Gastbeitrag: So wird die Arm-Reich-Schere geschlossen
Gastbeitrag: WHU-Professorin Nadine Kammerlander sieht Bildung als Schlüssel zum Abbau finanzieller Ungleichheit
Gastautorin Nadine Kammerlander ist Professorin an der WHU in Vallendar. Sie beschreibt in ihrem Beitrag, wie die Arm-Reich-Schere durch Bildung geschlossen werden kann.
BERLIN JULIA. WHU

Um die Arm-Reich-Schere zu schließen, brauchen wir bessere Bildung, schreibt Gastautorin Nadine Kammerlander, Professorin an der WHU in Vallendar. Gute Ideen seien vorhanden, aber es mangelt an deren Umsetzung.

In meinem letzten Beitrag schrieb ich über den Wert von Familienunternehmen für die Wirtschaft und darüber, dass ein höheres Besteuern unseres Mittelstandes nicht zu mehr allgemeinem Wohlstand und mehr Gerechtigkeit führen wird – im Gegenteil! Aber was kann stattdessen getan werden, um die Arm-Reich-Schere zu schließen?

Meiner Beobachtung und Erfahrung nach liegt der Schlüssel hier in besserer Bildung für alle. Vor allem in Zeiten des Fachkräftemangels erlaubt Bildung den sozialen und auch finanziellen Aufstieg durch bessere Job- und bessere Ausbildungsmöglichkeiten. Finanzielle Bildung erlaubt es jungen – und nicht mehr ganz so jungen – Menschen, vernünftige Entscheidungen in Bezug auf Geldanlage und Altersvorsorge zu treffen. Unternehmerische Bildung (die im deutschen Schulsystem leider kaum Beachtung findet) würde junge Menschen ermuntern und befähigen, selbst unternehmerisch tätig zu werden – einer der erfolgversprechendsten Wege, um im 21. Jahrhundert ein finanzielles Vermögen aufzubauen.

Bildungserfolg hängt vom Elternhaus ab

Dass es derzeit mit Bildung in Deutschland nicht allzu gut bestellt ist, ist weithin bekannt – und wird von den Pisa-Studien regelmäßig bestätigt. Die Covid19-Schließungen der Schulen haben noch deutlicher als zuvor gezeigt, wie sehr der Bildungserfolg der Kinder und Jugendlichen in Deutschland vom Einsatz der Eltern abhängt. Ihr Einsatz am Nachmittag und Wochenende ist es, der oft darüber bestimmt, ob die Kinder am Ende der Grundschulzeit Rechtschreibung – oder überhaupt die deutsche Sprache – beherrschen und im Gymnasium den Mathematik-Stoff nachholen, der durch Krankheitsausfälle der Lehrkräfte versäumt wurde. Und auch die wichtige finanzielle Bildung – beispielsweise was Steuersysteme oder Kapitalmärkte betrifft – findet weitgehend außerhalb der Bildungseinrichtungen statt. So gehen die Berufs-, Einkommens- und auch Vermögenschancen der Kinder bereits ab dem Schulanfang auseinander.

An guten politischen und gesellschaftlichen Ideen zur Verbesserung der Schullandschaft mangelt es nicht. Schulen, die bei „Schule der Zukunft“ teilnehmen, integrieren neue Formen des Lernens und ernten viel Lob. Geförderte Projekte wie Schulgärten tragen zur nachhaltigen Bildung, Kreativität, Projektmanagement und Selbstständigkeit bei, und Förderprogramme wie beispielsweise „Jugend trainiert Mathematik“ zielen darauf ab, Talente früh zu erkennen und zu fördern.

Es scheitert an der Umsetzung

Doch woran es scheitert, ist die Umsetzung dieser guten Ideen und die Ausrollung der Modellprojekte in die breite Masse. Wer sich beispielsweise an unseren Schulen in Koblenz umsieht, der sieht marode und baufällige Gebäude, die nicht zum Lernen einladen und deren Renovierung sich über Jahre hinzieht. Überstrenge Datenschutzverordnungen verhindern, dass Prozesse auf gleiche Weise sinnvoll digitalisiert werden wie in anderen Ländern. Und die starren, auf Effizienz gerichteten Strukturen verhindern, sich auf die Fortschritte der Kinder statt rein auf ihre „Fehler“ und „Schwächen“ zu konzentrieren.

Vor einigen Jahren erhielt ich ein an sich ganz attraktives Angebot, als Professorin an eine große staatliche Universität in Süddeutschland zu wechseln. Ich lehnte ab. Nicht nur aufgrund der wunderbaren Lebensqualität hier im schönen Koblenz. Sondern auch, weil ich in den bald zehn Jahren hier erleben durfte, welche Privilegien es mit sich bringt, an einer privaten Bildungseinrichtung zu unterrichten. Der Fokus auf Effektivität, welche die einzelnen Studierenden in den Mittelpunkt stellt, erlaubt es mir, wirklich auf deren Fragen und Herausforderungen einzugehen. Auch Studierende aus einkommensschwächeren Familien erhalten mit Stipendien die Möglichkeit, sich entsprechend ihrer Interessen weiterzubilden. In einem Massenbetrieb hingegen wäre es mir nicht möglich, den Studierenden das Coaching oder Mentoring zukommen zu lassen, das sie meiner Meinung nach verdienen.

Konkurrenz zwischen Bildungseinrichtungen

Immer wieder höre ich von der Konkurrenz von staatlichen und privaten Bildungseinrichtungen. Doch diese Diskussion bringt uns nicht weiter. Um jungen Menschen die Startchancen zu geben, die sie brauchen, benötigt es: erstens, ein Hinschauen und Ansprechen. Es ist eben nicht okay, wenn unsere Schulgebäude verfallen – da darf es auch keine Ausreden und kein Schwarzer-Peter-Schieben geben. Jeder und jede muss tun, was in der eigenen Macht steht, um die Situation zu verbessern.

Zweitens, ein Sichtbarmachen von Vorbildern. Wir haben viele tolle Bildungseinrichtungen in Rheinland-Pfalz. Wichtig ist, dass es hier nicht bei Einzelfällen bleibt, sondern alle sich in die richtige Richtung bewegen und Entscheidungen zum „Ausrollen der guten Ideen“ getroffen werden.

Drittens, ein offener Dialog. Bildungseinrichtungen können viel voneinander lernen: rheinland-pfälzische Schulen von denen anderer (Bundes-)Länder, öffentliche von privaten, und vice versa. Statt sich in Silos zu verschanzen, müssen wir das Problem gemeinsam adressieren und angehen – sonst kommen wir zu keiner Lösung.

Nadine Kammerlander ist seit 2015 Professorin an der WHU – Otto Beisheim School of Management in Vallendar. Mehrere Jahre arbeitete sie bei McKinsey & Company und beriet internationale Unternehmen der Automobil- und Halbleiterbranche in Produktentwicklungsprojekten, vor allem in den USA und Mexiko. In Lehre und Forschung beschäftigt sie sich mit den Themen Innovation, Mitarbeiter und Governance in Familienunternehmen.

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