf. Wir haben im RZ-Interview einige davon angesprochen, und über die jüngsten Wahlergebnisse der Grünen geredet.

Katrin Eder
Katrin Eder ist seit Mitte Dezember 2021 rheinland-pfälzische Ministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität.
Arne Dedert. picture alliance/dpa/Arne Dedert

Vor wenigen Tagen war der Innenhof des Mainzer Ministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität noch prall gefüllt mit Jägern, Jagdhornklänge schallten durchs Regierungsviertel – die Waidmänner übergaben ihre Forderungen zur geplanten Novellierung des Landesjagdgesetzes effektvoll. Beim Interviewbesuch unserer Zeitung ist es ruhiger. Katrin Eder hat in einem Konferenzraum Kaffee und Gebäck richten lassen, mehrere Vertreter der Fachabteilungen sitzen zunächst mit am Tisch. Zu besprechen gibt es viel – nicht nur das Jagdgesetz sorgt derzeit für Gesprächsstoff, etliche weitere Themen, die in diesem Haus bearbeitet werden, haben Konfliktpotenzial.

Eder weiß das. Wir sprechen also über die Reaktivierung von Bahnstrecken, über den Wolf, die Klimaschutzziele, natürlich auch über die Jagd. Und über die Grünen. Die Landtagswahlen in Bayern und Hessen sitzen der Partei noch deutlich wahrnehmbar in den Knochen. Hat sie ihren Zenit überschritten? „Definitiv nein“, sagt Eder. Das Gespräch im Wortlaut:

Eine beabsichtigte Verkehrswende ist ohne Schienenverkehr nicht möglich. Nehmen Sie uns mal mit in die Werkstatt: Welche Bahnstrecken im Bundesland stehen vor einer Reaktivierung, Frau Eder?

Es gibt viele Projekte, die in der Pipeline sind. Die Trierer Weststrecke und die Strecke Homburg – Zweibrücken befinden sich in der konkreten Umsetzung. Die Eifelstrecke und die Ahrtalbahn sowie die Moselweinbahn, von Bullay nach Traben-Trarbach, sollen elektrifiziert werden. Die Elektrifizierung der Eifelstrecke, von Trier nach Köln, weckt neue Nachfragen. Da geht es um die Frage, ob man die Eifelhauptstrecke nicht zweigleisig ausbauen kann. Dieser Wunsch wird stark von Unternehmen vorgetragen. Darüber hinaus haben wir viele Ideen zu möglichen Reaktivierungen. Da geht es um die Aartalbahn, von Diez nach Wiesbaden, die Brexbachtalbahn, von Engers nach Siershahn, die Hunsrückquerbahn, von Langenlonsheim nach Büchenbeuren, die Eifelquerbahn, von Kaisersesch nach Gerolstein, die Kasbachtalbahn, von Linz nach Kalenborn. Und die Stadt Koblenz treibt das Stück Lützel nach Bassenheim voran.

Wie gehen Sie nun mit den Projekten um?

Wir möchten transparent und nachvollziehbar für alle vorgehen. Es soll nicht derjenige sein Schienenprojekt bekommen, der am lautesten den Bedarf anmeldet. Deshalb werden wir die Ideen nun in eine Matrix und eine Prioritätenliste bringen. Wir müssen den kompletten Nutzen einer Strecke bedenken, auch für den Güterverkehr. Wir möchten das Verfahren so strukturieren, dass die Landespolitik eine gute Entscheidung treffen kann, welche Projekte umgesetzt werden sollen. Die ersten Kosten-Nutzen-Analysen liegen bereits vor, etwa für die Glantalbahn.

Wie wahrscheinlich ist in Ihren Augen der Bau einer Alternativtrasse für den Güterverkehr am Mittelrhein?

Die Zuständigkeit des Güterverkehrs liegt im hiesigen Verkehrsministerium. Fakt ist, dass wir mit dem Hochleistungskorridor im Mittelrheintal eine höhere Leistungsfähigkeit der Strecken bekommen werden.

