Rheinland-Pfalz
Freie Wähler auf Höhenflug: Landeschef Wefelscheid sieht Partei gefestigt – und will den Fraktionsvorsitz
Sommerinterview Freie Wähler Rheinland-Pfalz
Joachim Streit (rechts), Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler im Landtag von Rheinland-Pfalz, lacht während eines Sommerinterviews auf dem "Grünen Sofa" der Deutschen Presse-Agentur in Mainz zusammen mit Stephan Wefelscheid, Parlamentarischer Geschäftsführer der Freien Wähler im Landtag von Rheinland-Pfalz.
Sebastian Gollnow. picture alliance/dpa/Sebastian G

Ein Landesergebnis über 5 Prozent und einen Abgeordneten in Brüssel: Die Freien Wähler sind mehr als zufrieden mit dem Verlauf der Europawahl. Auch bei kommunalen Wahlen gab es am Sonntag Grund zur Freude. Landeschef Stephan Wefelscheid tritt entsprechend selbstbewusst auf. Er will - wie berichtet - Joachim Streit an der Spitze der Landtagsfraktion nachfolgen. Auch einen Zeitplan gibt es bereits.

Stephan Wefelscheid hat nicht viel geschlafen, bis tief in die Nacht hat er die Auszählung der Koblenzer Stadtratswahl verfolgt – dennoch ist der Landeschef der Freien Wähler (FW) in Rheinland-Pfalz quickfidel und bestens gelaunt, als unsere Zeitung ihn am Montag nach seinem Fazit des Superwahltags fragt: „Ich bin sehr zufrieden, das Schiff Freie Wähler nimmt Fahrt auf. Wir sind in Rheinland-Pfalz wie in Bayern eine starke Landespartei – das bekommt man jetzt auch so leicht nicht mehr weg“, meint der Koblenzer. Bei 5,2 Prozent landen die FW bei der Europawahl im Landesergebnis, das sind Zugewinne von 2,3 Prozentpunkten. Stattlich. Und mit Joachim Streit zieht ein Rheinland-Pfälzer ins EU-Parlament ein.

Joachim Streit
Joachim Streit (Freie Wähler) spricht im Landtag von Rheinland-Pfalz.
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Wefelscheid freut sich vor allem, dass seine Partei bei einer Wahl, die keine Landtagswahl war, über 5 Prozent gekommen ist – bei der jüngsten Bundestagswahl 2021 lag das Zweitstimmenergebnis noch bei 3,6 Prozent. Für den Landesvorsitzenden zeige dies, dass die Partei „im Plan“ ist, dass der Parteiaufbau der vergangenen Jahre Früchte trage, dass das Gesamtgebilde stabiler werde. „Dass das so ist, sieht man auch an den Mitgliederzahlen – wir haben einen Zuwachs von 1000 Mitgliedern in drei Jahren.“

In der Eifel können die Freien Wähler besonders punkten

Natürlich gibt es regionale Unterschiede – die Freien Wähler haben in Rheinland-Pfalz klare Schwerpunktgebiete, Regionen, in denen sie bei der Europawahl teilweise weit über dem Landesergebnis punkten konnten. Die Verbandsgemeinde (VG) Bitburger Land liegt da an der Spitze mit 26 Prozent, auch in Bitburg selbst (24,8 Prozent), in der VG Prüm (22 Prozent) und weiteren Kommunen haben die FW satte Ergebnisse eingefahren. Zwar gibt es auch beispielsweise im Kreis MYK und im Rhein-Lahn-Kreis Hochburgen – die Eifel hat sich aber als Stammland etabliert.

Das hat natürlich mit dem Eifeler Joachim Streit zu tun. Der bisherige Fraktionsvorsitzende im Landtag ist die Person mit der größten Strahlkraft, da würde wohl auch der notorisch selbstbewusste Wefelscheid kaum widersprechen. Aber: Nach dem Erfolg am Sonntag ist Streit auf dem Abflug, wird nun einer von drei FW-Parlamentariern in Brüssel. Ein Problem mit der noch ein wenig größeren Bühne dürfte Streit nicht bekommen. „Er ist eine gute Repräsentationsfigur und ein guter Redner“, zitierte der „Trierische Volksfreund“ in einem großen Porträt einen landespolitischen Beobachter. Das Inhaltliche und Fachliche überlasse Streit aber eher anderen. Wefelscheid zum Beispiel.

Wefelscheid will den Fraktionsvorsitz

Der Koblenzer macht überhaupt kein Geheimnis daraus, dass er Streits Nachfolger als Fraktionsvorsitzender im Mainzer Landtag werden will: „Ich bin seit mehr als zehn Jahren Landesvorsitzender, habe in dieser Rolle die Partei zu dem gemacht, was sie heute ist. Natürlich habe ich den Anspruch, auch Fraktionsvorsitzender zu werden“, bestätigt er am Montag nach der Wahl das, was unsere Zeitung schon in der vergangenen Woche berichtet hatte.

