Herzogenaurach
Gipfelstürmer und Sahnestücke – eine kleine Geschichte der zweiten Gruppenspiele

Mitunter ist der Mensch ja lernfähig. Auch der zur Sorglosigkeit neigende und sich in Sicherheit wiegende kann irgendwann davon überzeugt werden, Warnungen nicht einfach in den Wind zu schlagen. Die Kassandrarufe ertönen ja nicht ohne Grund, sind zumeist das Resultat schlechter Erfahrungen. Ein Umstand, der uns übergangslos zur deutschen Fußball-Nationalmannschaft führt. Für die steht heute bei der Heim-EM das zweite Gruppenspiel gegen Ungarn an.

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Zweites Gruppenspiel? Da war doch mal was ... Genau, da sind jede Menge schlechte deutsche Turniererfahrungen, weshalb Thomas Müller auch warnend den Zeigefinger hebt und erhöhte Konzentration und das Ende aller Sorglosigkeit anmahnt. Natürlich werden beim Blick in den Rückspiegel Erinnerungen wach an kontinentale Turniere, die nicht nur mit besagten Spielen, sondern auch mit den äußeren Umständen zu tun haben.

Legendär die Quartierswahl bei der EM 2008, die in Österreich und der Schweiz stattfand und vom DFB als Bergtour ausgerufen wurde – abschließender Gipfelsturm inklusive. Der DFB-Tross residierte im mondänen Hotel Giardino am Lago Maggiore. Die Bergtour begann auf 196 Metern Meereshöhe. Ein weiter Weg. Den hatten auch all jene zu bewältigen, die – anders als die jettenden Nationalspieler – von Ascona mit dem Pkw nach Klagenfurt (640 Kilometer) und Wien (840 Kilometer) anreisen mussten.

Haus am See hat Tradition

Oliver Bierhoff, Quartiermeister und Manager der Nationalelf in Personalunion, war's egal. Das Haus am See hat schließlich gute Tradition beim DFB. 1954 wohnten Sepp Herberger und die Mannschaft im Hotel Belvedere am Thuner See – der Geist vom Spiez führte das deutsche Nachkriegsteam sensationell zum WM-Titel.

So gut lief es 2008 nicht. Dem 2:0 zum Auftakt gegen Polen folgte in Klagenfurt am zweiten Gruppenspiel ein 1:2 gegen Kroatien. Die DFB-Elf agierte gegen aggressive Kroaten erstaunlich mittellos und verlor neben dem Spiel auch noch Bastian Schweinsteiger (Rote Karte). Auf dem Gipfel wehte am Turnier-Ende die spanische Flagge, das Finale ging mit 0:1 verloren.

Kurverei in de Alpen nervt

Bei der EM 2016 nutzte das „Cleverle“ Bierhoff seine engen Bande zum Lebensmittelkonzern Danone. Die DFB-Elf residierte in Évian-les-Bains am Genfer See – très chic selbstredend. „Dany Sahne von Danone, davon krieg' ich nie genug“, schmetterte Bierhoff noch 1997 in die Werbekameras. 19 Jahre später lotste das Unternehmen von Welt, ohne das in Evian nichts passiert, die Deutschen ins Hotel Ermitage. Zu den Spielen flog der DFB-Tross vom 90 Kilometer entfernten Annecy. 90 Kilometer in den Alpen können lang werden. Ankünfte in der Nacht weckten den Unmut bei den Spielern. Die Leistungen auf dem Rasen waren so diskutabel wie die Quartierswahl. Beim 0:0 gegen Polen im zweiten Gruppenspiel regierte die Einfallslosigkeit. Im Halbfinale, 0:2 gegen Frankreich, war Endstation.

Nach dem 5:1 gegen die Schotten wäre nun ein neuerlicher Erfolg gegen Ungarn eine feine Sache. Die DFB-Elf bliebe im Flow. Allerdings sind Siege im zweiten Gruppenspiel kein Garant für ein gutes EM-Turnier. Vor drei Jahren gab es gegen Portugal ein 4:2. Der Rest ist bekannt. 2021 war das deutsche Team eine Ansammlung verunsicherter Spieler und nur selten eine Einheit. Das soll ja diesmal anders sein. Was zu beweisen wäre – nicht nur gegen die Ungarn.

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