Wahlbeben Junge Sozialdemokraten im Land wollen einen radikalen Neuanfang ihrer Partei
Grundlegender Erneuerungsprozess nötig: SPD-Nachwuchs rebelliert

Rheinland-Pfalz. In der SPD brodelt es angesichts der verheerenden Niederlage bei der Bundestagswahl. Vor allem der SPD-Nachwuchs will nicht mehr schweigen und drängt machtvoll auf einen radikalen Neuanfang. „Wir brauchen dringend einen grundlegenden Erneuerungsprozess“, fordert Juso-Landesvorsitzender Umut Kurt gegenüber unserer Zeitung. „Diese Chance dürfen wir nicht verpassen. Wir stehen am Tiefpunkt. Zurück zur Tagesordnung kann es nicht geben.“ Mit seiner Analyse und seinen Forderungen steht der Chef des rheinland-pfälzischen SPD-Nachwuchses beileibe nicht allein da.

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Juso-Landesvorsitzender Umut Kurt

Erik Donner, Juso-Aktivist und Vorsitzender des vergleichsweise jungen SPD-Ortsvereins Mainz-Neustadt, wird noch deutlicher. „Wir brauchen endlich wieder Leute in den Spitzengremien, die einen ehrenamtlichen Hintergrund haben, die aus der Kommunalpolitik kommen und die Stimmung an der Basis kennen“, ist er überzeugt. „Dazu gehört auch, dass einer unserer Parteivizes ein Oberbürgermeister ist.“ Für Donner stinkt der rote Fisch durchaus vom Kopf her.

Wie Donner äußern sich viele junge SPDler: Das Leitthema soziale Gerechtigkeit war ihnen nicht zugespitzt genug, die Antworten zur Digitalisierung klangen eher pflichtschuldig als überzeugend, die Basis war außen vor bei inhaltlichen Weichenstellungen, und die schnellen Personalentscheidungen auf Bundesebene erscheinen ihnen überhastet. „Jetzt darf kein Stein mehr auf dem anderen bleiben“, fordert Jung-SPDler Donner. Der Mainzer schlägt vor, die Regionalverbände abzuschaffen, um der klassischen Kungelei einen Riegel vorzuschieben.

Der frühere Juso-Landesvorsitzende Erik Schöller beklagt vor allem eine fehlende Diskussionskultur bei den Sozialdemokraten. „Wir brauchen endlich wieder mehr Streit und offenen Diskurs“, verlangt er. „Wir müssen wieder auf der offenen Bühne um Inhalte ringen. Da ist auf den Parteitagen in den vergangenen Jahren gar nichts mehr passiert.“ Schöller hält wenig davon, alle inhaltlichen Konflikte bei Parteikonventen hinter verschlossenen Türen auszutragen. Eine lebendige Partei benötigt für ihn auch eine entsprechende Außenwirkung.

Mehr Junge und mehr Frauen

Jens Mühlenfeld, Sprecher der Trierer Jusos und Mitglied im erweiterten Landesvorstand, wünscht sich mehr programmatische Radikalität. Seiner Ansicht nach muss die SPD ihr linkes Profil schärfen – von einem höheren Mindestlohn bis hin zur Vermögensteuer. Zudem tritt er für eine weiblichere und jüngere SPD ein. Und der Kaiserslauterer Jung-Sozialdemokrat und Digitalexperte Oliver Maschino beklagt eine ziemlich große Glaubwürdigkeitslücke in der SPD.

Alexander Schweitzer, rheinland-pfälzischer SPD-Fraktionschef, tritt ebenfalls für einen grundlegenden Wandel ein. Der 44-jährige Pfälzer gehört selbst noch zur jüngeren Generation und gilt als bestens vernetzt auf Bundesländer- und Bundesebene.

Schweitzer spricht sich im Gespräch mit unserer Zeitung für eine gründliche personelle Erneuerung aus – und zwar auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene. Die nächste Bundestagsfraktion beispielsweise müsse „jünger, weiblicher und bunter“ sein, erklärte er.

Der rheinland-pfälzische Sozialdemokrat hält einen organisatorischen Wandel seiner Partei für überfällig. Dazu gehöre, das Lagerdenken zu überwinden. Die Entscheidung für Andrea Nahles als Bundesfraktionsvorsitzende hält er für richtig, nicht aber die Art und Weise, wie jüngste Personalentscheidungen zustande kamen. „Es nervt mich, dass wir wieder die alten Blockbildungen haben, die Zuordnungen in Parteilinke, Parteirechte, in bestimmte Kreise und Zirkel. Das ist doch längst ohne Kraft. Diese Parteiflügel beflügeln nichts mehr in der Partei“, ist der ehemalige Sozialminister überzeugt. „Ich bin mir sicher, dass wir darauf verzichten müssen, wenn wir die SPD wirklich neu aufstellen wollen“, so Schweitzer.

Dreyer will Kurskorrektur

Auch die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer meint, die SPD müsse ihr Profil schärfen „und den Menschen noch besser vermitteln, was unsere Politik konkret mit ihrem Leben zu tun hat“. Aus ihrer Sicht kann Martin Schulz dafür aber Parteivorsitzender bleiben. „Die Basis unserer Partei vertraut Martin Schulz. Ich bin sicher, dass er den jetzt dringend notwendigen Erneuerungsprozess unserer Partei gut steuern wird“, sagte Dreyer auf Anfrage unserer Zeitung. Schulz hat angekündigt, Parteichef bleiben zu wollen. Beim Bundesparteitag Anfang Dezember stehen die nächsten Vorstandswahlen an.

Die rheinland-pfälzische Regierungschefin hält es für ausgeschlossen, dass die SPD jetzt noch einmal in eine Große Koalition geht. Der Wähler habe diese Konstellation „abgewählt“. „Wir als Sozialdemokraten nehmen die Verantwortung an und gehen in die Opposition, denn es ist für uns nicht vorstellbar, dass die AfD die Agenda der Opposition bestimmt“, sagt Dreyer.

Von unseren Korrespondenten Dietmar Brück und Rena Lehmann

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