Klimaschutzministerin Katrin Eder
Katrin Eder ist seit Mitte Dezember 2021 rheinland-pfälzische Ministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität.
Arne Dedert. picture alliance/dpa/Arne Dedert

Den Bürgern im Mittelrheintal wird angst und bange. Wer sagt ihnen endlich, dass es keine Alternativtrasse geben wird?

Es ist auch in unserem Interesse, für Lärmentlastung zu sorgen. Ich habe großes Verständnis für die Belastungen und Sorgen der Bürgerinnen und Bürger. Die vom Bundesverkehrsministerium beauftragte Studie greift auf Zahlen von 2016 zurück. Das Land fordert, dass eine neue Analyse mit prognostizierten Zahlen für den Güterverkehr für das Jahr 2040 erstellt wird. Wir brauchen realistische Zahlen. Man hat versucht, im Mittelrheintal Lärmreduzierung hinzubekommen. Wir warten allerdings noch auf ein umfassendes Lärmprogramm des Bundes. Wenn man die Rheintrasse als Hochleistungskorridor vollkommen saniert, wird das auch Effekte auf den Lärm haben. Aber natürlich wird das Mittelrheintal kein Ort der Stille werden.

Kommen wir zu einem anderen Thema, dem Landesjagdgesetz, das die Gemüter erhitzt. Warum braucht es überhaupt ein novelliertes Jagdgesetz, was trieb und treibt Sie an, da ranzugehen?

Mit dieser Emotionalität und Schärfe der Debatte habe ich tatsächlich nicht gerechnet. Die scharfe Tonalität hat mich wirklich überrascht. Wir haben aus der Evaluierung des alten Jagdgesetzes den Schluss gezogen, ein neues Gesetz zu schreiben, um Dinge zum Beispiel zu strukturieren. Außerdem stand eine Novellierung im Koalitionsvertrag der Ampel. Es war eine gemeinsame Erkenntnis aller drei Ampelparteien, dass wir die Naturverjüngung der Wälder aufgrund des Klimawandels unterstützen, den Naturschutz stärken, den Tierschutz regeln müssen. Für Jäger und Landwirte wollten wir vieles entbürokratisieren.

Nach etlichen Debatten haben Sie vor einigen Tagen angekündigt, nachbessern zu wollen. Sind Sie unter dem Druck seitens der Jägerschaft eingeknickt?

Nein. Wenn ich dem Druck nachgegeben hätte, hätte ich das Gesetz zurückgezogen, in Brandenburg ist der Gesetzentwurf zurückgezogen worden. Was mich überrascht hat, waren und sind Diskussionen über Begrifflichkeiten, zum Beispiel wenn es um den Titel Kreisjagdmeister geht. Bei Fragen wie der künftigen Organisationsstruktur sind wir absolut gesprächsbereit, es geht uns um das Ziel eines klimastabilen Mischwaldes. Wir schauen uns jetzt die Stellungnahmen genau an, diskutieren sie und dann wird es zu einem veränderten Vorschlag kommen.

Wildverbiss ist ein Thema. Ist das Hauptproblem aber nicht die industrielle Anpflanzung von Baumarten, die mit dem Klimawandel bei uns nicht zurechtkommen? Sprich: Wie groß ist das Phänomen Wildverbiss überhaupt?

Monokulturen sind natürlich ein Problem. Aber wir betreiben in Rheinland-Pfalz, wo es über 80 Prozent Mischwälder gibt, eine besondere Form der Waldentwicklung. Wir setzen auf Naturverjüngung, schauen, wie wir dem Wald mit Anpflanzungen helfen können, neu aufzuwachsen.

Klimaschutzministerin Katrin Eder
Katrin Eder ist seit Mitte Dezember 2021 rheinland-pfälzische Ministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität.
Arne Dedert. picture alliance/dpa/Arne Dedert

Wie wollen Sie den Kritikern in den kommenden Wochen konkret das Gefühl nehmen, nicht ausreichend gehört zu werden?

