Gastbeitrag der DGB-Bezirkschefin: Statt Leistungen zu kürzen, sollte der Staat seine Einnahmen erhöhen
Gastbeitrag von DGB-Bezirkschefin Susanne Wingertszahn: „Es gibt bei uns keinen aufgeblähten Sozialstaat“
Susanne Wingertszahn, DGB-Bezirkschefin Rheinland-Pfalz
Dennis Weißmantel/DGB

Deutschland liegt mit seinen Ausgaben für den Sozialstaat im Mittelfeld der OECD. Die DGB-Bezirkschefin Susanne Wingertszahn fordert, der Staat solle seine Einnahmen erhöhen, statt bei den Sozialleistungen zu kürzen.

Es kann ja vorkommen, dass man vor lauter Bäumen den Wald nicht sieht. Gefährlich wird es, wenn sich eine Sozialstaatsdebatte entfacht, die derzeit von Liberalen und Konservativen geschürt wird. Bürgergeld, Kindergrundsicherung oder generell die Sozialausgaben – lange standen die sozialen Absicherungen nicht mehr so unter Beschuss wie derzeit.

Unser Land steht vor riesigen Herausforderungen, wir brauchen immense Investitionen. Mit der Schuldenbremse hat man sich selbst Fußfesseln angelegt. Nun bei den Bedürftigsten sparen zu wollen, ist schäbig und gefährlich. Und das Argument eines aufgeblähten Sozialstaates ist schlicht und ergreifend falsch.

Dazu muss man sich mal genauer ansehen, wie sich die Ausgaben für Sozialleistungen entwickelt haben – im Verhältnis, also preisbereinigt. Dass die Ausgaben nominal wachsen, ist bei steigenden Preisen und Löhnen nicht verwunderlich. Hinzu kommt, dass auch die Bevölkerung in den vergangenen Jahren gewachsen ist.

Deutschland im Mittelfeld

Die Hans-Böckler-Stiftung hat die Sozialausgaben gerade einem Datencheck unterzogen – mit eindeutigem Ergebnis: Im Vergleich der 27 Mitgliedstaaten der OECD liegt Deutschland mit einem Zuwachs von 26 Prozent in den vergangenen 20 Jahren auf dem drittletzten Platz. Wir gehören zu den Ländern mit den geringsten Steigerungen. Spitzenreiter wie Neuseeland, Irland oder Polen weisen weit über 100 Prozent auf, auch die USA (83 Prozent) oder Spanien (73 Prozent) liegen deutlich vor uns.

Aber vielleicht waren die Ausgaben in Deutschland ja vor über 20 Jahren schon so dermaßen hoch, dass wir immer noch auf einem irrwitzig hohen Niveau sind, trotz moderaten Wachstums seitdem? Nein! Beim Anteil der Sozialausgaben an der Wirtschaftsleistung liegen wir mit 26,7 Prozent im Mittelfeld.

Der Sozialstaat schützt

Die Daten zeigen: Es gibt bei uns keinen aufgeblähten Sozialstaat. Fakt dagegen ist, dass der Sozialstaat schützt, er soll Menschen jeden Alters ein Leben außerhalb von Armut ermöglichen. Er schützt die Demokratie, weil die Kluft zwischen Arm und Reich – und damit Spannungen – nicht noch größer werden. Er schützt die Beschäftigten. Unter die Sozialleistungen fallen auch Ausgaben für Rente, Ausgaben für Entgeltfortzahlung und auch für Pensionen und Beihilfen. Nicht zuletzt können Beschäftigte, die ihren Job verlieren, auf die Grundsicherung für Arbeitssuchende zählen.

Jobcenter
Das Bürgergeld soll nicht angetastet werden, fordert Gastautorin Susanne Wingertszahn vom DGB. Foto: Jens Kalaene/dpa
Jens Kalaene. picture alliance/dpa

Die Debatten über Bürgergeld und Kindergrundsicherung verunsichern die Menschen. Die alleinerziehende Mutter, der pflegende Sohn oder die Familie, deren Lohn nicht zum Lebensunterhalt reicht: Sie suchen Lösungen, so wie alle Menschen Lösungen für gestiegene Mieten, Lebensmittel- und Energiepreise brauchen.

Das Letzte, was wir brauchen, ist noch mehr Verunsicherung, die gerne von rechten Populisten ausgenutzt wird. Wer die Demokratie schützen will, darf Menschen nicht gegeneinander ausspielen. Unser Sozialstaat muss weiterentwickelt werden, Sozialabbau führt an den eigentlichen Problemen vorbei. Wir müssen darüber sprechen, wie in einem so reichen Land Kinder und Ältere jenseits von Armut leben können.

Kahlschlag am Sozialstaat ist der falsche Weg

Manchmal sieht man vor lauter Bäumen den Wald nicht. Um die Krisen und die Transformation zu finanzieren, ist ein Kahlschlag am Sozialstaat der falsche Weg. Statt zu kürzen, muss der Staat die Einnahmen erhöhen. Durch eine Reform der Schuldenbremse, durch Erbschaftsteuer und Vermögensteuer.

Im Übrigen gilt: Die Sozialkassen werden durch gute, tarifgebundene Löhne gestärkt. Wenn auch Liberale und Konservative den Wald wieder sehen, ist es doch schöner – statt Kahlschlag –, einen Wald mit festen Wurzeln und Blattwerk vor Augen zu haben.

Susanne Wingertszahn ist seit November 2021 Vorsitzende des DGB Rheinland-Pfalz/Saarland. Wingertszahn war davor mehr als zwei Jahrzehnte in verschiedenen Funktionen für den DGB in der Bezirksgeschäftsstelle Mainz tätig.

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