Als Stimme der Wirtschaft hätten wir es als dringend notwendig erachtet, eine deutlich bürokratieärmere und praxistauglichere Lieferkettenrichtlinie im Europaparlament zu verabschieden, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Dem zum Trotz wollen wir unseren Blick heute auf ein anderes Thema lenken: Innovation und Digitalisierung hier bei uns. Denn das nördliche Rheinland-Pfalz ist Heimat vieler Hidden Champions. Oft aus dem verarbeitenden Gewerbe stammend, haben diese meist mittelständischen Unternehmen – von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt – global eine Spitzenposition in ihrer Branche erobert.
Diese Unternehmen betrachten Innovationen als entscheidenden Faktor für ihre Produktivität und Marktführerschaft und investieren daher erheblich in Forschung und Entwicklung. Die Rahmenbedingungen in diesem Bereich sind jedoch größtenteils nicht mehr als befriedigend. Vom Steuersystem über die Energiekosten und die Verfügbarkeit von Fachkräften bis hin zur Komplexität von Genehmigungsverfahren und der hohen Regulierungsdichte belasten viele Faktoren die Unternehmen im Vergleich zu ausländischen Wettbewerbern. Angesichts der volkswirtschaftlichen Bedeutung von Spitzentechnologie und Weltmarktführerschaft muss das alarmieren.
Mangel an IT-Fachkräften
Gleiches gilt für die Digitalisierung und den Einsatz von Zukunftstechnologien wie der Künstlichen Intelligenz. Zwar hat sich die Nutzung von KI und Machine Learning im vergangenen Jahr nahezu verdoppelt, diese können jedoch ohne eine solide Digitalisierung keinen grundlegenden Mehrwert für die Wertschöpfung in Unternehmen schaffen. Doch Betriebe haben zum Teil Mühe, mit der rasanten Entwicklungsgeschwindigkeit Schritt zu halten. Angesichts der Belastungen in jüngster Zeit fehlt es vielen Unternehmen mitunter an Zeit und finanziellen Ressourcen, um Digitalisierungsvorhaben umzusetzen. Der Mangel an IT-Fachkräften kommt erschwerend hinzu, genauso wie der Themenkomplex Cybersicherheit, der vielen Unternehmen Sorge bereitet. Und schließlich gehört zum Bild auch, dass immer noch jeder vierte Betrieb über eine unzureichende Internetversorgung klagt.
Während sich die Unternehmen diesen Herausforderungen stellen und stellen müssen, um zu überleben, gewinnt man allerdings zunehmend den Eindruck, Teile der politisch Verantwortlichen seien in einen Dornröschenschlaf verfallen. Damit Deutschland international den Anschluss nicht verliert, müssen strukturelle Probleme, auf die die Betriebe selbst nur bedingt Einfluss haben, endlich effektiv angegangen werden.
Es braucht eine angemessene Infrastruktur, insbesondere im Hinblick auf den Breitbandausbau und Datenverarbeitungskapazitäten. Denn um KI zu trainieren, fehlt es in Deutschland schlicht an Rechenkapazität, die jedoch abhängig ist von Strompreisen und Genehmigungsprozessen. Zudem bleiben eine praxisorientierte und rechtssichere Datennutzungskultur sowie eine moderne und digitale Verwaltung Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche digitale Transformation der Wirtschaft.
Und auch die Förderung von angewandter Forschung und der Ausbau des Wissenstransfers sind von zentraler Bedeutung. Ein Faktor, der grundsätzlich als echte Chance für den Wirtschaftsstandort Rheinland-Pfalz gelten kann, dessen Stärke doch die Verbundenheit zur Wissenschaft ist. Denn unser Bundesland ist mit einem dichten Netz an Hochschulen und Forschungseinrichtungen gut aufgestellt: An fünf Universitäten und 16 Hochschulen verfügt Rheinland-Pfalz über ein vielfältiges wissenschaftliches Spektrum, auch und gerade im naturwissenschaftlich-technischen Bereich. Und auf einer Vielzahl an regionalen Konferenzen und Workshops können progressive Forschung und die Bedarfe der unternehmerischen Praxis auch zueinanderfinden. Denn fast 80 Prozent der Unternehmen in Rheinland-Pfalz planen eine Ausweitung ihrer Innovationsaktivitäten beziehungsweise wollen diese auf bestehendem Niveau fortführen.
Aber auch hier verschläft es die Bundespolitik seit Jahrzehnten, für die Wirtschaft wichtige Weichen zu stellen. Ganz im Gegensatz zu anderen Ländern: Auch in Österreich wird Deutsch gesprochen – und stark um uns Wirtschaftstreibende geworben, beispielsweise mit abzugsfähigen Zulagen für Forschung und Entwicklung, von denen wir in Deutschland nur träumen können: 14 Prozent der gesamten Aufwendungen für Forschung und Entwicklung werden in unserem Nachbarland gefördert. Dadurch entsteht ein echter Nährboden für praxisnahe Anwendungsforschung und Produktentwicklungen. Das zeigt, dass es geht.
Darum braucht es auch hierzulande wieder verlässliche wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen als Grundlage für gemeinsame Anstrengungen aus Wissenschaft und Wirtschaft. Wir als Unternehmen würden uns in diesem Zusammenhang eine entsprechende „Willkommenskultur für die Wirtschaft“ in Deutschland wünschen. Denn anderswo wird sie erfolgreich gelebt.
Susanne Szczesny-Oßing ist CEO der EWM GmbH. Das Unternehmen mit Sitz in Mündersbach/Westerwald ist für Lichtbogen-Schweißtechnik Deutschlands größter Hersteller und international einer der wichtigsten Anbieter. Szczesny-Oßing greift zurück auf ein vielfältiges Netzwerk in Industrie und Wirtschaft. So ist sie Vertreterin der Wirtschaft im Rat der Technologie des Landes.