Pressekonferenz der Partei Freie Wähler
Joachim Streit (Rheinland-Pfalz), Kandidat der Partei Freie Wähler zur Europawahl, aufgenommen im Haus der Bundespressekonferenz.
Soeren Stache. picture alliance/dpa/Soeren Stac

Bis es so weit ist, könnten aber noch ein paar Wochen vergehen. Wefelscheid geht davon aus, dass Streit sein europäisches Mandat erst antritt, wenn sich das EU-Parlament konstituiert, was voraussichtlich am 16. Juli passiert. In dem Moment könnte Streit wohl sein Landtagsmandat niederlegen, und Bernhard Alscher rückte nach, derzeit noch VG-Bürgermeister in Birkenfeld. „Über den neuen Fraktionsvorstand sollte erst dann abgestimmt werden, wenn die Fraktion wieder vollständig ist, das gehört sich so“, meint Wefelscheid.

Sein Selbstbewusstsein bezieht der Landeschef dabei auch aus Erfolgen im Kommunalen – zuletzt konnten die FW im Norden des Landes mehrere Rathäuser erobern, unter anderem in Lahnstein, in der VG Rhein-Mosel und in Andernach. Kommt jetzt noch das Kreishaus Mayen-Koblenz hinzu?

Am Sonntagabend zog FW-Kandidat Christian Altmaier in einem wahren Wahlkrimi denkbar knapp in die Stichwahl gegen den SPD-Bewerber Marko Boos ein. Dass Altmaier dies gelingt, überraschte Wefelscheid nicht, wie er sagt, wohl aber die Konstellation. Dass der CDU-Bewerber, der gegenwärtige Kreisbeigeordnete Pascal Badziong, das Nachsehen haben würde, war kaum vorauszusehen. Kann Altmaier, seit seinem Wechsel aus der SPD zu den FW ein Weggefährte Wefelscheids im Koblenzer Stadtrat und auch als Fraktionsgeschäftsführer in Mainz tätig, am 23. Juni gewinnen? Wefelscheid gibt sich sehr optimistisch, glaubt kaum, dass bisherige CDU-Wähler in großer Zahl zum SPD-Kandidaten überlaufen werden.

Deutliches Stadt-Land-Gefälle

Alles sonnig also bei den Freien Wählern? Nicht ganz. Beim Blick auf die Ergebnisse vom Sonntag tun sich mitunter bemerkenswerte Unterschiede auf – ein Stadt-Land-Gefälle wird erkennbar. Die FW sind in ländlichen Regionen im Mittel deutlich stärker als in Städten. Das gilt auch für Wefelscheids Heimatstadt Koblenz, wo das Europawahlergebnis mit 3,6 hinter dem Landesergebnis zurückbleibt. Darauf angesprochen, meint der Landesvorsitzende lakonisch: „Dann schauen Sie mal nach Mainz.“ In der Landeshauptstadt kommt die Partei sogar nur auf 1,9 Prozent. Auch in Ludwigshafen läuft es weniger gut (2,8 Prozent), ähnlich in Trier (2,9 Prozent). Kaiserslautern liegt schon wieder besser: 4,7 Prozent.

Europawahl - Wahlparty Freie Wähler
Parteichef Hubert Aiwanger (links), Spitzenkandidatin Christine Singer und Engin Eroglu (Listenplatz 2) stehen bei der Europawahlparty der Freien Wähler in Berlin am Rednerpult.
Niklas Treppner. picture alliance/dpa/Niklas Trep

Bei den Kommunalwahlen sind die Unterscheide freilich noch eklatanter, aber eben auch viel stärker örtlichen Gegebenheiten geschuldet und kaum miteinander vergleichbar. Über das Ergebnis im notorisch kleinteiligen Koblenzer Stadtrat darf sich Wefelscheid freuen: über 8 Prozent in Zwischenergebnissen. 2019 waren es 4,7 Prozent, allerdings waren die Parteikonstellationen teilweise noch andere. Interessant ist, dass diesmal die FW-Liste vom Wähler gehörig durcheinander gewürfelt wurde, Kandidat Marlon Reinhardt überspringt gleich mehrere Plätze.

Wefelscheid nimmt es sportlich: „Wir haben in Koblenz erstmals eine komplette Stadtratskandidatenliste mit 56 Namen aufgestellt, also keine Doppelnennungen mehr. Und dann kommt es natürlich zum freien Spiel der Kräfte.“ Letztlich also auch ein Beleg für das, was Wefelscheid am Tag nach der Wahl am wichtigsten ist: Die Freien Wähler sind vollkommen angekommen in der Parteienlandschaft in Stadt und Land. Und bereit für mehr.

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