Studierende und Hochschulabsolventen stellen ein für die Handwerkswirtschaft insgesamt noch unzureichend erschlossenes Potenzial dar. Denn die Zahl der erfolgreichen Studienabschlüsse an Hochschulen ist von mehr als 214.000 im Jahr 2000 auf mehr als 476.000 im Jahr 2020 gestiegen. Immer neue Rekorde bei den Studierenden- und Absolventenzahlen werfen die Frage auf, ob das Handwerk mit seinen leistungsstarken Unternehmen nicht auch davon profitieren kann. Dabei sollte man sich zuerst auf die Frage konzentrieren, welche Persönlichkeit den Unternehmer im Handwerk ausmacht – und gibt es Unterschiede zu Gründern und Übernehmern in anderen Wirtschaftszweigen? Und ja, bei näherer Untersuchung wird deutlich, dass einige Persönlichkeitsmerkmale für die Unternehmertätigkeit im Handwerk eine bedeutendere Rolle spielen als in anderen Wirtschaftszweigen.
Unterschiedliche Erwartungshaltungen der Zielgruppe Studierende
Eigenschaften wie Gewissenhaftigkeit und der Glaube an das eigene Tun sind typisch für den Unternehmer im Handwerk. Letztlich erwartbare Ergebnisse, denn die Überlebensrate von Betrieben im Handwerk ist höher als im Nichthandwerksbereich. Umgekehrt sind allerdings Faktoren wie die Bereitschaft zum Tragen von Risiken geringer. Das hat negative Auswirkungen auf die Neigung von Handwerksunternehmen, Neues auszuprobieren.
Verbunden mit unterschiedlichen Persönlichkeitsmerkmalen sind unterschiedliche Erwartungshaltungen der Zielgruppe Studierende und Studienabsolventen an das Handwerk. Junge Menschen mit akademischem Hintergrund sind zumeist leichter für digitale Organisation, New-Work-Konzepte, Wachstum und Innovation zu begeistern als Menschen mit Berufsausbildung. Im Austausch mit Studierenden zeigt sich aber auch, dass vieles, was im Handwerk zur kollektiven Identität gehört, für diese unattraktiv oder nicht besonders wichtig ist. Tradition und die Bedeutung von Bewährtem stehen im Vergleich zur Individualität und dem Wunsch nach reibungslosem, unkompliziertem Service klar im Hintergrund.
Erschließen neuer Mitarbeiterpotenziale ist unerlässlich
Für die Verwirklichung von Zukunftsthemen im Handwerk kann die Zielgruppe aber viele neue Impulse bringen. So steht der aus der virtuellen Welt erwachsene Trend digitalisierter Serviceorientierung mit unmittelbarer Rückmeldung in Verbindung mit neuem Denken der Leistungserbringung. Die Stärken beider Bildungswelten sind für die Unternehmen im Handwerk zukünftig von großer Bedeutung. Das Erschließen neuer Mitarbeiterpotenziale ist für das Handwerk im Hinblick auf die Zukunftsfähigkeit unerlässlich. Wenn es gelingt, interessante Begegnungsstätten und Räume des gegenseitigen Austausches zu schaffen, wird die Begeisterung für das Handwerk auch auf Menschen mit akademischer Ausbildung überspringen.
Ralf Hellrich ist als HwK-Hauptgeschäftsführer Interessenvertreter für fast 21.000 Handwerksbetriebe.