Ich bin bereit, mit allen freundlich zu sprechen. Es ist im Moment Aufgabe der Politik, den Dialog zu suchen – und mit der scharfen Tonalität sachlich umzugehen. Wir werden nach der Anhörungsfrist dem Landesjagdverband das erste Gespräch anbieten. Aber, auch um das mal einzuordnen: Der Landesjagdverband hat nach eigenen Angaben 20.000 Mitglieder, der Naturschutzverband NABU knapp 70.000 Mitglieder.

Ein weiteres Reizthema ist der Wolf. Wolf oder Schaf – welche Tierart braucht in Rheinland-Pfalz mehr Schutz?

Beide benötigen Schutz. Die Beweidung von Flächen ist unerlässlich für den Naturschutz und die Artenvielfalt. Ich habe sehr viel Empathie für die wichtige Arbeit der Weidetierhalter, wir unterstützen sie vielfältig. Geichzeitig ist der Wolf eine geschützte Art, er gehört zum Ökosystem. Wir haben in Rheinland-Pfalz aktuell vier erwachsene Tiere. Damit haben wir eine ganz andere Situation als andere Länder. Schauen Sie nach Niedersachsen, dort gibt es rund 50 Rudel. Aber klar ist: Wir haben Spielregeln. Wenn der Wolf sich nicht an diese Spielregeln hält, kann er entnommen werden.

Schauen wir auf das Thema Klimaschutz. Der Bau eines Windrades dauert immer noch mehrere Jahre, trotz Planungsbeschleunigung. Wie wollen Sie Ihre ambitionierten Klimaschutzziele erreichen – mit diesem Planungsrecht?

Auf Bundesebene sind zuletzt relativ viele Hürden genommen worden. Fakt ist: Die Genehmigungsprozesse in Rheinland-Pfalz scheinen lange zu dauern. Deswegen haben wir entschieden, die Genehmigung von Windrädern auf die Ebene der Struktur- und Genehmigungsbehörden zu holen. Um die Verfahren im ganzen Land zu standardisieren. Dass wir in diesem Jahr bislang einen Zubau von 93 Megawatt Windenergie erreicht haben, kann uns natürlich nicht zufriedenstellen, auch wenn es deutlich mehr ist als 2022. Da muss mehr kommen. Deshalb haben wir die Bremsen etwa bei den Freiflächen-Fotovoltaikanlagen gelockert. Die Anlagen kann man schnell genehmigen und aufbauen.

Dennoch dauert der Bau von Windkraftanlagen immer noch Jahre …

Deshalb wollen wir die von der EU vorgesehenen, sogenannten Go-to-Areas definieren. Dort sind dann keine Umweltverträglichkeits-/Artenschutzprüfungen mehr nötig. Das verkürzt in erheblichem Umfang den Genehmigungsprozess. Dafür brauchen wir aber Artendaten, die es in Rheinland-Pfalz im Moment nicht gibt. Wir erheben sie jetzt mit Hochdruck.

In Rheinland-Pfalz wird derzeit an der Überarbeitung des knapp zehn Jahre alten Klimaschutzgesetzes gearbeitet. Selbst Christdemokraten kritisieren, dass seither zu wenig passiert sei. Wie hoch sind Ihre eigenen Erwartungen an das überarbeitete Gesetz?

Das Klimaschutzgesetz von damals reicht nicht für die heutigen Herausforderungen. Wir haben eine Sektorenstudie erstellen lassen, die vorliegt und die Grundlage darstellt für die Erneuerung des rheinland-pfälzischen Klimaschutzgesetzes. Darin werden wir die maßnahmenbezogene Steuerung zur Treibhausgasneutralität aufnehmen. Es ist das Ziel, im ersten Halbjahr 2024 einen Entwurf vorzulegen.

Schauen wir noch einmal zurück auf die Landtagswahlen in Bayern und Hessen. In beiden Ländern hat Ihre Partei deutliche Verluste hinnehmen müssen. Haben die Grünen Ihren Zenit in der Wählergunst überschritten?

Definitiv nein. Wir wurden schon so oft totgesagt. Wenn es darum geht, sich auf gemeinsame Klimaschutzziele bis 2045 zu verständigen, sind sich schnell alle einig. Wenn es aber dann um die konkrete Umsetzung und die konkreten Maßnahmen geht, wird es sehr schwierig. Das sogenannte Heizungsgesetz ist vor allem kommunikativ ziemlich daneben gegangen. Wir müssen den Leuten besser vermitteln, was Klimaschutzmaßnahmen im konkreten Tun bedeuten. Und wir müssen ihnen die Ängste nehmen. Wir haben die Situation, dass demnächst die CO2-Bepreisung von Verkehr und Gebäuden kommt. Deshalb müssen wir das Klimageld, das im Bundeskoalitionsvertrag steht, endlich umsetzen.

Wie schauen Sie auf die Stimmenzunahme bei der AfD, die in manchen Umfragen bundesweit bei 23 Prozent und damit auf Platz zwei steht?

Das macht mir große Angst. Aus meiner Sicht kann die Antwort auf die Verunsicherung der Bürger nur lauten: Reden, reden und noch mal reden. Man muss als Politiker ganz viel den Dialog suchen. Wir müssen vor allem dort viel erklären, wo die Ängste besonders groß sind. Das ist ein langwieriger, schwieriger Prozess. Aber der Weg muss gegangen werden.

In Hessen gaben nur noch 39 Prozent der Wähler an, dass Sie den Grünen zutrauen, eine gute Klima- und Umweltpolitik zu machen, das sind minus 36 Prozentpunkte im Vergleich zum Jahr 2018. Gleichzeitig verloren die Grünen in der Wählergunst – und innerhalb der Grünen herrscht oft das Gefühl vor, zu wenig „Grün“ in der Bundesampel durchzusetzen. Ist das nicht mehrfach frustrierend?

Ja, das ist eine Zahl, die auch bei mir extrem stark hängen geblieben ist. Es zeigt auch die Zerrissenheit unserer Partei. Unsere eigenen Anhänger sind vom Erreichten ein Stück weit enttäuscht – Stichwort Bau von LNG-Terminals, Stichwort Aufweichen der Sektorenziele – alle anderen sagen häufig, die Klimaschutzmaßnahmen gehen ihnen zu weit. Diesem Konflikt müssen wir uns stellen. Wir müssen noch mehr für unsere Inhalte werben und den Bürgern die Ängste nehmen – auch über die Positivbeispiele, wie Klimaschutz gelingen kann. Die USA mit dem Inflation Reduction Act machen vor, wie das funktionieren kann.

In Rheinland-Pfalz stehen mit Ihnen, Familien- und Integrationsministerin Katharina Binz sowie Fraktionschefin Pia Schellhammer drei Frauen an der Grünen-Spitze. Da ist ein Streit, wer im nächsten Landtagswahlkampf Spitzenkandidatin wird, vorprogrammiert, oder?

Ich kann voller Überzeugung sagen, dass es keinen Streit gibt. Wir kennen uns alle sehr lange. Die rheinland-pfälzischen Grünen arbeiten sehr geräuschlos und harmonisch zusammen. Wir werden, wenn Entscheidungen anstehen, zu einem gemeinsamen Entschluss kommen.

Möchten Sie denn als Spitzengrüne die Partei in den Landtagswahlkampf führen?

Wir werden die Frage besprechen, wenn sie besprochen werden muss.

Das Gespräch führten Lars Hennemann, Tim Kosmetschke und Bastian Hauck

Katrin Eder: Nachfolgerin von Anne Spiegel

Katrin Eder ist seit Mitte Dezember 2021 rheinland-pfälzische Ministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität. Sie folgte vor rund zwei Jahren auf Anne Spiegel, die damals Bundesfamilienministerin wurde. Zuvor war die 46-jährige Eder etwa sieben Monate Staatssekretärin im selben Ministerium. Die Grünen-Politikerin wurde in Mainz geboren. Dort ging sie zur Schule und studierte Politikwissenschaft, Soziologie und Öffentliches Recht. Bevor sie in die Landespolitik wechselte, war Eder zehn Jahre lang Umweltdezernentin der Landeshauptstadt. Die 46-Jährige lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern im Mainzer Stadtteil Mombach.

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